Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
maßen der Selbstständigkeit erfreut, bis auf den einfachsten
Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und
Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, so gut es eben
gehen will. Es sind darum auch nicht mehr bestimmte Vor-
rechte, bestimmte abgestufte Preise der Stoffe oder des Schmuckes,
welche die willkürlich von oben her festgesetzten Stände oder
Classen scheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, sondern
der Geschmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in
zeitgemäßer Weise herrschte, und neben dem Geschmack die im
Vermögenszustand liegenden Gränzen.

Dieses Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcostüm
ist ebenso deutlich, wenn auch nicht mit derselben Ausnahms-
losigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine
Nachrichten darüber hätten, so würden wir aus dem Resultat,
wie es uns heute vorliegt, den vollgültigsten Beweis schöpfen
können. Wir mögen die deutschen Volkstrachten mustern bis
überall an die Gränzen der deutschen Zunge, von dem Hirten
des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum
Marschbauern, zum Ditmarsen, Friesen und Holländer, vom
Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum
irgend eine Tracht finden, die in unzerstörter Vollständigkeit
aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-
mehr ist der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu
Tage in bunter Vermischung der Zeiten und Formen als Volks-
tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuschreiben, so sehr, daß
uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-
digen, nur allerdings verbauerten Repräsentanten der glorwür-
digen Costümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder
werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-
lution gemahnt, und selbst Erinnerungen an die Anfänge des
neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweisen. Diese
Umwandlung der Volkstrachten macht sich in so bedeutender Weise
geltend, daß man von der Herrschaft des Zopfes an ihre zweite
Bildungsperiode beginnen könnte.

III. Die Neuzeit.
maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſten
Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und
Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben
gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor-
rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes,
welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder
Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern
der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in
zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im
Vermögenszuſtand liegenden Gränzen.

Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm
iſt ebenſo deutlich, wenn auch nicht mit derſelben Ausnahms-
loſigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine
Nachrichten darüber hätten, ſo würden wir aus dem Reſultat,
wie es uns heute vorliegt, den vollgültigſten Beweis ſchöpfen
können. Wir mögen die deutſchen Volkstrachten muſtern bis
überall an die Gränzen der deutſchen Zunge, von dem Hirten
des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum
Marſchbauern, zum Ditmarſen, Frieſen und Holländer, vom
Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum
irgend eine Tracht finden, die in unzerſtörter Vollſtändigkeit
aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-
mehr iſt der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu
Tage in bunter Vermiſchung der Zeiten und Formen als Volks-
tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuſchreiben, ſo ſehr, daß
uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-
digen, nur allerdings verbauerten Repräſentanten der glorwür-
digen Coſtümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder
werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-
lution gemahnt, und ſelbſt Erinnerungen an die Anfänge des
neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweiſen. Dieſe
Umwandlung der Volkstrachten macht ſich in ſo bedeutender Weiſe
geltend, daß man von der Herrſchaft des Zopfes an ihre zweite
Bildungsperiode beginnen könnte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0304" n="292"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
maßen der Selb&#x017F;t&#x017F;tändigkeit erfreut, bis auf den einfach&#x017F;ten<lb/>
Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und<lb/>
Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, &#x017F;o gut es eben<lb/>
gehen will. Es &#x017F;ind darum auch nicht mehr be&#x017F;timmte Vor-<lb/>
rechte, be&#x017F;timmte abge&#x017F;tufte Prei&#x017F;e der Stoffe oder des Schmuckes,<lb/>
welche die willkürlich von oben her fe&#x017F;tge&#x017F;etzten Stände oder<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, &#x017F;ondern<lb/>
der Ge&#x017F;chmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in<lb/>
zeitgemäßer Wei&#x017F;e herr&#x017F;chte, und neben dem Ge&#x017F;chmack die im<lb/>
Vermögenszu&#x017F;tand liegenden Gränzen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfco&#x017F;tüm<lb/>
i&#x017F;t eben&#x017F;o deutlich, wenn auch nicht mit der&#x017F;elben Ausnahms-<lb/>
lo&#x017F;igkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine<lb/>
Nachrichten darüber hätten, &#x017F;o würden wir aus dem Re&#x017F;ultat,<lb/>
wie es uns heute vorliegt, den vollgültig&#x017F;ten Beweis &#x017F;chöpfen<lb/>
können. Wir mögen die deut&#x017F;chen Volkstrachten mu&#x017F;tern bis<lb/>
überall an die Gränzen der deut&#x017F;chen Zunge, von dem Hirten<lb/>
des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum<lb/>
Mar&#x017F;chbauern, zum Ditmar&#x017F;en, Frie&#x017F;en und Holländer, vom<lb/>
Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum<lb/>
irgend eine Tracht finden, die in unzer&#x017F;törter Voll&#x017F;tändigkeit<lb/>
aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-<lb/>
mehr i&#x017F;t der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu<lb/>
Tage in bunter Vermi&#x017F;chung der Zeiten und Formen als Volks-<lb/>
tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten<lb/>
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzu&#x017F;chreiben, &#x017F;o &#x017F;ehr, daß<lb/>
uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-<lb/>
digen, nur allerdings verbauerten Reprä&#x017F;entanten der glorwür-<lb/>
digen Co&#x017F;tümperiode Ludwigs <hi rendition="#aq">XVI.</hi> vorkommen. Nicht minder<lb/>
werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-<lb/>
lution gemahnt, und &#x017F;elb&#x017F;t Erinnerungen an die Anfänge des<lb/>
neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abwei&#x017F;en. Die&#x017F;e<lb/>
Umwandlung der Volkstrachten macht &#x017F;ich in &#x017F;o bedeutender Wei&#x017F;e<lb/>
geltend, daß man von der Herr&#x017F;chaft des Zopfes an ihre zweite<lb/>
Bildungsperiode beginnen könnte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0304] III. Die Neuzeit. maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſten Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor- rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes, welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im Vermögenszuſtand liegenden Gränzen. Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm iſt ebenſo deutlich, wenn auch nicht mit derſelben Ausnahms- loſigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine Nachrichten darüber hätten, ſo würden wir aus dem Reſultat, wie es uns heute vorliegt, den vollgültigſten Beweis ſchöpfen können. Wir mögen die deutſchen Volkstrachten muſtern bis überall an die Gränzen der deutſchen Zunge, von dem Hirten des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum Marſchbauern, zum Ditmarſen, Frieſen und Holländer, vom Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum irgend eine Tracht finden, die in unzerſtörter Vollſtändigkeit aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel- mehr iſt der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu Tage in bunter Vermiſchung der Zeiten und Formen als Volks- tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuſchreiben, ſo ſehr, daß uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben- digen, nur allerdings verbauerten Repräſentanten der glorwür- digen Coſtümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo- lution gemahnt, und ſelbſt Erinnerungen an die Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweiſen. Dieſe Umwandlung der Volkstrachten macht ſich in ſo bedeutender Weiſe geltend, daß man von der Herrſchaft des Zopfes an ihre zweite Bildungsperiode beginnen könnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/304
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/304>, abgerufen am 24.11.2024.