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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
Riß in die Volkstracht zu machen, so kam es doch nicht soweit,
daß auch die Ursachen zu jeglicher Fortbildung derselben mit der
Wurzel ausgerissen wurden. Denn kaum ist diese Periode vor-
über und die Menschheit in eine neue Bahn geschleudert, so
bleibt das Landvolk, wenn auch nicht beim Zopfe selbst, doch
bei der Zopftracht stehen und consolidirt sie wieder zu localer
Eigenthümlichkeit. Dies ist in Verbindung mit den Ueberresten
der älteren Volkstracht dasjenige, was wir heute sehen und was
ebenfalls nun wieder dem Aussterben nahe erscheint.


Grade als die Herrschaft des Zopfes unter der Protection
der erleuchteten Büreaukratie und der berühmten "Aufklärung"
in die schönste Blüthe trat, gleich nach der Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts, beginnt auch die Gegenwirkung im natura-
listischen Sinne
sich zu regen. Es ist die Litteratur, welche
diesmal den Vortritt hat, denn nicht im socialen Leben der hö-
fischen und der vornehmen Kreise überhaupt, und noch weniger
in der einfach bürgerlichen oder spießbürgerlichen Welt, dem da-
maligen Sitz des Philisterthums, haben wir dergleichen zu suchen.
Der Staat hat diese harmlose Welt in seine vormundschaftliche
Pflege genommen und ist bemüht, sie wie ein unschuldiges, un-
mündiges Kind vor allen Gefahren des öffentlichen Lebens zu
bewahren; nur die Aufklärung, obwohl sie sonst die Schwester
der Büreaukratie ist, desselben Geistes Kind und ihre beste
Freundin, betritt doch oft in ihrem Eifer, "das Licht der Vernunft"
auszubreiten, gefährliche Bahnen, indem sie das Hohe und das
Heilige mit flacher Pietätlosigkeit betastet, nicht anders es be-
trachtend wie das Gewöhnliche und Gemeine. Wir können die
Folgen davon in wachsender Frivolität bis zur Revolutions-
periode auch in Deutschland verfolgen. Im Ganzen aber lebte
das Bürgerthum, wozu ich auch die Masse der s. g. Gebildeten
rechnen will, stillzufrieden unter seiner Vormundschaft. Diese
Zeit, "da der Großvater die Großmutter nahm", ist die Zeit be-
haglich ruhigen Daseins und bornirter Philistergemüthlichkeit,

III. Die Neuzeit.
Riß in die Volkstracht zu machen, ſo kam es doch nicht ſoweit,
daß auch die Urſachen zu jeglicher Fortbildung derſelben mit der
Wurzel ausgeriſſen wurden. Denn kaum iſt dieſe Periode vor-
über und die Menſchheit in eine neue Bahn geſchleudert, ſo
bleibt das Landvolk, wenn auch nicht beim Zopfe ſelbſt, doch
bei der Zopftracht ſtehen und conſolidirt ſie wieder zu localer
Eigenthümlichkeit. Dies iſt in Verbindung mit den Ueberreſten
der älteren Volkstracht dasjenige, was wir heute ſehen und was
ebenfalls nun wieder dem Ausſterben nahe erſcheint.


Grade als die Herrſchaft des Zopfes unter der Protection
der erleuchteten Büreaukratie und der berühmten „Aufklärung“
in die ſchönſte Blüthe trat, gleich nach der Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts, beginnt auch die Gegenwirkung im natura-
liſtiſchen Sinne
ſich zu regen. Es iſt die Litteratur, welche
diesmal den Vortritt hat, denn nicht im ſocialen Leben der hö-
fiſchen und der vornehmen Kreiſe überhaupt, und noch weniger
in der einfach bürgerlichen oder ſpießbürgerlichen Welt, dem da-
maligen Sitz des Philiſterthums, haben wir dergleichen zu ſuchen.
Der Staat hat dieſe harmloſe Welt in ſeine vormundſchaftliche
Pflege genommen und iſt bemüht, ſie wie ein unſchuldiges, un-
mündiges Kind vor allen Gefahren des öffentlichen Lebens zu
bewahren; nur die Aufklärung, obwohl ſie ſonſt die Schweſter
der Büreaukratie iſt, deſſelben Geiſtes Kind und ihre beſte
Freundin, betritt doch oft in ihrem Eifer, „das Licht der Vernunft“
auszubreiten, gefährliche Bahnen, indem ſie das Hohe und das
Heilige mit flacher Pietätloſigkeit betaſtet, nicht anders es be-
trachtend wie das Gewöhnliche und Gemeine. Wir können die
Folgen davon in wachſender Frivolität bis zur Revolutions-
periode auch in Deutſchland verfolgen. Im Ganzen aber lebte
das Bürgerthum, wozu ich auch die Maſſe der ſ. g. Gebildeten
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haglich ruhigen Daſeins und bornirter Philiſtergemüthlichkeit,

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[294/0306] III. Die Neuzeit. Riß in die Volkstracht zu machen, ſo kam es doch nicht ſoweit, daß auch die Urſachen zu jeglicher Fortbildung derſelben mit der Wurzel ausgeriſſen wurden. Denn kaum iſt dieſe Periode vor- über und die Menſchheit in eine neue Bahn geſchleudert, ſo bleibt das Landvolk, wenn auch nicht beim Zopfe ſelbſt, doch bei der Zopftracht ſtehen und conſolidirt ſie wieder zu localer Eigenthümlichkeit. Dies iſt in Verbindung mit den Ueberreſten der älteren Volkstracht dasjenige, was wir heute ſehen und was ebenfalls nun wieder dem Ausſterben nahe erſcheint. Grade als die Herrſchaft des Zopfes unter der Protection der erleuchteten Büreaukratie und der berühmten „Aufklärung“ in die ſchönſte Blüthe trat, gleich nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, beginnt auch die Gegenwirkung im natura- liſtiſchen Sinne ſich zu regen. Es iſt die Litteratur, welche diesmal den Vortritt hat, denn nicht im ſocialen Leben der hö- fiſchen und der vornehmen Kreiſe überhaupt, und noch weniger in der einfach bürgerlichen oder ſpießbürgerlichen Welt, dem da- maligen Sitz des Philiſterthums, haben wir dergleichen zu ſuchen. Der Staat hat dieſe harmloſe Welt in ſeine vormundſchaftliche Pflege genommen und iſt bemüht, ſie wie ein unſchuldiges, un- mündiges Kind vor allen Gefahren des öffentlichen Lebens zu bewahren; nur die Aufklärung, obwohl ſie ſonſt die Schweſter der Büreaukratie iſt, deſſelben Geiſtes Kind und ihre beſte Freundin, betritt doch oft in ihrem Eifer, „das Licht der Vernunft“ auszubreiten, gefährliche Bahnen, indem ſie das Hohe und das Heilige mit flacher Pietätloſigkeit betaſtet, nicht anders es be- trachtend wie das Gewöhnliche und Gemeine. Wir können die Folgen davon in wachſender Frivolität bis zur Revolutions- periode auch in Deutſchland verfolgen. Im Ganzen aber lebte das Bürgerthum, wozu ich auch die Maſſe der ſ. g. Gebildeten rechnen will, ſtillzufrieden unter ſeiner Vormundſchaft. Dieſe Zeit, „da der Großvater die Großmutter nahm“, iſt die Zeit be- haglich ruhigen Daſeins und bornirter Philiſtergemüthlichkeit,

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/306>, abgerufen am 24.11.2024.