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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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Meynung, so der Wahrheit etwas gemäß; jenes aber, daß er über den Leisten
anderer Leute gearbeitet, in der Wahrheit selber gegründet.

Indessen stunde Apollo, diesen Einritt zuzusehen, in feinem, neben der
Morgenröthe gelegenen Cämmerlein, welches die Italiänischen Poeten das
himmlische Theatrum nennen, war mit einer Schnee-weissen Wolcke bedecket,
welche wie bey dergleichen Actibus gebräuchlich, eben als Lipsius mitten auf
dem grossen Marckt ankam, durch einen lieblichen sanfften Wind in etwas
zertheilet wurde, da durch Ihro Parnassische Mäjestät mit einem eintzigen Blick,
den sie diesem Tugendhafften gaben, ihn von aller Unwissenheit, so noch bey
ihm hätte mögen übrig seyn, erledigte und befreyete, auch ihn damit zu einem
vollkommenen Gelehrten machte.

Als nun Lipsius in dem grossen Saal zur Audientz angelanget, ward er
gleich Anfangs in seiner Oration, so er angefangen gegen Se. Parnassische
Majestät wegen empfangener grossen Gutthaten sich zu bedancken, einzuhal-
ten genöthiget wegen eines schwehren Zufalles, der dem berühmten Grie-
chischen Scribenten Pausaniae, so auf der Banck derer Chronologorum
saß, begegnete. Dieser fiele gantz plötzlich in eine so starcke Ohnmacht, daß
er vor Todt gehalten wurde, deswegen die sämtlichen Cosmographi, ihm hülff-
liche Hand zu bieren, zusammen lieffen. Seine Hausgenossen vermeynten,
der Zufall käme aus Mattigkeit her, wie es ziemlich spat worden, und derselbe,
ehe er des Morgens ausgegangen, in seiner Bibliothec, seiner Gewohnheit
nach, nicht ein paar Löffel voll Conservativ-Ladwerg aus des Pindari Versen
zugerichtet, zu sich genommen. Aber die Durchlauchtige Muse Euterpe sprü-
tzete ihm mit zwey kräfftigen Sententiis aus dem Thucidide in das Angesicht,
dadurch er gar bald wieder zu sich selber kam. Da fieng Pausanias (der die
Unhöflichkeit, daß er Lipsium in seiner angefangenen Oration fort zufahren ver-
hinderte, nicht bedachte) aus grosser Schwermüthigkeit über wunden, an,
zu ruffen und zu schreyen: O du verzehrende Zeit! O mißgönstiges
und neidisches Alter! die ihr mit euren scharffen und beißigen Zäh-
nen auch diejenigen Sachen zernaget, so von denen Menschen,
daß sie ewig währen sollen, gemachet worden. Wie ist es doch
möglich, daß die Verwechselung derer Zeiten mit der Verände-
rung aller Sachen so fest verknüpffet, daß mein vielgeliebtes

Grie-

Meynung, ſo der Wahrheit etwas gemaͤß; jenes aber, daß er uͤber den Leiſten
anderer Leute gearbeitet, in der Wahrheit ſelber gegruͤndet.

Indeſſen ſtunde Apollo, dieſen Einritt zuzuſehen, in feinem, neben der
Morgenroͤthe gelegenen Caͤmmerlein, welches die Italiaͤniſchen Poëten das
himmliſche Theatrum nennen, war mit einer Schnee-weiſſen Wolcke bedecket,
welche wie bey dergleichen Actibus gebraͤuchlich, eben als Lipſius mitten auf
dem groſſen Marckt ankam, durch einen lieblichen ſanfften Wind in etwas
zertheilet wurde, da durch Ihro Parnaſſiſche Maͤjeſtaͤt mit einem eintzigen Blick,
den ſie dieſem Tugendhafften gaben, ihn von aller Unwiſſenheit, ſo noch bey
ihm haͤtte moͤgen uͤbrig ſeyn, erledigte und befreyete, auch ihn damit zu einem
vollkommenen Gelehrten machte.

Als nun Lipſius in dem groſſen Saal zur Audientz angelanget, ward er
gleich Anfangs in ſeiner Oration, ſo er angefangen gegen Se. Parnasſiſche
Majeſtaͤt wegen empfangener groſſen Gutthaten ſich zu bedancken, einzuhal-
ten genoͤthiget wegen eines ſchwehren Zufalles, der dem beruͤhmten Grie-
chiſchen Scribenten Pauſaniæ, ſo auf der Banck derer Chronologorum
ſaß, begegnete. Dieſer fiele gantz ploͤtzlich in eine ſo ſtarcke Ohnmacht, daß
er vor Todt gehalten wurde, deswegen die ſaͤmtlichen Coſmographi, ihm huͤlff-
liche Hand zu bieren, zuſammen lieffen. Seine Hausgenoſſen vermeynten,
der Zufall kaͤme aus Mattigkeit her, wie es ziemlich ſpat worden, und derſelbe,
ehe er des Morgens ausgegangen, in ſeiner Bibliothec, ſeiner Gewohnheit
nach, nicht ein paar Loͤffel voll Conſervativ-Ladwerg aus des Pindari Verſen
zugerichtet, zu ſich genommen. Aber die Durchlauchtige Muſe Euterpe ſpruͤ-
tzete ihm mit zwey kraͤfftigen Sententiis aus dem Thucidide in das Angeſicht,
dadurch er gar bald wieder zu ſich ſelber kam. Da fieng Pauſanias (der die
Unhoͤflichkeit, daß er Lipſium in ſeiner angefangenen Oration fort zufahren ver-
hinderte, nicht bedachte) aus groſſer Schwermuͤthigkeit uͤber wunden, an,
zu ruffen und zu ſchreyen: O du verzehrende Zeit! O mißgoͤnſtiges
und neidiſches Alter! die ihr mit euren ſcharffen und beißigen Zaͤh-
nen auch diejenigen Sachen zernaget, ſo von denen Menſchen,
daß ſie ewig waͤhren ſollen, gemachet worden. Wie iſt es doch
moͤglich, daß die Verwechſelung derer Zeiten mit der Veraͤnde-
rung aller Sachen ſo feſt verknuͤpffet, daß mein vielgeliebtes

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[120/0164] Meynung, ſo der Wahrheit etwas gemaͤß; jenes aber, daß er uͤber den Leiſten anderer Leute gearbeitet, in der Wahrheit ſelber gegruͤndet. Indeſſen ſtunde Apollo, dieſen Einritt zuzuſehen, in feinem, neben der Morgenroͤthe gelegenen Caͤmmerlein, welches die Italiaͤniſchen Poëten das himmliſche Theatrum nennen, war mit einer Schnee-weiſſen Wolcke bedecket, welche wie bey dergleichen Actibus gebraͤuchlich, eben als Lipſius mitten auf dem groſſen Marckt ankam, durch einen lieblichen ſanfften Wind in etwas zertheilet wurde, da durch Ihro Parnaſſiſche Maͤjeſtaͤt mit einem eintzigen Blick, den ſie dieſem Tugendhafften gaben, ihn von aller Unwiſſenheit, ſo noch bey ihm haͤtte moͤgen uͤbrig ſeyn, erledigte und befreyete, auch ihn damit zu einem vollkommenen Gelehrten machte. Als nun Lipſius in dem groſſen Saal zur Audientz angelanget, ward er gleich Anfangs in ſeiner Oration, ſo er angefangen gegen Se. Parnasſiſche Majeſtaͤt wegen empfangener groſſen Gutthaten ſich zu bedancken, einzuhal- ten genoͤthiget wegen eines ſchwehren Zufalles, der dem beruͤhmten Grie- chiſchen Scribenten Pauſaniæ, ſo auf der Banck derer Chronologorum ſaß, begegnete. Dieſer fiele gantz ploͤtzlich in eine ſo ſtarcke Ohnmacht, daß er vor Todt gehalten wurde, deswegen die ſaͤmtlichen Coſmographi, ihm huͤlff- liche Hand zu bieren, zuſammen lieffen. Seine Hausgenoſſen vermeynten, der Zufall kaͤme aus Mattigkeit her, wie es ziemlich ſpat worden, und derſelbe, ehe er des Morgens ausgegangen, in ſeiner Bibliothec, ſeiner Gewohnheit nach, nicht ein paar Loͤffel voll Conſervativ-Ladwerg aus des Pindari Verſen zugerichtet, zu ſich genommen. Aber die Durchlauchtige Muſe Euterpe ſpruͤ- tzete ihm mit zwey kraͤfftigen Sententiis aus dem Thucidide in das Angeſicht, dadurch er gar bald wieder zu ſich ſelber kam. Da fieng Pauſanias (der die Unhoͤflichkeit, daß er Lipſium in ſeiner angefangenen Oration fort zufahren ver- hinderte, nicht bedachte) aus groſſer Schwermuͤthigkeit uͤber wunden, an, zu ruffen und zu ſchreyen: O du verzehrende Zeit! O mißgoͤnſtiges und neidiſches Alter! die ihr mit euren ſcharffen und beißigen Zaͤh- nen auch diejenigen Sachen zernaget, ſo von denen Menſchen, daß ſie ewig waͤhren ſollen, gemachet worden. Wie iſt es doch moͤglich, daß die Verwechſelung derer Zeiten mit der Veraͤnde- rung aller Sachen ſo feſt verknuͤpffet, daß mein vielgeliebtes Grie-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/164>, abgerufen am 21.11.2024.