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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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hang gefunden haben, wie die Rosencräutzer. Diese Leute, derer bereits in
dieser fünfften Abhandlung ein paarmal Erwehnung geschehen, nannten sich bald
die Erleuchteten, bald die Unsterblichen, bald die Unsichtbaren, und schrie-
ben sich überhaupt grosse Eigenschafften zu. Man kan einen Theil davon aus
ihrer Nachricht an curiose Gemüther (Avis aux curieux) die sie einstmals
öffentlich anschlagen lassen, erkennen. Bey dem Moreri ist dieselbe folgendergestalt
zulesen: Wir Abgeordneten unsers vornehmsten Collegii derer Brüder
vom Rosencreutz, halten uns sichtbarer und unsichtbarer Weise in dieser
Stadt auf. Wir lehren ohne Bücher und ohne einige Kennzeichen, und
reden die Sprache des Landes, in welchem uns gefället zu seyn, um die
Menschen, welche unsersgleichen sind, aus denen tödlichen Irrthü-
mern heraus zu reissen.
Gleichwohl ist diese Brüderschafft von Irrwi-
schen
und Schwärm-Geistern in der gelehrten Welt so berühmt wor-
den, daß viele Gelehrte sich bemühet haben, in dieselbe aufgenommen zu
werden.

Wie viel hat nicht die vermeynde grosse Kunst derer Lullisten bezaubert, die
man lieber gar aus dem Himmel wolte erhalten haben? Aber in Wahrheit,
man solte eher aus des Heraclitus Dunckelheit ein Licht, aus des Socrates
Zweiffeln eine fest gegründete Wissenschafft, und aus des Diogenes Un-
verstand
die Weisheit selber, als aus diesen Rätzel-vollen und abend-
theuerlichen Schrifften
etwas kluges erzwingen. Allein Narren, Matzen
und Lappen finden ein vor allemal ihre Partisans, und niemals ist jemand so
gar närrisch gewesen, der nicht noch viel närrischere Anhänger und Nachsolger
gefunden hätte. Es hat ja nicht an Leuten gefehlet, die unter Anführung des
Heraclitus das Primum Principium, oder den ersten Anfang aller Dinge,
mit dem Parmenides die Vielheit derer Sachen, und mit dem Protogenes die
Wahrheit selbst verläugnet; oder auch mit dem Anaxagoras den Himmel vor
einen Stein, und den Schnee vor schwartz gehalten haben.

Einige Gelehrte, welche Genealogien geschrieben, haben sich dadurch
bey der Welt überaus lächerlich gemachet, mithin veranlasset, daß man sie
unter die Zahl derer Narren setzen müssen. Von dieser Art waren die
alten Heyden, deren Fürsten insgemein von denen Göttern musten erzeuget
seyn. Nicht viel besser sind diejenigen, welche die Spanier von Tubal Japhets
Sohne, die Cambrier vom Gomer Zeries Bruder, die Britannier von dem
Brutus, die Francken von dem Francion des Priamus oder Hectors Sohne,

und

hang gefunden haben, wie die Roſencraͤutzer. Dieſe Leute, derer bereits in
dieſer fuͤnfften Abhandlung ein paarmal Erwehnung geſchehen, nannten ſich bald
die Erleuchteten, bald die Unſterblichen, bald die Unſichtbaren, und ſchrie-
ben ſich uͤberhaupt groſſe Eigenſchafften zu. Man kan einen Theil davon aus
ihrer Nachricht an curioſe Gemuͤther (Avis aux curieux) die ſie einſtmals
oͤffentlich anſchlagen laſſen, erkennen. Bey dem Moreri iſt dieſelbe folgendergeſtalt
zuleſen: Wir Abgeordneten unſers vornehmſten Collegii derer Bruͤder
vom Roſencreutz, halten uns ſichtbarer und unſichtbarer Weiſe in dieſer
Stadt auf. Wir lehren ohne Buͤcher und ohne einige Kennzeichen, und
reden die Sprache des Landes, in welchem uns gefaͤllet zu ſeyn, um die
Menſchen, welche unſersgleichen ſind, aus denen toͤdlichen Irrthuͤ-
mern heraus zu reiſſen.
Gleichwohl iſt dieſe Bruͤderſchafft von Irrwi-
ſchen
und Schwaͤrm-Geiſtern in der gelehrten Welt ſo beruͤhmt wor-
den, daß viele Gelehrte ſich bemuͤhet haben, in dieſelbe aufgenommen zu
werden.

Wie viel hat nicht die vermeynde groſſe Kunſt derer Lulliſten bezaubert, die
man lieber gar aus dem Himmel wolte erhalten haben? Aber in Wahrheit,
man ſolte eher aus des Heraclitus Dunckelheit ein Licht, aus des Socrates
Zweiffeln eine feſt gegruͤndete Wiſſenſchafft, und aus des Diogenes Un-
verſtand
die Weisheit ſelber, als aus dieſen Raͤtzel-vollen und abend-
theuerlichen Schrifften
etwas kluges erzwingen. Allein Narren, Matzen
und Lappen finden ein vor allemal ihre Partiſans, und niemals iſt jemand ſo
gar naͤrriſch geweſen, der nicht noch viel naͤrriſchere Anhaͤnger und Nachſolger
gefunden haͤtte. Es hat ja nicht an Leuten gefehlet, die unter Anfuͤhrung des
Heraclitus das Primum Principium, oder den erſten Anfang aller Dinge,
mit dem Parmenides die Vielheit derer Sachen, und mit dem Protogenes die
Wahrheit ſelbſt verlaͤugnet; oder auch mit dem Anaxagoras den Himmel vor
einen Stein, und den Schnee vor ſchwartz gehalten haben.

Einige Gelehrte, welche Genealogien geſchrieben, haben ſich dadurch
bey der Welt uͤberaus laͤcherlich gemachet, mithin veranlaſſet, daß man ſie
unter die Zahl derer Narren ſetzen muͤſſen. Von dieſer Art waren die
alten Heyden, deren Fuͤrſten insgemein von denen Goͤttern muſten erzeuget
ſeyn. Nicht viel beſſer ſind diejenigen, welche die Spanier von Tubal Japhets
Sohne, die Cambrier vom Gomer Zeries Bruder, die Britannier von dem
Brutus, die Francken von dem Francion des Priamus oder Hectors Sohne,

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[212/0256] hang gefunden haben, wie die Roſencraͤutzer. Dieſe Leute, derer bereits in dieſer fuͤnfften Abhandlung ein paarmal Erwehnung geſchehen, nannten ſich bald die Erleuchteten, bald die Unſterblichen, bald die Unſichtbaren, und ſchrie- ben ſich uͤberhaupt groſſe Eigenſchafften zu. Man kan einen Theil davon aus ihrer Nachricht an curioſe Gemuͤther (Avis aux curieux) die ſie einſtmals oͤffentlich anſchlagen laſſen, erkennen. Bey dem Moreri iſt dieſelbe folgendergeſtalt zuleſen: Wir Abgeordneten unſers vornehmſten Collegii derer Bruͤder vom Roſencreutz, halten uns ſichtbarer und unſichtbarer Weiſe in dieſer Stadt auf. Wir lehren ohne Buͤcher und ohne einige Kennzeichen, und reden die Sprache des Landes, in welchem uns gefaͤllet zu ſeyn, um die Menſchen, welche unſersgleichen ſind, aus denen toͤdlichen Irrthuͤ- mern heraus zu reiſſen. Gleichwohl iſt dieſe Bruͤderſchafft von Irrwi- ſchen und Schwaͤrm-Geiſtern in der gelehrten Welt ſo beruͤhmt wor- den, daß viele Gelehrte ſich bemuͤhet haben, in dieſelbe aufgenommen zu werden. Wie viel hat nicht die vermeynde groſſe Kunſt derer Lulliſten bezaubert, die man lieber gar aus dem Himmel wolte erhalten haben? Aber in Wahrheit, man ſolte eher aus des Heraclitus Dunckelheit ein Licht, aus des Socrates Zweiffeln eine feſt gegruͤndete Wiſſenſchafft, und aus des Diogenes Un- verſtand die Weisheit ſelber, als aus dieſen Raͤtzel-vollen und abend- theuerlichen Schrifften etwas kluges erzwingen. Allein Narren, Matzen und Lappen finden ein vor allemal ihre Partiſans, und niemals iſt jemand ſo gar naͤrriſch geweſen, der nicht noch viel naͤrriſchere Anhaͤnger und Nachſolger gefunden haͤtte. Es hat ja nicht an Leuten gefehlet, die unter Anfuͤhrung des Heraclitus das Primum Principium, oder den erſten Anfang aller Dinge, mit dem Parmenides die Vielheit derer Sachen, und mit dem Protogenes die Wahrheit ſelbſt verlaͤugnet; oder auch mit dem Anaxagoras den Himmel vor einen Stein, und den Schnee vor ſchwartz gehalten haben. Einige Gelehrte, welche Genealogien geſchrieben, haben ſich dadurch bey der Welt uͤberaus laͤcherlich gemachet, mithin veranlaſſet, daß man ſie unter die Zahl derer Narren ſetzen muͤſſen. Von dieſer Art waren die alten Heyden, deren Fuͤrſten insgemein von denen Goͤttern muſten erzeuget ſeyn. Nicht viel beſſer ſind diejenigen, welche die Spanier von Tubal Japhets Sohne, die Cambrier vom Gomer Zeries Bruder, die Britannier von dem Brutus, die Francken von dem Francion des Priamus oder Hectors Sohne, und

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/256>, abgerufen am 24.11.2024.