schichten, nicht an Ideen reicher geworden, und vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der Jupiter des einen ist nicht der des andern, Homer hat einen der zu dem der dorischen und aeolischen Dichter nicht paßt, und so geht es fort, die eine Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren sie in ein Chaos zurück. "Du hast noch nicht den gehö- rigen Blick, antwortest Du, wenn dieser Dir kommt, so wird Dir alles aufgethan seyn!" -- Der Jüng- ling studirt aufs neue, und sinnt unablässig, und strengt seinen Verstand und seine Phantasie an, um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End- lich überrascht er Dich mit seiner glücklichen und scharfsinnigen Entdeckung, und Du -- wenn Du die Mythologie kennst -- bist erstaunt, nicht einen wahren Gedanken in ihr zu finden. Laß ihn das Geschäft fortsetzen, Hell! wenn Du grausam genug dazu bist, und Du wirst immer den gleichen Erfolg sehen, denn Du kannst selbst nichts anders. Endlich führt das Glück den Armen zu einem besseren Lehrer, oder auch Du selbst, wenn Du es kannst, wirst dieser bessere Lehrer und sprichst: Die Fabeln vom Jupiter, die Du nun von den Mythologen gelernt hast, sind nicht zu einer Zeit und an einem Orte entstanden. Die älteste einfache Mythe, die wir kennen ist die, z. B. die ionische; diese ist vermehrt worden durch völlig ungleichartige, z. B. die cretensischen, und verändert in späteren Zeiten durch die lyrischen, dramatischen u. a. Dichter nach ihrem besonderen Zweck. Jupiter ist ein
ſchichten, nicht an Ideen reicher geworden, und vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der Jupiter des einen iſt nicht der des andern, Homer hat einen der zu dem der doriſchen und aeoliſchen Dichter nicht paßt, und ſo geht es fort, die eine Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren ſie in ein Chaos zuruͤck. „Du haſt noch nicht den gehoͤ- rigen Blick, antworteſt Du, wenn dieſer Dir kommt, ſo wird Dir alles aufgethan ſeyn!“ — Der Juͤng- ling ſtudirt aufs neue, und ſinnt unablaͤſſig, und ſtrengt ſeinen Verſtand und ſeine Phantaſie an, um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End- lich uͤberraſcht er Dich mit ſeiner gluͤcklichen und ſcharfſinnigen Entdeckung, und Du — wenn Du die Mythologie kennſt — biſt erſtaunt, nicht einen wahren Gedanken in ihr zu finden. Laß ihn das Geſchaͤft fortſetzen, Hell! wenn Du grauſam genug dazu biſt, und Du wirſt immer den gleichen Erfolg ſehen, denn Du kannſt ſelbſt nichts anders. Endlich fuͤhrt das Gluͤck den Armen zu einem beſſeren Lehrer, oder auch Du ſelbſt, wenn Du es kannſt, wirſt dieſer beſſere Lehrer und ſprichſt: Die Fabeln vom Jupiter, die Du nun von den Mythologen gelernt haſt, ſind nicht zu einer Zeit und an einem Orte entſtanden. Die aͤlteſte einfache Mythe, die wir kennen iſt die, z. B. die ioniſche; dieſe iſt vermehrt worden durch voͤllig ungleichartige, z. B. die cretenſiſchen, und veraͤndert in ſpaͤteren Zeiten durch die lyriſchen, dramatiſchen u. a. Dichter nach ihrem beſonderen Zweck. Jupiter iſt ein
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Jupiter des einen iſt nicht der des andern, Homer
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Dichter nicht paßt, und ſo geht es fort, die eine
Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren ſie in
ein Chaos zuruͤck. „Du haſt noch nicht den gehoͤ-
rigen Blick, antworteſt Du, wenn dieſer Dir kommt,
ſo wird Dir alles aufgethan ſeyn!“ — Der Juͤng-
ling ſtudirt aufs neue, und ſinnt unablaͤſſig, und
ſtrengt ſeinen Verſtand und ſeine Phantaſie an,
um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End-
lich uͤberraſcht er Dich mit ſeiner gluͤcklichen und
ſcharfſinnigen Entdeckung, und Du — wenn Du
die Mythologie kennſt — biſt erſtaunt, nicht
einen wahren Gedanken in ihr zu finden.
Laß ihn das Geſchaͤft fortſetzen, Hell! wenn Du
grauſam genug dazu biſt, und Du wirſt immer
den gleichen Erfolg ſehen, denn Du kannſt
ſelbſt nichts anders. Endlich fuͤhrt das Gluͤck
den Armen zu einem beſſeren Lehrer, oder auch Du
ſelbſt, wenn Du es kannſt, wirſt dieſer beſſere
Lehrer und ſprichſt: Die Fabeln vom Jupiter, die
Du nun von den Mythologen gelernt haſt, ſind
nicht zu einer Zeit und an einem Orte
entſtanden. Die aͤlteſte einfache Mythe, die wir
kennen iſt die, z. B. die ioniſche; dieſe iſt vermehrt
worden durch voͤllig ungleichartige, z. B. die
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durch die lyriſchen, dramatiſchen u. a. Dichter nach
ihrem beſonderen Zweck. Jupiter iſt ein
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[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/362>, abgerufen am 21.11.2024.
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