Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.Das Gebet ist die Selbsttheilung des Menschen in *) Aus subjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein-
schaftliche als einzelne Gebet. Gemeinsamkeit erhöht die Gemüths- kraft, steigert das Selbstgefühl. Was man allein nicht vermag, ver- mag man mit Andern. Alleingefühl ist Beschränktheitsgefühl; Ge- meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen sich die Menschen, von Naturgewalten bedroht, zusammen. Multorum preces impossibile est, ut non impetrent, inquit Ambrosius ... Sanctae orationis fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten- Das Gebet iſt die Selbſttheilung des Menſchen in *) Aus ſubjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein-
ſchaftliche als einzelne Gebet. Gemeinſamkeit erhöht die Gemüths- kraft, ſteigert das Selbſtgefühl. Was man allein nicht vermag, ver- mag man mit Andern. Alleingefühl iſt Beſchränktheitsgefühl; Ge- meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen ſich die Menſchen, von Naturgewalten bedroht, zuſammen. Multorum preces impossibile est, ut non impetrent, inquit Ambrosius … Sanctae orationis fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0178" n="160"/> <p>Das Gebet iſt die <hi rendition="#g">Selbſttheilung</hi> des Menſchen in<lb/><hi rendition="#g">zwei</hi> Weſen — ein Dialog des Menſchen mit ſich ſelbſt, mit<lb/> ſeinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß<lb/> es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgeſprochen wird. Un-<lb/> willkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus — der<lb/> Druck des Herzens zerſprengt das Schloß des Mundes. Aber<lb/> das laute Gebet iſt nur das ſein Weſen offenbarende Gebet:<lb/> das Gebet iſt weſentlich, wenn auch nicht äußerlich ausge-<lb/> ſprochene <hi rendition="#g">Rede</hi> — das lateiniſche Wort <hi rendition="#aq">oratio</hi> bedeutet bei-<lb/> des — im Gebete ſpricht ſich der Menſch unverhohlen aus<lb/> über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er<lb/> vergegenſtändlicht ſein Herz; — daher die moraliſche Kraft des Ge-<lb/> bets. Sammlung, ſagt man, iſt die Bedingung des Gebets. Aber<lb/> ſie iſt mehr als Bedingung: das Gebet iſt ſelbſt Sammlung —<lb/> Beſeitigung aller zerſtreuenden Vorſtellungen, aller ſtörenden<lb/> Einflüſſe von Außen, Einkehr in ſich ſelbſt, um ſich nur zu<lb/> ſeinem eignen Weſen zu verhalten. Nur ein zuverſichtliches,<lb/> aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, ſagt man, hilft, aber<lb/> dieſe Hülfe liegt im Gebete ſelbſt. Wie überall in der Reli-<lb/> gion das <hi rendition="#g">Subjective, Secundäre, Bedingende</hi> die<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">prima causa</hi>,</hi> die <hi rendition="#g">objective Sache</hi> ſelbſt iſt — ſo ſind<lb/> auch hier dieſe ſubjectiven Eigenſchaften das objective Weſen<lb/> des Gebets ſelbſt<note xml:id="note-0178" next="#note-0179" place="foot" n="*)">Aus <hi rendition="#g">ſubjectiven</hi> Gründen vermag auch mehr das <hi rendition="#g">gemein-<lb/> ſchaftliche</hi> als einzelne Gebet. Gemeinſamkeit erhöht die Gemüths-<lb/> kraft, ſteigert das Selbſtgefühl. Was man <hi rendition="#g">allein</hi> nicht vermag, ver-<lb/> mag man <hi rendition="#g">mit Andern</hi>. Alleingefühl iſt Beſchränktheitsgefühl; Ge-<lb/> meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen ſich die Menſchen, von<lb/> Naturgewalten bedroht, zuſammen. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Multorum preces</hi> impossibile<lb/> est, ut non impetrent, inquit <hi rendition="#g">Ambrosius …</hi> Sanctae orationis<lb/> fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten-</hi></note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0178]
Das Gebet iſt die Selbſttheilung des Menſchen in
zwei Weſen — ein Dialog des Menſchen mit ſich ſelbſt, mit
ſeinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß
es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgeſprochen wird. Un-
willkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus — der
Druck des Herzens zerſprengt das Schloß des Mundes. Aber
das laute Gebet iſt nur das ſein Weſen offenbarende Gebet:
das Gebet iſt weſentlich, wenn auch nicht äußerlich ausge-
ſprochene Rede — das lateiniſche Wort oratio bedeutet bei-
des — im Gebete ſpricht ſich der Menſch unverhohlen aus
über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er
vergegenſtändlicht ſein Herz; — daher die moraliſche Kraft des Ge-
bets. Sammlung, ſagt man, iſt die Bedingung des Gebets. Aber
ſie iſt mehr als Bedingung: das Gebet iſt ſelbſt Sammlung —
Beſeitigung aller zerſtreuenden Vorſtellungen, aller ſtörenden
Einflüſſe von Außen, Einkehr in ſich ſelbſt, um ſich nur zu
ſeinem eignen Weſen zu verhalten. Nur ein zuverſichtliches,
aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, ſagt man, hilft, aber
dieſe Hülfe liegt im Gebete ſelbſt. Wie überall in der Reli-
gion das Subjective, Secundäre, Bedingende die
prima causa, die objective Sache ſelbſt iſt — ſo ſind
auch hier dieſe ſubjectiven Eigenſchaften das objective Weſen
des Gebets ſelbſt *).
*) Aus ſubjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein-
ſchaftliche als einzelne Gebet. Gemeinſamkeit erhöht die Gemüths-
kraft, ſteigert das Selbſtgefühl. Was man allein nicht vermag, ver-
mag man mit Andern. Alleingefühl iſt Beſchränktheitsgefühl; Ge-
meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen ſich die Menſchen, von
Naturgewalten bedroht, zuſammen. Multorum preces impossibile
est, ut non impetrent, inquit Ambrosius … Sanctae orationis
fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten-
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