Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.Das Bewußtsein seines Vorzugs ist das Bewußtsein die- *) Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis, nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.) **) Ein ehemaliger Adjutant des russischen Generals Münnich
sagte: "da ich sein Adjutant war, fühlte ich mich größer als nun, wo ich commandire." Das Bewußtſein ſeines Vorzugs iſt das Bewußtſein die- *) Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis, nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.) **) Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich
ſagte: „da ich ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als nun, wo ich commandire.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0358" n="340"/> Das Bewußtſein <hi rendition="#g">ſeines Vorzugs</hi> iſt das Bewußtſein <hi rendition="#g">die-<lb/> ſer Perſon</hi>, das Gefühl <hi rendition="#g">ſeiner ſelbſt</hi> hat er in dieſer an-<lb/> dern Perſönlichkeit <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Puer natus est <hi rendition="#g">nobis</hi>: non judaeis; <hi rendition="#g">nobis</hi> non manichaeis,<lb/><hi rendition="#g">nobis</hi> non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non<lb/> incredulis. <hi rendition="#g">Ambrosius</hi> (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)</hi></note>. Wie der Diener in der Würde ſeines<lb/> Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein<lb/> freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein<lb/> Herr, ſo auch der Gläubige <note place="foot" n="**)">Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich<lb/> ſagte: „da ich <hi rendition="#g">ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als<lb/> nun, wo ich commandire</hi>.“</note>. Er ſpricht ſich alle Ver-<lb/> dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes<lb/> zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute<lb/> kommt, weil er in der <hi rendition="#g">Ehre</hi> des Herrn <hi rendition="#g">ſein eignes Ehrge-<lb/> fühl</hi> befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter-<lb/> ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er<lb/> das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine <hi rendition="#g">andere<lb/> Perſon</hi> überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon,<lb/> die aber ſein eignes <hi rendition="#g">geborgnes</hi> Selbſt, ſein perſonificirter<lb/> und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich-<lb/> keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der<lb/> Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen,<lb/> in denen der Gläubige ſich nur <hi rendition="#g">auf ſich</hi>, auf <hi rendition="#g">ſein eignes<lb/> ewiges Heil</hi> bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri-<lb/> ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche <hi rendition="#aq">Activum</hi><lb/> in ein <hi rendition="#aq">Passivum</hi> verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt<lb/> fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des<lb/> Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der<lb/> Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [340/0358]
Das Bewußtſein ſeines Vorzugs iſt das Bewußtſein die-
ſer Perſon, das Gefühl ſeiner ſelbſt hat er in dieſer an-
dern Perſönlichkeit *). Wie der Diener in der Würde ſeines
Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein
freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein
Herr, ſo auch der Gläubige **). Er ſpricht ſich alle Ver-
dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes
zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute
kommt, weil er in der Ehre des Herrn ſein eignes Ehrge-
fühl befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter-
ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er
das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine andere
Perſon überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon,
die aber ſein eignes geborgnes Selbſt, ſein perſonificirter
und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich-
keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der
Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen,
in denen der Gläubige ſich nur auf ſich, auf ſein eignes
ewiges Heil bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri-
ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche Activum
in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt
fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des
Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der
Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-
*) Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis,
nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non
incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)
**) Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich
ſagte: „da ich ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als
nun, wo ich commandire.“
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