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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Der gegen die Liebe indifferente oder lieblose Glaube wi-
derspricht der Vernunft, dem moralischen Gefühl, dem natürli-
chen Rechtssinn des Menschen, als welchem sich die Liebe un-
mittelbar als Gesetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube
wird daher im Widerspruch mit seinem Wesen an sich durch die
Moral beschränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, sich
nicht durch die Liebe bethätigt, ist kein wahrer, kein lebendiger.
Aber diese Beschränkung stammt nicht aus dem Glau-
ben selbst
. Es ist die vom Glauben unabhängige Macht
der Liebe, die ihm Gesetze gibt; denn es wird hier die mora-
lische Beschaffenheit
zum Kriterium der Aechtheit des
Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr-
heit der Ethik abhängig
gemacht -- ein Verhältniß, das
aber dem Glauben widerspricht.

Wohl mag der Glaube den Menschen selig machen; aber
so viel ist gewiß: er flößt ihm keine wirklich sittlichen Gesin-
nungen ein. Bessert er den Menschen, hat er moralische Ge-
sinnung zur Folge, so kommt das nur aus der innern, vom
religiösen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-
umstößlichen Realität der Moral. Nur die Moral ist es, die
dem Gläubigen ins Gewissen ruft: Dein Glaube ist nichts,
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.
Wohl kann, nicht ist es zu läugnen, die Gewißheit ewiger
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und
Erlösung von allen Strafen, den Menschen geneigt machen,
Gutes zu thun. Der Mensch, der dieses Glaubens ist, hat
Alles; er ist selig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieser
Welt; kein Neid, keine Habsucht, kein Ehrgeiz, kein sinnliches
Verlangen kann ihn fesseln; alles Irdische schwindet im Hin-
blick auf die himmlische Gnade und die ewige überirdische Se-

Der gegen die Liebe indifferente oder liebloſe Glaube wi-
derſpricht der Vernunft, dem moraliſchen Gefühl, dem natürli-
chen Rechtsſinn des Menſchen, als welchem ſich die Liebe un-
mittelbar als Geſetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube
wird daher im Widerſpruch mit ſeinem Weſen an ſich durch die
Moral beſchränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, ſich
nicht durch die Liebe bethätigt, iſt kein wahrer, kein lebendiger.
Aber dieſe Beſchränkung ſtammt nicht aus dem Glau-
ben ſelbſt
. Es iſt die vom Glauben unabhängige Macht
der Liebe, die ihm Geſetze gibt; denn es wird hier die mora-
liſche Beſchaffenheit
zum Kriterium der Aechtheit des
Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr-
heit der Ethik abhängig
gemacht — ein Verhältniß, das
aber dem Glauben widerſpricht.

Wohl mag der Glaube den Menſchen ſelig machen; aber
ſo viel iſt gewiß: er flößt ihm keine wirklich ſittlichen Geſin-
nungen ein. Beſſert er den Menſchen, hat er moraliſche Ge-
ſinnung zur Folge, ſo kommt das nur aus der innern, vom
religiöſen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-
umſtößlichen Realität der Moral. Nur die Moral iſt es, die
dem Gläubigen ins Gewiſſen ruft: Dein Glaube iſt nichts,
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.
Wohl kann, nicht iſt es zu läugnen, die Gewißheit ewiger
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und
Erlöſung von allen Strafen, den Menſchen geneigt machen,
Gutes zu thun. Der Menſch, der dieſes Glaubens iſt, hat
Alles; er iſt ſelig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieſer
Welt; kein Neid, keine Habſucht, kein Ehrgeiz, kein ſinnliches
Verlangen kann ihn feſſeln; alles Irdiſche ſchwindet im Hin-
blick auf die himmliſche Gnade und die ewige überirdiſche Se-

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[357/0375] Der gegen die Liebe indifferente oder liebloſe Glaube wi- derſpricht der Vernunft, dem moraliſchen Gefühl, dem natürli- chen Rechtsſinn des Menſchen, als welchem ſich die Liebe un- mittelbar als Geſetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube wird daher im Widerſpruch mit ſeinem Weſen an ſich durch die Moral beſchränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, ſich nicht durch die Liebe bethätigt, iſt kein wahrer, kein lebendiger. Aber dieſe Beſchränkung ſtammt nicht aus dem Glau- ben ſelbſt. Es iſt die vom Glauben unabhängige Macht der Liebe, die ihm Geſetze gibt; denn es wird hier die mora- liſche Beſchaffenheit zum Kriterium der Aechtheit des Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr- heit der Ethik abhängig gemacht — ein Verhältniß, das aber dem Glauben widerſpricht. Wohl mag der Glaube den Menſchen ſelig machen; aber ſo viel iſt gewiß: er flößt ihm keine wirklich ſittlichen Geſin- nungen ein. Beſſert er den Menſchen, hat er moraliſche Ge- ſinnung zur Folge, ſo kommt das nur aus der innern, vom religiöſen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un- umſtößlichen Realität der Moral. Nur die Moral iſt es, die dem Gläubigen ins Gewiſſen ruft: Dein Glaube iſt nichts, wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube. Wohl kann, nicht iſt es zu läugnen, die Gewißheit ewiger Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und Erlöſung von allen Strafen, den Menſchen geneigt machen, Gutes zu thun. Der Menſch, der dieſes Glaubens iſt, hat Alles; er iſt ſelig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieſer Welt; kein Neid, keine Habſucht, kein Ehrgeiz, kein ſinnliches Verlangen kann ihn feſſeln; alles Irdiſche ſchwindet im Hin- blick auf die himmliſche Gnade und die ewige überirdiſche Se-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/375>, abgerufen am 05.12.2024.