cat. Der Begriff eines persönlichen, für sich seienden Wesens ist nichts weniger als identisch mit dem Begriffe der Liebe; es ist vielmehr auch Etwas außer und ohne die Liebe. Es ist daher nothwendig, daß ich bald den Gedan- ken der Liebe verliere, bald wieder den Gedanken des Sub- jects, bald der Gottheit der Liebe die Persönlichkeit Gottes, bald wieder der Persönlichkeit Gottes die Liebe aufopfere. Die Geschichte des Christenthums hat diesen Wi- derspruch hinlänglich constatirt. Der Katholicismus beson- ders feierte die Liebe als die wesentliche Gottheit so begeistert, daß ihm in dieser Liebe ganz die Persönlichkeit Gottes ver- schwand. Aber zugleich opferte er wieder in einer und dersel- ben Seele der Majestät des Glaubens die Liebe auf. Der Glaube hält sich an die Selbstständigkeit Gottes; die Liebe hebt sie auf. Gott ist die Liebe, heißt: Gott ist nichts für sich; wer liebt, gibt seine egoistische Selbstständigkeit auf; er macht, was er liebt, zum Unentbehrlichen, Wesentlichen seiner Existenz. Der Begriff der Liebe ist der der Identität. Aber zugleich taucht doch wieder, während ich in die Tiefe der Liebe das Selbst versenke, der Gedanke des Subjects auf und stört die Harmonie des göttlichen und menschli- chen Wesens, welche die Liebe gestiftet. Der Glaube tritt mit seinen Prätensionen auf und räumt der Liebe nur so viel ein, als überhaupt einem Prädicat im gewöhnlichen Sinne zukommt. Er läßt die Liebe sich nicht frei entfalten; er macht sie zu einem Abstractum, sich zum Concretum, zur Sache, zum Fundament. Die Liebe des Glaubens ist nur eine rheto- rische Figur, eine poetische Fiction des Glaubens -- der be- trunkne, der sich selbst betäubende Glaube. Kommt der Glaube wieder zu sich, so ist auch die Liebe dahin.
cat. Der Begriff eines perſönlichen, für ſich ſeienden Weſens iſt nichts weniger als identiſch mit dem Begriffe der Liebe; es iſt vielmehr auch Etwas außer und ohne die Liebe. Es iſt daher nothwendig, daß ich bald den Gedan- ken der Liebe verliere, bald wieder den Gedanken des Sub- jects, bald der Gottheit der Liebe die Perſönlichkeit Gottes, bald wieder der Perſönlichkeit Gottes die Liebe aufopfere. Die Geſchichte des Chriſtenthums hat dieſen Wi- derſpruch hinlänglich conſtatirt. Der Katholicismus beſon- ders feierte die Liebe als die weſentliche Gottheit ſo begeiſtert, daß ihm in dieſer Liebe ganz die Perſönlichkeit Gottes ver- ſchwand. Aber zugleich opferte er wieder in einer und derſel- ben Seele der Majeſtät des Glaubens die Liebe auf. Der Glaube hält ſich an die Selbſtſtändigkeit Gottes; die Liebe hebt ſie auf. Gott iſt die Liebe, heißt: Gott iſt nichts für ſich; wer liebt, gibt ſeine egoiſtiſche Selbſtſtändigkeit auf; er macht, was er liebt, zum Unentbehrlichen, Weſentlichen ſeiner Exiſtenz. Der Begriff der Liebe iſt der der Identität. Aber zugleich taucht doch wieder, während ich in die Tiefe der Liebe das Selbſt verſenke, der Gedanke des Subjects auf und ſtört die Harmonie des göttlichen und menſchli- chen Weſens, welche die Liebe geſtiftet. Der Glaube tritt mit ſeinen Prätenſionen auf und räumt der Liebe nur ſo viel ein, als überhaupt einem Prädicat im gewöhnlichen Sinne zukommt. Er läßt die Liebe ſich nicht frei entfalten; er macht ſie zu einem Abſtractum, ſich zum Concretum, zur Sache, zum Fundament. Die Liebe des Glaubens iſt nur eine rheto- riſche Figur, eine poetiſche Fiction des Glaubens — der be- trunkne, der ſich ſelbſt betäubende Glaube. Kommt der Glaube wieder zu ſich, ſo iſt auch die Liebe dahin.
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Gottes, bald wieder der Perſönlichkeit Gottes die Liebe
aufopfere. Die Geſchichte des Chriſtenthums hat dieſen Wi-
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daß ihm in dieſer Liebe ganz die Perſönlichkeit Gottes ver-
ſchwand. Aber zugleich opferte er wieder in einer und derſel-
ben Seele der Majeſtät des Glaubens die Liebe auf. Der
Glaube hält ſich an die Selbſtſtändigkeit Gottes; die Liebe
hebt ſie auf. Gott iſt die Liebe, heißt: Gott iſt nichts für
ſich; wer liebt, gibt ſeine egoiſtiſche Selbſtſtändigkeit auf; er
macht, was er liebt, zum Unentbehrlichen, Weſentlichen ſeiner
Exiſtenz. Der Begriff der Liebe iſt der der Identität.
Aber zugleich taucht doch wieder, während ich in die Tiefe
der Liebe das Selbſt verſenke, der Gedanke des Subjects
auf und ſtört die Harmonie des göttlichen und menſchli-
chen Weſens, welche die Liebe geſtiftet. Der Glaube tritt mit
ſeinen Prätenſionen auf und räumt der Liebe nur ſo viel ein,
als überhaupt einem Prädicat im gewöhnlichen Sinne zukommt.
Er läßt die Liebe ſich nicht frei entfalten; er macht ſie zu
einem Abſtractum, ſich zum Concretum, zur Sache, zum
Fundament. Die Liebe des Glaubens iſt nur eine rheto-
riſche Figur, eine poetiſche Fiction des Glaubens — der be-
trunkne, der ſich ſelbſt betäubende Glaube. Kommt der
Glaube wieder zu ſich, ſo iſt auch die Liebe dahin.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/379>, abgerufen am 05.12.2024.
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