Menschen vom Sklaven und setzt den Sklaven als Menschen auf gleichen Fuß mit dem Herrn, indem er selbst Freundschaft zwischen beiden schließt. Sklaven waren selbst Philosophen. Epiktet, der Sklave, war Stoiker; Antonin, der Kaiser, war es auch. So einte die Philosophie die Menschen. Die Stoi- ker*) lehrten, der Mensch sei nicht um seinetwillen, sondern um der Andern willen, d. h. zur Liebe geboren -- ein Aus- spruch, der unendlich mehr sagt, als das rühmlichst bekannte, die Feindesliebe gebietende Wort des Kaisers Antonin. Das praktische Princip der Stoiker ist insofern das Princip der Liebe. Die Welt ist ihnen eine gemeinsame Stadt, die Men- schen Mitbürger. Seneca namentlich feiert in den erhabensten Aussprüchen die Liebe, die Clementia, die Humanität beson- ders gegen die Sklaven. So war der politische Rigorismus, die patriotische Engherzigkeit und Bornirtheit verschwunden.
Eine besondere Erscheinung dieser menschheitlichen Be- strebungen -- die volksthümliche, populäre, darum religiöse Erscheinung dieses neuen Princips war das Christenthum. Was anderwärts auf dem Wege der Bildung sich geltend machte, das sprach sich hier als religiöses Gemüth, als Glau- benssache aus. Darum machte das Christenthum selbst wie- der eine allgemeine Einheit zu einer besondern, die Liebe zur Sache des Glaubens, aber setzte sie eben dadurch in Wi- derspruch mit der allgemeinen Liebe. Die Einheit wurde nicht bis auf ihren Ursprung zurückgeführt. Die Nationaldifferen- zen verschwanden; dafür tritt aber jetzt die Glaubensdiffe- renz, der Gegensatz von Christlich und Unchristlich, hef-
*) Auch die Peripatetiker; aber sie gründeten die Liebe, auch die gegen alle Menschen, nicht auf ein besonderes, religiöses, sondern ein natürliches Princip.
Menſchen vom Sklaven und ſetzt den Sklaven als Menſchen auf gleichen Fuß mit dem Herrn, indem er ſelbſt Freundſchaft zwiſchen beiden ſchließt. Sklaven waren ſelbſt Philoſophen. Epiktet, der Sklave, war Stoiker; Antonin, der Kaiſer, war es auch. So einte die Philoſophie die Menſchen. Die Stoi- ker*) lehrten, der Menſch ſei nicht um ſeinetwillen, ſondern um der Andern willen, d. h. zur Liebe geboren — ein Aus- ſpruch, der unendlich mehr ſagt, als das rühmlichſt bekannte, die Feindesliebe gebietende Wort des Kaiſers Antonin. Das praktiſche Princip der Stoiker iſt inſofern das Princip der Liebe. Die Welt iſt ihnen eine gemeinſame Stadt, die Men- ſchen Mitbürger. Seneca namentlich feiert in den erhabenſten Ausſprüchen die Liebe, die Clementia, die Humanität beſon- ders gegen die Sklaven. So war der politiſche Rigorismus, die patriotiſche Engherzigkeit und Bornirtheit verſchwunden.
Eine beſondere Erſcheinung dieſer menſchheitlichen Be- ſtrebungen — die volksthümliche, populäre, darum religiöſe Erſcheinung dieſes neuen Princips war das Chriſtenthum. Was anderwärts auf dem Wege der Bildung ſich geltend machte, das ſprach ſich hier als religiöſes Gemüth, als Glau- bensſache aus. Darum machte das Chriſtenthum ſelbſt wie- der eine allgemeine Einheit zu einer beſondern, die Liebe zur Sache des Glaubens, aber ſetzte ſie eben dadurch in Wi- derſpruch mit der allgemeinen Liebe. Die Einheit wurde nicht bis auf ihren Urſprung zurückgeführt. Die Nationaldifferen- zen verſchwanden; dafür tritt aber jetzt die Glaubensdiffe- renz, der Gegenſatz von Chriſtlich und Unchriſtlich, hef-
*) Auch die Peripatetiker; aber ſie gründeten die Liebe, auch die gegen alle Menſchen, nicht auf ein beſonderes, religiöſes, ſondern ein natürliches Princip.
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Menſchen vom Sklaven und ſetzt den Sklaven als Menſchen
auf gleichen Fuß mit dem Herrn, indem er ſelbſt Freundſchaft
zwiſchen beiden ſchließt. Sklaven waren ſelbſt Philoſophen.
Epiktet, der Sklave, war Stoiker; Antonin, der Kaiſer, war
es auch. So einte die Philoſophie die Menſchen. Die Stoi-
ker *) lehrten, der Menſch ſei nicht um ſeinetwillen, ſondern
um der Andern willen, d. h. zur Liebe geboren — ein Aus-
ſpruch, der unendlich mehr ſagt, als das rühmlichſt bekannte,
die Feindesliebe gebietende Wort des Kaiſers Antonin. Das
praktiſche Princip der Stoiker iſt inſofern das Princip der
Liebe. Die Welt iſt ihnen eine gemeinſame Stadt, die Men-
ſchen Mitbürger. Seneca namentlich feiert in den erhabenſten
Ausſprüchen die Liebe, die Clementia, die Humanität beſon-
ders gegen die Sklaven. So war der politiſche Rigorismus,
die patriotiſche Engherzigkeit und Bornirtheit verſchwunden.
Eine beſondere Erſcheinung dieſer menſchheitlichen Be-
ſtrebungen — die volksthümliche, populäre, darum religiöſe
Erſcheinung dieſes neuen Princips war das Chriſtenthum.
Was anderwärts auf dem Wege der Bildung ſich geltend
machte, das ſprach ſich hier als religiöſes Gemüth, als Glau-
bensſache aus. Darum machte das Chriſtenthum ſelbſt wie-
der eine allgemeine Einheit zu einer beſondern, die Liebe
zur Sache des Glaubens, aber ſetzte ſie eben dadurch in Wi-
derſpruch mit der allgemeinen Liebe. Die Einheit wurde nicht
bis auf ihren Urſprung zurückgeführt. Die Nationaldifferen-
zen verſchwanden; dafür tritt aber jetzt die Glaubensdiffe-
renz, der Gegenſatz von Chriſtlich und Unchriſtlich, hef-
*) Auch die Peripatetiker; aber ſie gründeten die Liebe, auch die
gegen alle Menſchen, nicht auf ein beſonderes, religiöſes, ſondern
ein natürliches Princip.
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/384>, abgerufen am 05.12.2024.
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