Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmischenden Her- zen gegenüber kalt, indifferent, abstract, d. h. frei -- ich denke also nicht, um mein Herz zu befriedigen, sondern um meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu befriedigen; ich denke nur im Interesse der Vernunft, aus rei- nem Erkenntnißtriebe, will von Gott nur den Genuß der lautern, unvermischten Intelligenz. Nothwendig ist daher der Gott des rationellen Kopfes ein andrer, als der Gott des nur sich selbst im Denken, in der Vernunft befriedigen wollenden Herzens. Und dieß will eben der mystische Mensch, der nicht das läuternde Feuer der scheidenden und begränzenden Kritik verträgt; denn sein Kopf ist stets umnebelt von den Dämpfen, die aus der ungelöschten Brunst seines begehrlichen Gemüths aufsteigen. Er kommt nie zum abstracten, d. h. interesselosen, freien Denken, aber eben deßwegen auch nie zur Anschauung der Dinge in ihrer einfachen Natür- lichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit; er identificirt daher, ein geistiger Hermaphrodit und Onanist, unmittelbar, ohne Kritik das männliche Princip des Denkens und das weib- liche der sinnlichen Anschauung, d. h. er setzt sich einen Gott, in dem er in der Befriedigung seines Erkenntnißtriebes unmittelbar zugleich seinen Geschlechtstrieb, d. h. den Trieb nach einem persönlichen Wesen befriedigt. So ist auch nur aus der Unzucht eines mystischen Hermaphroditismus, aus einem wollüstigen Traume, aus einer krankhaften Meta- stase des Zeugungsstoffes in das Hirn das. Monstrum der Schelling'schen Natur in Gott entsprossen; denn diese Natur re- präsentirt, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der In- telligenz verfinsternden Begierden des Fleisches.
In Betreff der Trinität noch diese Bemerkung. Die äl- tern Theologen sagten, daß die wesentlichen Attribute Gottes als Gottes schon aus dem Lichte der natürlichen Vernunft erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft aus sich selbst das göttliche Wesen erkennen, als weil das göttliche Wesen nichts andres ist als das eigne objective Wesen
Feuerbach. 26
Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmiſchenden Her- zen gegenüber kalt, indifferent, abſtract, d. h. frei — ich denke alſo nicht, um mein Herz zu befriedigen, ſondern um meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu befriedigen; ich denke nur im Intereſſe der Vernunft, aus rei- nem Erkenntnißtriebe, will von Gott nur den Genuß der lautern, unvermiſchten Intelligenz. Nothwendig iſt daher der Gott des rationellen Kopfes ein andrer, als der Gott des nur ſich ſelbſt im Denken, in der Vernunft befriedigen wollenden Herzens. Und dieß will eben der myſtiſche Menſch, der nicht das läuternde Feuer der ſcheidenden und begränzenden Kritik verträgt; denn ſein Kopf iſt ſtets umnebelt von den Dämpfen, die aus der ungelöſchten Brunſt ſeines begehrlichen Gemüths aufſteigen. Er kommt nie zum abſtracten, d. h. intereſſeloſen, freien Denken, aber eben deßwegen auch nie zur Anſchauung der Dinge in ihrer einfachen Natür- lichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit; er identificirt daher, ein geiſtiger Hermaphrodit und Onaniſt, unmittelbar, ohne Kritik das männliche Princip des Denkens und das weib- liche der ſinnlichen Anſchauung, d. h. er ſetzt ſich einen Gott, in dem er in der Befriedigung ſeines Erkenntnißtriebes unmittelbar zugleich ſeinen Geſchlechtstrieb, d. h. den Trieb nach einem perſönlichen Weſen befriedigt. So iſt auch nur aus der Unzucht eines myſtiſchen Hermaphroditismus, aus einem wollüſtigen Traume, aus einer krankhaften Meta- ſtaſe des Zeugungsſtoffes in das Hirn das. Monſtrum der Schelling’ſchen Natur in Gott entſproſſen; denn dieſe Natur re- präſentirt, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der In- telligenz verfinſternden Begierden des Fleiſches.
In Betreff der Trinität noch dieſe Bemerkung. Die äl- tern Theologen ſagten, daß die weſentlichen Attribute Gottes als Gottes ſchon aus dem Lichte der natürlichen Vernunft erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft aus ſich ſelbſt das göttliche Weſen erkennen, als weil das göttliche Weſen nichts andres iſt als das eigne objective Weſen
Feuerbach. 26
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Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmiſchenden Her-
zen gegenüber kalt, indifferent, abſtract, d. h. frei — ich
denke alſo nicht, um mein Herz zu befriedigen, ſondern um
meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu
befriedigen; ich denke nur im Intereſſe der Vernunft, aus rei-
nem Erkenntnißtriebe, will von Gott nur den Genuß der
lautern, unvermiſchten Intelligenz. Nothwendig iſt daher
der Gott des rationellen Kopfes ein andrer, als der Gott
des nur ſich ſelbſt im Denken, in der Vernunft befriedigen
wollenden Herzens. Und dieß will eben der myſtiſche Menſch,
der nicht das läuternde Feuer der ſcheidenden und begränzenden
Kritik verträgt; denn ſein Kopf iſt ſtets umnebelt von den
Dämpfen, die aus der ungelöſchten Brunſt ſeines begehrlichen
Gemüths aufſteigen. Er kommt nie zum abſtracten, d. h.
intereſſeloſen, freien Denken, aber eben deßwegen auch nie
zur Anſchauung der Dinge in ihrer einfachen Natür-
lichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit; er identificirt daher,
ein geiſtiger Hermaphrodit und Onaniſt, unmittelbar, ohne
Kritik das männliche Princip des Denkens und das weib-
liche der ſinnlichen Anſchauung, d. h. er ſetzt ſich einen Gott,
in dem er in der Befriedigung ſeines Erkenntnißtriebes
unmittelbar zugleich ſeinen Geſchlechtstrieb, d. h. den
Trieb nach einem perſönlichen Weſen befriedigt. So iſt auch
nur aus der Unzucht eines myſtiſchen Hermaphroditismus,
aus einem wollüſtigen Traume, aus einer krankhaften Meta-
ſtaſe des Zeugungsſtoffes in das Hirn das. Monſtrum der
Schelling’ſchen Natur in Gott entſproſſen; denn dieſe Natur re-
präſentirt, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der In-
telligenz verfinſternden Begierden des Fleiſches.
In Betreff der Trinität noch dieſe Bemerkung. Die äl-
tern Theologen ſagten, daß die weſentlichen Attribute
Gottes als Gottes ſchon aus dem Lichte der natürlichen
Vernunft erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft
aus ſich ſelbſt das göttliche Weſen erkennen, als weil das
göttliche Weſen nichts andres iſt als das eigne objective Weſen
Feuerbach. 26
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/419>, abgerufen am 05.12.2024.
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