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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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der Intelligenz? Von der Trinität aber sagten sie, daß sie nur
aus der Offenbarung erkennbar sei. Warum nicht aus der
Vernunft? weil sie der Vernunft widerspricht, d. h. weil sie
kein Vernunftbedürfniß, sondern ein sinnliches, gemüthliches
Bedürfniß ausdrückt. Uebrigens heißt: Etwas stammt aus
der Offenbarung, überhaupt nur so viel als: Etwas ist uns
nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dog-
men der Religion sind entsprungen zu gewissen Zeiten, aus
bestimmten Bedürfnissen, unter bestimmten Verhältnissen und
Vorstellungen; deßwegen den Menschen einer spätern Zeit,
in der diese Verhältnisse, Bedürfnisse, Vorstellungen verschwun-
den, etwas Unverständliches, Unbegreifliches, nur Ueberliefer-
tes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegensatz von Offenbarung und
Vernunft reducirt sich nur auf den Gegensatz von Geschichte
und Vernunft, nur darauf, daß die Menschheit zu einer ge-
wissen Zeit nicht mehr kann, was sie zu einer andern Zeit
recht gut vermochte, gleichwie auch der Mensch als Individuum
nicht gleichgültig zu jeder Zeit, sondern nur in den Momenten
besonderer Aufforderung von Außen und Aufregung von Innen
sein Vermögen entfaltet. So entstehen die Werke des Genies
immer nur unter ganz besondern, nur einmal so zusammentref-
fenden innern und äußern Bedingungen; sie sind apax lego-
mena. "Einmal ist alles Wahre nur." Daher dem Menschen
in spätern Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbe-
greiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er sie er-
zeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann sie sich jetzt nicht
mehr aus sich erklären, noch weniger wieder hervorbringen.
Das soll aber auch nicht sein. Solche Repetition wäre un-
nöthig, und, weil unnöthig, geistlos. Wir wiederholen es:
"Einmal ist alles Wahre nur." Nur was einmal, geschieht
nothwendig, und nur, was nothwendig, ist wahr. Die
Noth ist das Geheimniß jeder wahren Schöpfung. Nur wo
Noth, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie,
der Geist der unfehlbaren Wahrheit. So thöricht es daher wäre,
wenn wir in reifern Jahren die Werke unsrer Jugend, weil

der Intelligenz? Von der Trinität aber ſagten ſie, daß ſie nur
aus der Offenbarung erkennbar ſei. Warum nicht aus der
Vernunft? weil ſie der Vernunft widerſpricht, d. h. weil ſie
kein Vernunftbedürfniß, ſondern ein ſinnliches, gemüthliches
Bedürfniß ausdrückt. Uebrigens heißt: Etwas ſtammt aus
der Offenbarung, überhaupt nur ſo viel als: Etwas iſt uns
nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dog-
men der Religion ſind entſprungen zu gewiſſen Zeiten, aus
beſtimmten Bedürfniſſen, unter beſtimmten Verhältniſſen und
Vorſtellungen; deßwegen den Menſchen einer ſpätern Zeit,
in der dieſe Verhältniſſe, Bedürfniſſe, Vorſtellungen verſchwun-
den, etwas Unverſtändliches, Unbegreifliches, nur Ueberliefer-
tes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegenſatz von Offenbarung und
Vernunft reducirt ſich nur auf den Gegenſatz von Geſchichte
und Vernunft, nur darauf, daß die Menſchheit zu einer ge-
wiſſen Zeit nicht mehr kann, was ſie zu einer andern Zeit
recht gut vermochte, gleichwie auch der Menſch als Individuum
nicht gleichgültig zu jeder Zeit, ſondern nur in den Momenten
beſonderer Aufforderung von Außen und Aufregung von Innen
ſein Vermögen entfaltet. So entſtehen die Werke des Genies
immer nur unter ganz beſondern, nur einmal ſo zuſammentref-
fenden innern und äußern Bedingungen; ſie ſind ἅπαξ λεγό-
μενα. „Einmal iſt alles Wahre nur.“ Daher dem Menſchen
in ſpätern Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbe-
greiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er ſie er-
zeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann ſie ſich jetzt nicht
mehr aus ſich erklären, noch weniger wieder hervorbringen.
Das ſoll aber auch nicht ſein. Solche Repetition wäre un-
nöthig, und, weil unnöthig, geiſtlos. Wir wiederholen es:
„Einmal iſt alles Wahre nur.“ Nur was einmal, geſchieht
nothwendig, und nur, was nothwendig, iſt wahr. Die
Noth iſt das Geheimniß jeder wahren Schöpfung. Nur wo
Noth, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie,
der Geiſt der unfehlbaren Wahrheit. So thöricht es daher wäre,
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[402/0420] der Intelligenz? Von der Trinität aber ſagten ſie, daß ſie nur aus der Offenbarung erkennbar ſei. Warum nicht aus der Vernunft? weil ſie der Vernunft widerſpricht, d. h. weil ſie kein Vernunftbedürfniß, ſondern ein ſinnliches, gemüthliches Bedürfniß ausdrückt. Uebrigens heißt: Etwas ſtammt aus der Offenbarung, überhaupt nur ſo viel als: Etwas iſt uns nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dog- men der Religion ſind entſprungen zu gewiſſen Zeiten, aus beſtimmten Bedürfniſſen, unter beſtimmten Verhältniſſen und Vorſtellungen; deßwegen den Menſchen einer ſpätern Zeit, in der dieſe Verhältniſſe, Bedürfniſſe, Vorſtellungen verſchwun- den, etwas Unverſtändliches, Unbegreifliches, nur Ueberliefer- tes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegenſatz von Offenbarung und Vernunft reducirt ſich nur auf den Gegenſatz von Geſchichte und Vernunft, nur darauf, daß die Menſchheit zu einer ge- wiſſen Zeit nicht mehr kann, was ſie zu einer andern Zeit recht gut vermochte, gleichwie auch der Menſch als Individuum nicht gleichgültig zu jeder Zeit, ſondern nur in den Momenten beſonderer Aufforderung von Außen und Aufregung von Innen ſein Vermögen entfaltet. So entſtehen die Werke des Genies immer nur unter ganz beſondern, nur einmal ſo zuſammentref- fenden innern und äußern Bedingungen; ſie ſind ἅπαξ λεγό- μενα. „Einmal iſt alles Wahre nur.“ Daher dem Menſchen in ſpätern Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbe- greiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er ſie er- zeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann ſie ſich jetzt nicht mehr aus ſich erklären, noch weniger wieder hervorbringen. Das ſoll aber auch nicht ſein. Solche Repetition wäre un- nöthig, und, weil unnöthig, geiſtlos. Wir wiederholen es: „Einmal iſt alles Wahre nur.“ Nur was einmal, geſchieht nothwendig, und nur, was nothwendig, iſt wahr. Die Noth iſt das Geheimniß jeder wahren Schöpfung. Nur wo Noth, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie, der Geiſt der unfehlbaren Wahrheit. So thöricht es daher wäre, wenn wir in reifern Jahren die Werke unſrer Jugend, weil

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/420>, abgerufen am 05.12.2024.