Körper der Auferstehung betrifft, so hatten sie hierüber nicht nur verschiedene, sondern auch sehr entgegengesetzte Vorstellungen -- Widersprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, sich nothwendig ergeben aus dem Grundwiderspruch des religiösen Bewußtseins, welcher sich in dieser Materie, wie gezeigt, darin offenbart, daß es im Wesen derselbe individuelle Leib, den wir vor der Auferstehung hatten, und doch wieder ein anderer, -- ein anderer und doch wieder derselbe sein soll. Und zwar derselbe Leib selbst bis auf die Haare, cum nec periturus sit capillus, ut ait Dominus: Capillus de capite vestro non peribit (Augustinus und Petrus L. I. IV. dist. 44, c. 1.) Jedoch zugleich wieder so derselbe, daß alles Lästige, alles dem naturentfremdeten Gemüthe Widersprechende beseitigt wird. Immo sicut dicit Augustinus: Detrahentur vitia et rema- nebit natura. Superexcrescentia autem capillorum et unguium est de superfluitate et vitio naturae. Si enim non peccasset homo, crescerent ungues et capilli ejus usque ad determinatam quantitatem, sicut in leonibus et avibus. (Addit. Henrici ab Vurimaria ibid. Edit. Basiliae 1513.) Welch determinirter, naiver, treuherziger, zuversichtlicher, harmonischer Glaube! Der aufer- standne Körper als derselbe und doch zugleich ein andrer, neuer Leib hat auch wieder Haare und Nägel -- sonst wäre er ein verstümmelter, einer wesentlichen Zierde beraubter Körper, folglich die Auferstehung nicht die restitutio in integrum -- und zwar dieselben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt so beschaffen, daß sie mit dem Wesen des neuen Körpers im Einklang sind. Dort ist ihnen der Trieb des Wachsthums genommen, dort überschreiten sie nicht das Maaß der Schick- lichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und Nägel abzuschneiden -- eben so wenig als die sinnlichen Triebe der übrigen Fleischesglieder, weil schon an und für sich der himmlische Leib ein abstracter, verschnittener Leib ist. Warum gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr in derlei Specialitäten ein, wie die ältern Theologen? Warum?
Körper der Auferſtehung betrifft, ſo hatten ſie hierüber nicht nur verſchiedene, ſondern auch ſehr entgegengeſetzte Vorſtellungen — Widerſprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, ſich nothwendig ergeben aus dem Grundwiderſpruch des religiöſen Bewußtſeins, welcher ſich in dieſer Materie, wie gezeigt, darin offenbart, daß es im Weſen derſelbe individuelle Leib, den wir vor der Auferſtehung hatten, und doch wieder ein anderer, — ein anderer und doch wieder derſelbe ſein ſoll. Und zwar derſelbe Leib ſelbſt bis auf die Haare, cum nec periturus sit capillus, ut ait Dominus: Capillus de capite vestro non peribit (Augustinus und Petrus L. I. IV. dist. 44, c. 1.) Jedoch zugleich wieder ſo derſelbe, daß alles Läſtige, alles dem naturentfremdeten Gemüthe Widerſprechende beſeitigt wird. Immo sicut dicit Augustinus: Detrahentur vitia et rema- nebit natura. Superexcrescentia autem capillorum et unguium est de superfluitate et vitio naturae. Si enim non peccasset homo, crescerent ungues et capilli ejus usque ad determinatam quantitatem, sicut in leonibus et avibus. (Addit. Henrici ab Vurimaria ibid. Edit. Basiliae 1513.) Welch determinirter, naiver, treuherziger, zuverſichtlicher, harmoniſcher Glaube! Der aufer- ſtandne Körper als derſelbe und doch zugleich ein andrer, neuer Leib hat auch wieder Haare und Nägel — ſonſt wäre er ein verſtümmelter, einer weſentlichen Zierde beraubter Körper, folglich die Auferſtehung nicht die restitutio in integrum — und zwar dieſelben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt ſo beſchaffen, daß ſie mit dem Weſen des neuen Körpers im Einklang ſind. Dort iſt ihnen der Trieb des Wachsthums genommen, dort überſchreiten ſie nicht das Maaß der Schick- lichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und Nägel abzuſchneiden — eben ſo wenig als die ſinnlichen Triebe der übrigen Fleiſchesglieder, weil ſchon an und für ſich der himmliſche Leib ein abſtracter, verſchnittener Leib iſt. Warum gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr in derlei Specialitäten ein, wie die ältern Theologen? Warum?
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Körper der Auferſtehung betrifft, ſo hatten ſie hierüber nicht nur
verſchiedene, ſondern auch ſehr entgegengeſetzte Vorſtellungen
— Widerſprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, ſich
nothwendig ergeben aus dem Grundwiderſpruch des religiöſen
Bewußtſeins, welcher ſich in dieſer Materie, wie gezeigt, darin
offenbart, daß es im Weſen derſelbe individuelle Leib, den wir
vor der Auferſtehung hatten, und doch wieder ein anderer,
— ein anderer und doch wieder derſelbe ſein ſoll. Und zwar
derſelbe Leib ſelbſt bis auf die Haare, cum nec periturus sit
capillus, ut ait Dominus: Capillus de capite vestro non
peribit (Augustinus und Petrus L. I. IV. dist. 44, c. 1.)
Jedoch zugleich wieder ſo derſelbe, daß alles Läſtige, alles dem
naturentfremdeten Gemüthe Widerſprechende beſeitigt wird.
Immo sicut dicit Augustinus: Detrahentur vitia et rema-
nebit natura. Superexcrescentia autem capillorum
et unguium est de superfluitate et vitio naturae.
Si enim non peccasset homo, crescerent ungues et
capilli ejus usque ad determinatam quantitatem,
sicut in leonibus et avibus. (Addit. Henrici ab Vurimaria
ibid. Edit. Basiliae 1513.) Welch determinirter, naiver,
treuherziger, zuverſichtlicher, harmoniſcher Glaube! Der aufer-
ſtandne Körper als derſelbe und doch zugleich ein andrer, neuer
Leib hat auch wieder Haare und Nägel — ſonſt wäre er ein
verſtümmelter, einer weſentlichen Zierde beraubter Körper,
folglich die Auferſtehung nicht die restitutio in integrum —
und zwar dieſelben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt ſo
beſchaffen, daß ſie mit dem Weſen des neuen Körpers im
Einklang ſind. Dort iſt ihnen der Trieb des Wachsthums
genommen, dort überſchreiten ſie nicht das Maaß der Schick-
lichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und
Nägel abzuſchneiden — eben ſo wenig als die ſinnlichen Triebe
der übrigen Fleiſchesglieder, weil ſchon an und für ſich der
himmliſche Leib ein abſtracter, verſchnittener Leib iſt. Warum
gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/441>, abgerufen am 05.12.2024.
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