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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Welt nicht für sich, sondern für den Menschen oder überhaupt
ein verständiges Wesen, dieses also der Zweck der Welt sei, ist
im Grunde identisch mit der Lehre, daß die Zweckthätigkeit,
der Verstand die Welt hervorgebracht habe. So ist also der
göttliche Verstand nichts andres als der sich bewährende mensch-
liche Verstand -- der Unterschied daher jenes von diesem nur
eine fromme Illusion, eine Phantasie oder eine raffinirte Selbst-
täuschung, eine Lüge. Die Ableitung der Welt aus dem Ver-
stande, das rationelle Bedürfniß einer verständigen Ursache
stützt sich ja eben auf die Wahrnehmung, daß in der Welt im
Widerspruch mit ihrem -- vorausgesetzten, sei es nun wirklichen
oder vermeintlichen -- Wesen Ordnung, Zweck, Verstand
obwaltet, daß die Welt nach Gesetzen bestimmt und regiert
wird, die der Mensch eben als verständige, mit seinem Ver-
stande übereinstimmende
erkennt. Er findet z. B. daß die
Thiere zu ihren verschiedenen Lebensbestimmungen passende
Organe haben, daß also auch hier das Verstandesgesetz gilt,
daß man, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, ein bestimmtes
entsprechendes Mittel ergreifen muß; er findet, daß sich der
chemische Stoff in Würfeln, Rhomben, Octaedern krystallisirt,
daß also auch in der Natur die Gesetze der Arithmetik und Geome-
trie, wenn auch mit Modificationen, walten, auch in ihr zwei
mal zwei vier ist. Wäre es anders in der Natur, zwei mal
zwei nicht vier, die gerade Linie ein Kreis, das Quadrat ein
Dreieck, kurz widersprächen ihre Gesetze den Gesetzen des Ver-
standes, so würde es dem Menschen nie, auch nicht im Traume
einfallen, diese boshafte Satyre auf den Verstand aus dem
Verstande abzuleiten. Welch eine Selbsttäuschung ist es also,
den Grund dieses Verstandes in der Natur oder vielmehr die-
sen Verstand selbst, dessen Annahme sich nur gründet auf die
Wahrnehmung der Uebereinstimmung desselben mit dem Ver-
stande des Menschen, zu einem andern, vom Verstande des
Menschen wesentlich unterschiednen Verstande zu machen!
Welch ein Selbstbetrug! Dem Verstande ist das Bewußtsein
seiner Einheit und Universalität wesentlich; er ist selbst nichts

Welt nicht für ſich, ſondern für den Menſchen oder überhaupt
ein verſtändiges Weſen, dieſes alſo der Zweck der Welt ſei, iſt
im Grunde identiſch mit der Lehre, daß die Zweckthätigkeit,
der Verſtand die Welt hervorgebracht habe. So iſt alſo der
göttliche Verſtand nichts andres als der ſich bewährende menſch-
liche Verſtand — der Unterſchied daher jenes von dieſem nur
eine fromme Illuſion, eine Phantaſie oder eine raffinirte Selbſt-
täuſchung, eine Lüge. Die Ableitung der Welt aus dem Ver-
ſtande, das rationelle Bedürfniß einer verſtändigen Urſache
ſtützt ſich ja eben auf die Wahrnehmung, daß in der Welt im
Widerſpruch mit ihrem — vorausgeſetzten, ſei es nun wirklichen
oder vermeintlichen — Weſen Ordnung, Zweck, Verſtand
obwaltet, daß die Welt nach Geſetzen beſtimmt und regiert
wird, die der Menſch eben als verſtändige, mit ſeinem Ver-
ſtande übereinſtimmende
erkennt. Er findet z. B. daß die
Thiere zu ihren verſchiedenen Lebensbeſtimmungen paſſende
Organe haben, daß alſo auch hier das Verſtandesgeſetz gilt,
daß man, um einen beſtimmten Zweck zu erreichen, ein beſtimmtes
entſprechendes Mittel ergreifen muß; er findet, daß ſich der
chemiſche Stoff in Würfeln, Rhomben, Octaedern kryſtalliſirt,
daß alſo auch in der Natur die Geſetze der Arithmetik und Geome-
trie, wenn auch mit Modificationen, walten, auch in ihr zwei
mal zwei vier iſt. Wäre es anders in der Natur, zwei mal
zwei nicht vier, die gerade Linie ein Kreis, das Quadrat ein
Dreieck, kurz widerſprächen ihre Geſetze den Geſetzen des Ver-
ſtandes, ſo würde es dem Menſchen nie, auch nicht im Traume
einfallen, dieſe boshafte Satyre auf den Verſtand aus dem
Verſtande abzuleiten. Welch eine Selbſttäuſchung iſt es alſo,
den Grund dieſes Verſtandes in der Natur oder vielmehr die-
ſen Verſtand ſelbſt, deſſen Annahme ſich nur gründet auf die
Wahrnehmung der Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Ver-
ſtande des Menſchen, zu einem andern, vom Verſtande des
Menſchen weſentlich unterſchiednen Verſtande zu machen!
Welch ein Selbſtbetrug! Dem Verſtande iſt das Bewußtſein
ſeiner Einheit und Univerſalität weſentlich; er iſt ſelbſt nichts

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[425/0443] Welt nicht für ſich, ſondern für den Menſchen oder überhaupt ein verſtändiges Weſen, dieſes alſo der Zweck der Welt ſei, iſt im Grunde identiſch mit der Lehre, daß die Zweckthätigkeit, der Verſtand die Welt hervorgebracht habe. So iſt alſo der göttliche Verſtand nichts andres als der ſich bewährende menſch- liche Verſtand — der Unterſchied daher jenes von dieſem nur eine fromme Illuſion, eine Phantaſie oder eine raffinirte Selbſt- täuſchung, eine Lüge. Die Ableitung der Welt aus dem Ver- ſtande, das rationelle Bedürfniß einer verſtändigen Urſache ſtützt ſich ja eben auf die Wahrnehmung, daß in der Welt im Widerſpruch mit ihrem — vorausgeſetzten, ſei es nun wirklichen oder vermeintlichen — Weſen Ordnung, Zweck, Verſtand obwaltet, daß die Welt nach Geſetzen beſtimmt und regiert wird, die der Menſch eben als verſtändige, mit ſeinem Ver- ſtande übereinſtimmende erkennt. Er findet z. B. daß die Thiere zu ihren verſchiedenen Lebensbeſtimmungen paſſende Organe haben, daß alſo auch hier das Verſtandesgeſetz gilt, daß man, um einen beſtimmten Zweck zu erreichen, ein beſtimmtes entſprechendes Mittel ergreifen muß; er findet, daß ſich der chemiſche Stoff in Würfeln, Rhomben, Octaedern kryſtalliſirt, daß alſo auch in der Natur die Geſetze der Arithmetik und Geome- trie, wenn auch mit Modificationen, walten, auch in ihr zwei mal zwei vier iſt. Wäre es anders in der Natur, zwei mal zwei nicht vier, die gerade Linie ein Kreis, das Quadrat ein Dreieck, kurz widerſprächen ihre Geſetze den Geſetzen des Ver- ſtandes, ſo würde es dem Menſchen nie, auch nicht im Traume einfallen, dieſe boshafte Satyre auf den Verſtand aus dem Verſtande abzuleiten. Welch eine Selbſttäuſchung iſt es alſo, den Grund dieſes Verſtandes in der Natur oder vielmehr die- ſen Verſtand ſelbſt, deſſen Annahme ſich nur gründet auf die Wahrnehmung der Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Ver- ſtande des Menſchen, zu einem andern, vom Verſtande des Menſchen weſentlich unterſchiednen Verſtande zu machen! Welch ein Selbſtbetrug! Dem Verſtande iſt das Bewußtſein ſeiner Einheit und Univerſalität weſentlich; er iſt ſelbſt nichts

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/443>, abgerufen am 05.12.2024.