hin einfach ein ens simplicissimum sein, so läugnete die Einfachheit die Trinität; Gott war Gott-Mensch und doch sollte die Gottheit nicht von der Menschheit tangirt oder auf- gehoben werden, d. h. wesentlich von ihr geschieden sein; so läugnete die Unvereinbarkeit der göttlichen und menschlichen Bestimmungen die Einheit der beiden Wesen. Wir haben demnach schon im Gott-Menschen selbst den Läugner, den Erzfeind des Gottmenschen, den Rationalismus, nur daß er hier zugleich noch mit seinem Gegensatze behaftet war. Der Socinianismus negirte also nur, was der Glaube selbst ne- girte, zugleich aber im Widerspruch mit sich wieder behaup- tete; er negirte nur einen Widerspruch, nur eine Unwahrheit.
Gleichwohl haben aber doch auch wieder die Christen die Menschwerdung Gottes als ein Werk der Liebe gefeiert, als eine Selbstaufopferung Gottes, als eine Verläugnung seiner Majestät -- Amor triumphat de Deo -- denn die Liebe Gottes ist ein leeres Wort, wenn sie nicht als wirkliche Auf- hebung seines Unterschieds vom Menschen gefaßt wird. Wir haben daher im Mittelpunkt des Christenthums den am Schluß entwickelten Widerspruch von Glaube und Liebe. Der Glaube macht das Leiden Gottes zu einem Scheine, die Liebe zu einer Wahrheit. Nur auf der Wahrheit des Leidens beruht der wahre, positive Eindruck der Incarnation. So sehr wir da- her den Widerspruch und Zwiespalt zwischen der menschlichen und göttlichen Natur im Gottmenschen hervorgehoben haben, so sehr müssen wir hinwiederum die Gemeinschaft und Einheit derselben hervorheben, vermöge welcher Gott wirklich Mensch und der Mensch wirklich Gott ist. Hier haben wir darum den unwidersprechlichen, unumstößlichen und zugleich sinnfälligen Beweis, daß der Mittelpunkt, der höchste Gegenstand des Christenthums nichts andres als der Mensch ist, daß die Chri- sten das menschliche Individuum als Gott und Gott als das menschliche Individuum angebetet haben. "Le- bendig machen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Him- mel und auf Erden, alles in seinen Händen haben, alles unter
hin einfach ein ens simplicissimum ſein, ſo läugnete die Einfachheit die Trinität; Gott war Gott-Menſch und doch ſollte die Gottheit nicht von der Menſchheit tangirt oder auf- gehoben werden, d. h. weſentlich von ihr geſchieden ſein; ſo läugnete die Unvereinbarkeit der göttlichen und menſchlichen Beſtimmungen die Einheit der beiden Weſen. Wir haben demnach ſchon im Gott-Menſchen ſelbſt den Läugner, den Erzfeind des Gottmenſchen, den Rationalismus, nur daß er hier zugleich noch mit ſeinem Gegenſatze behaftet war. Der Socinianismus negirte alſo nur, was der Glaube ſelbſt ne- girte, zugleich aber im Widerſpruch mit ſich wieder behaup- tete; er negirte nur einen Widerſpruch, nur eine Unwahrheit.
Gleichwohl haben aber doch auch wieder die Chriſten die Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe gefeiert, als eine Selbſtaufopferung Gottes, als eine Verläugnung ſeiner Majeſtät — Amor triumphat de Deo — denn die Liebe Gottes iſt ein leeres Wort, wenn ſie nicht als wirkliche Auf- hebung ſeines Unterſchieds vom Menſchen gefaßt wird. Wir haben daher im Mittelpunkt des Chriſtenthums den am Schluß entwickelten Widerſpruch von Glaube und Liebe. Der Glaube macht das Leiden Gottes zu einem Scheine, die Liebe zu einer Wahrheit. Nur auf der Wahrheit des Leidens beruht der wahre, poſitive Eindruck der Incarnation. So ſehr wir da- her den Widerſpruch und Zwieſpalt zwiſchen der menſchlichen und göttlichen Natur im Gottmenſchen hervorgehoben haben, ſo ſehr müſſen wir hinwiederum die Gemeinſchaft und Einheit derſelben hervorheben, vermöge welcher Gott wirklich Menſch und der Menſch wirklich Gott iſt. Hier haben wir darum den unwiderſprechlichen, unumſtößlichen und zugleich ſinnfälligen Beweis, daß der Mittelpunkt, der höchſte Gegenſtand des Chriſtenthums nichts andres als der Menſch iſt, daß die Chri- ſten das menſchliche Individuum als Gott und Gott als das menſchliche Individuum angebetet haben. „Le- bendig machen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Him- mel und auf Erden, alles in ſeinen Händen haben, alles unter
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hin einfach ein ens simplicissimum ſein, ſo läugnete die
Einfachheit die Trinität; Gott war Gott-Menſch und doch
ſollte die Gottheit nicht von der Menſchheit tangirt oder auf-
gehoben werden, d. h. weſentlich von ihr geſchieden ſein; ſo
läugnete die Unvereinbarkeit der göttlichen und menſchlichen
Beſtimmungen die Einheit der beiden Weſen. Wir haben
demnach ſchon im Gott-Menſchen ſelbſt den Läugner, den
Erzfeind des Gottmenſchen, den Rationalismus, nur daß
er hier zugleich noch mit ſeinem Gegenſatze behaftet war. Der
Socinianismus negirte alſo nur, was der Glaube ſelbſt ne-
girte, zugleich aber im Widerſpruch mit ſich wieder behaup-
tete; er negirte nur einen Widerſpruch, nur eine Unwahrheit.
Gleichwohl haben aber doch auch wieder die Chriſten die
Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe gefeiert, als
eine Selbſtaufopferung Gottes, als eine Verläugnung ſeiner
Majeſtät — Amor triumphat de Deo — denn die Liebe
Gottes iſt ein leeres Wort, wenn ſie nicht als wirkliche Auf-
hebung ſeines Unterſchieds vom Menſchen gefaßt wird. Wir
haben daher im Mittelpunkt des Chriſtenthums den am Schluß
entwickelten Widerſpruch von Glaube und Liebe. Der Glaube
macht das Leiden Gottes zu einem Scheine, die Liebe zu einer
Wahrheit. Nur auf der Wahrheit des Leidens beruht der
wahre, poſitive Eindruck der Incarnation. So ſehr wir da-
her den Widerſpruch und Zwieſpalt zwiſchen der menſchlichen
und göttlichen Natur im Gottmenſchen hervorgehoben haben,
ſo ſehr müſſen wir hinwiederum die Gemeinſchaft und Einheit
derſelben hervorheben, vermöge welcher Gott wirklich Menſch
und der Menſch wirklich Gott iſt. Hier haben wir darum den
unwiderſprechlichen, unumſtößlichen und zugleich ſinnfälligen
Beweis, daß der Mittelpunkt, der höchſte Gegenſtand des
Chriſtenthums nichts andres als der Menſch iſt, daß die Chri-
ſten das menſchliche Individuum als Gott und Gott
als das menſchliche Individuum angebetet haben. „Le-
bendig machen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Him-
mel und auf Erden, alles in ſeinen Händen haben, alles unter
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/449>, abgerufen am 05.12.2024.
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