unbedingter, entschiedner, lebendiger, sondern vielmehr ein skep- tischer, eklektischer, ungläubiger, durch die Macht der Kunst und Wissenschaft gebrochner und gelähmter Glaube ist. Wo keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube selbst kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt Anderes zu glauben, verzichtet auf seinen göttlichen Ursprung, degradirt sich selbst zu einer nur subjectiven Meinung. Der Glaube, der Andern den Zweifel an sich gestattet, ist ein dubiöser, ein an sich selbst zweifelnder Glaube. Nicht dem christli- chen Glauben, nicht der christlichen d. h. der durch den Glauben beschränkten Liebe, nein! dem Zweifel an dem christlichen Glauben, dem Sieg der religiösen Skepsis, den Freigeistern, den Häretikern verdanken wir die Toleranz der Glaubensfreiheit. Die von der christlichen Kirche verfolgten Ketzer nur verfochten die Glau- bensfreiheit. Die christliche Freiheit ist Freiheit nur im Unwesentlichen, den Grundartikel des Glaubens gibt sie nicht frei.
Der Glaube scheidet den Menschen vom Menschen, setzt an die Stelle der naturbegründeten Einheit und Liebe eine übernatürliche -- die Einheit des Glau- bens. Inter Christianum et gentilem non fides tantum debet, sed etiam vita distinguere ... Nolite, ait Aposto- lus, jugum ducere cum infidelibus ... Sit ergo inter nos et illos maxima separatio. Hieronymus (Epist. Caelantiae matronae). ... Prope nihil gravius quam co- pulari alienigenae ... Nam cum ipsum conjugium vela- mine sacerdotali et benedictione sanctificari oporteat: quomodo potest conjugium dici ubi non est fidei concordia? ... Saepe plerique capti amore feminarum fidem suam prodiderunt. Ambrosius. Ep. 70. Lib. IX. Non enim licet christiano cum gentili vel judaeo inire conjugium. Petrus L. (l. IV. dist. 39. c. 1.) Auch diese Scheidung ist keineswegs unbiblisch. Wir sehen ja vielmehr, daß die Kirchenväter sich gerade auf die Bibel berufen. Die
unbedingter, entſchiedner, lebendiger, ſondern vielmehr ein ſkep- tiſcher, eklektiſcher, ungläubiger, durch die Macht der Kunſt und Wiſſenſchaft gebrochner und gelähmter Glaube iſt. Wo keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube ſelbſt kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt Anderes zu glauben, verzichtet auf ſeinen göttlichen Urſprung, degradirt ſich ſelbſt zu einer nur ſubjectiven Meinung. Der Glaube, der Andern den Zweifel an ſich geſtattet, iſt ein dubiöſer, ein an ſich ſelbſt zweifelnder Glaube. Nicht dem chriſtli- chen Glauben, nicht der chriſtlichen d. h. der durch den Glauben beſchränkten Liebe, nein! dem Zweifel an dem chriſtlichen Glauben, dem Sieg der religiöſen Skepſis, den Freigeiſtern, den Häretikern verdanken wir die Toleranz der Glaubensfreiheit. Die von der chriſtlichen Kirche verfolgten Ketzer nur verfochten die Glau- bensfreiheit. Die chriſtliche Freiheit iſt Freiheit nur im Unweſentlichen, den Grundartikel des Glaubens gibt ſie nicht frei.
Der Glaube ſcheidet den Menſchen vom Menſchen, ſetzt an die Stelle der naturbegründeten Einheit und Liebe eine übernatürliche — die Einheit des Glau- bens. Inter Christianum et gentilem non fides tantum debet, sed etiam vita distinguere … Nolite, ait Aposto- lus, jugum ducere cum infidelibus … Sit ergo inter nos et illos maxima separatio. Hieronymus (Epist. Caelantiae matronae). … Prope nihil gravius quam co- pulari alienigenae … Nam cum ipsum conjugium vela- mine sacerdotali et benedictione sanctificari oporteat: quomodo potest conjugium dici ubi non est fidei concordia? … Saepe plerique capti amore feminarum fidem suam prodiderunt. Ambrosius. Ep. 70. Lib. IX. Non enim licet christiano cum gentili vel judaeo inire conjugium. Petrus L. (l. IV. dist. 39. c. 1.) Auch dieſe Scheidung iſt keineswegs unbibliſch. Wir ſehen ja vielmehr, daß die Kirchenväter ſich gerade auf die Bibel berufen. Die
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unbedingter, entſchiedner, lebendiger, ſondern vielmehr ein ſkep-
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und Wiſſenſchaft gebrochner und gelähmter Glaube iſt. Wo
keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube ſelbſt
kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt Anderes
zu glauben, verzichtet auf ſeinen göttlichen Urſprung, degradirt
ſich ſelbſt zu einer nur ſubjectiven Meinung. Der Glaube,
der Andern den Zweifel an ſich geſtattet, iſt ein dubiöſer, ein
an ſich ſelbſt zweifelnder Glaube. Nicht dem chriſtli-
chen Glauben, nicht der chriſtlichen d. h. der durch den
Glauben beſchränkten Liebe, nein! dem Zweifel an
dem chriſtlichen Glauben, dem Sieg der religiöſen
Skepſis, den Freigeiſtern, den Häretikern verdanken
wir die Toleranz der Glaubensfreiheit. Die von der
chriſtlichen Kirche verfolgten Ketzer nur verfochten die Glau-
bensfreiheit. Die chriſtliche Freiheit iſt Freiheit nur im
Unweſentlichen, den Grundartikel des Glaubens gibt ſie
nicht frei.
Der Glaube ſcheidet den Menſchen vom Menſchen,
ſetzt an die Stelle der naturbegründeten Einheit und
Liebe eine übernatürliche — die Einheit des Glau-
bens. Inter Christianum et gentilem non fides tantum
debet, sed etiam vita distinguere … Nolite, ait Aposto-
lus, jugum ducere cum infidelibus … Sit ergo inter nos
et illos maxima separatio. Hieronymus (Epist.
Caelantiae matronae). … Prope nihil gravius quam co-
pulari alienigenae … Nam cum ipsum conjugium vela-
mine sacerdotali et benedictione sanctificari oporteat:
quomodo potest conjugium dici ubi non est fidei
concordia? … Saepe plerique capti amore feminarum
fidem suam prodiderunt. Ambrosius. Ep. 70. Lib. IX.
Non enim licet christiano cum gentili vel judaeo inire
conjugium. Petrus L. (l. IV. dist. 39. c. 1.) Auch dieſe
Scheidung iſt keineswegs unbibliſch. Wir ſehen ja vielmehr,
daß die Kirchenväter ſich gerade auf die Bibel berufen. Die
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/462>, abgerufen am 04.12.2024.
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