Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewunderung, Begeisterung und Entzückung, weil ihm hier
die Befriedigung der innersten menschlichen Bedürfnisse, welche
er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfnisses der naturgemä-
ßen, der intensivsten Liebe, des wirklichen Selbstbewußtseins,
welches nichts andres als die Anschauung oder das Gefühl
des Andern als meinen eignen Wesens ist, zur Anschauung
kam. Nur ein dreieiniger Gott ist für den religiösen Menschen
ein Gegenstand der Liebe, weil ihm in der Trinität selbst die
Liebe Gegenstand ist. Daß es im Grunde nicht mehr als
zwei Personen sind, denn die dritte Person repräsentirt, wie
gesagt, nichts andres als die Liebe, obwohl selbst wieder als
ein besondres Wesen vorgestellt, dieß liegt darin, daß dem
strengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei ist das
Princip und eben damit der vollkommne Ersatz der Vielheit.
Würden mehrere Personen gesetzt, so würde nur die Kraft der
Liebe geschmälert; sie würde sich zerstreuen. Aber Liebe und
Herz sind identisch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz ist
kein besondres Vermögen -- das Herz ist der Mensch, der in
sofern er liebt. Die zweite Person ist daher die Selbstbe-
jahung des menschlichen Herzens, das Princip des
gemeinschaftlichen Lebens, der Liebe
-- die Wärme, der
Vater das Licht, obwohl das Licht hauptsächlich ein Prädicat
des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erst dem Menschen
licht, klar, verständlich wird. Aber dessen ungeachtet können
wir dem Vater, als dem Repräsentanten der Gottheit als sol-
cher, des kalten Wesens der Intelligenz, das Licht als hyper-
tellurisches Princip, dem Sohne die tellurische Wärme zuschrei-
ben. Gott als Sohn erwärmt erst den Menschen, hier wird
Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht-
sinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeisterung,

Bewunderung, Begeiſterung und Entzückung, weil ihm hier
die Befriedigung der innerſten menſchlichen Bedürfniſſe, welche
er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfniſſes der naturgemä-
ßen, der intenſivſten Liebe, des wirklichen Selbſtbewußtſeins,
welches nichts andres als die Anſchauung oder das Gefühl
des Andern als meinen eignen Weſens iſt, zur Anſchauung
kam. Nur ein dreieiniger Gott iſt für den religiöſen Menſchen
ein Gegenſtand der Liebe, weil ihm in der Trinität ſelbſt die
Liebe Gegenſtand iſt. Daß es im Grunde nicht mehr als
zwei Perſonen ſind, denn die dritte Perſon repräſentirt, wie
geſagt, nichts andres als die Liebe, obwohl ſelbſt wieder als
ein beſondres Weſen vorgeſtellt, dieß liegt darin, daß dem
ſtrengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei iſt das
Princip und eben damit der vollkommne Erſatz der Vielheit.
Würden mehrere Perſonen geſetzt, ſo würde nur die Kraft der
Liebe geſchmälert; ſie würde ſich zerſtreuen. Aber Liebe und
Herz ſind identiſch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz iſt
kein beſondres Vermögen — das Herz iſt der Menſch, der in
ſofern er liebt. Die zweite Perſon iſt daher die Selbſtbe-
jahung des menſchlichen Herzens, das Princip des
gemeinſchaftlichen Lebens, der Liebe
— die Wärme, der
Vater das Licht, obwohl das Licht hauptſächlich ein Prädicat
des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erſt dem Menſchen
licht, klar, verſtändlich wird. Aber deſſen ungeachtet können
wir dem Vater, als dem Repräſentanten der Gottheit als ſol-
cher, des kalten Weſens der Intelligenz, das Licht als hyper-
telluriſches Princip, dem Sohne die telluriſche Wärme zuſchrei-
ben. Gott als Sohn erwärmt erſt den Menſchen, hier wird
Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht-
ſinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeiſterung,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="77"/>
Bewunderung, Begei&#x017F;terung und Entzückung, weil ihm hier<lb/>
die Befriedigung der inner&#x017F;ten men&#x017F;chlichen Bedürfni&#x017F;&#x017F;e, welche<lb/>
er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfni&#x017F;&#x017F;es der naturgemä-<lb/>
ßen, der inten&#x017F;iv&#x017F;ten Liebe, des <hi rendition="#g">wirklichen</hi> Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eins,<lb/>
welches nichts andres als die An&#x017F;chauung oder das Gefühl<lb/>
des Andern als meinen eignen We&#x017F;ens i&#x017F;t, zur An&#x017F;chauung<lb/>
kam. Nur ein dreieiniger Gott i&#x017F;t für den religiö&#x017F;en Men&#x017F;chen<lb/>
ein Gegen&#x017F;tand der Liebe, weil ihm in der Trinität &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/><hi rendition="#g">Liebe Gegen&#x017F;tand</hi> i&#x017F;t. Daß es im Grunde nicht mehr als<lb/>
zwei Per&#x017F;onen &#x017F;ind, denn die dritte Per&#x017F;on reprä&#x017F;entirt, wie<lb/>
ge&#x017F;agt, nichts andres als die Liebe, obwohl &#x017F;elb&#x017F;t wieder als<lb/>
ein be&#x017F;ondres We&#x017F;en vorge&#x017F;tellt, dieß liegt darin, daß dem<lb/>
&#x017F;trengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei i&#x017F;t das<lb/>
Princip und eben damit der vollkommne Er&#x017F;atz der Vielheit.<lb/>
Würden mehrere Per&#x017F;onen ge&#x017F;etzt, &#x017F;o würde nur die Kraft der<lb/>
Liebe ge&#x017F;chmälert; &#x017F;ie würde &#x017F;ich zer&#x017F;treuen. Aber Liebe und<lb/>
Herz &#x017F;ind identi&#x017F;ch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz i&#x017F;t<lb/>
kein be&#x017F;ondres Vermögen &#x2014; das Herz i&#x017F;t der Men&#x017F;ch, der in<lb/>
&#x017F;ofern er liebt. Die zweite Per&#x017F;on i&#x017F;t daher die <hi rendition="#g">Selb&#x017F;tbe-<lb/>
jahung des men&#x017F;chlichen Herzens, das Princip des<lb/>
gemein&#x017F;chaftlichen Lebens, der Liebe</hi> &#x2014; die Wärme, der<lb/>
Vater das Licht, obwohl das Licht haupt&#x017F;ächlich ein Prädicat<lb/>
des Sohns war, weil in ihm die Gottheit er&#x017F;t dem Men&#x017F;chen<lb/>
licht, klar, ver&#x017F;tändlich wird. Aber de&#x017F;&#x017F;en ungeachtet können<lb/>
wir dem Vater, als dem Reprä&#x017F;entanten der Gottheit als &#x017F;ol-<lb/>
cher, des kalten We&#x017F;ens der Intelligenz, das Licht als hyper-<lb/>
telluri&#x017F;ches Princip, dem Sohne die telluri&#x017F;che Wärme zu&#x017F;chrei-<lb/>
ben. Gott als Sohn erwärmt er&#x017F;t den Men&#x017F;chen, hier wird<lb/>
Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht-<lb/>
&#x017F;innes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begei&#x017F;terung,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0095] Bewunderung, Begeiſterung und Entzückung, weil ihm hier die Befriedigung der innerſten menſchlichen Bedürfniſſe, welche er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfniſſes der naturgemä- ßen, der intenſivſten Liebe, des wirklichen Selbſtbewußtſeins, welches nichts andres als die Anſchauung oder das Gefühl des Andern als meinen eignen Weſens iſt, zur Anſchauung kam. Nur ein dreieiniger Gott iſt für den religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der Liebe, weil ihm in der Trinität ſelbſt die Liebe Gegenſtand iſt. Daß es im Grunde nicht mehr als zwei Perſonen ſind, denn die dritte Perſon repräſentirt, wie geſagt, nichts andres als die Liebe, obwohl ſelbſt wieder als ein beſondres Weſen vorgeſtellt, dieß liegt darin, daß dem ſtrengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei iſt das Princip und eben damit der vollkommne Erſatz der Vielheit. Würden mehrere Perſonen geſetzt, ſo würde nur die Kraft der Liebe geſchmälert; ſie würde ſich zerſtreuen. Aber Liebe und Herz ſind identiſch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz iſt kein beſondres Vermögen — das Herz iſt der Menſch, der in ſofern er liebt. Die zweite Perſon iſt daher die Selbſtbe- jahung des menſchlichen Herzens, das Princip des gemeinſchaftlichen Lebens, der Liebe — die Wärme, der Vater das Licht, obwohl das Licht hauptſächlich ein Prädicat des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erſt dem Menſchen licht, klar, verſtändlich wird. Aber deſſen ungeachtet können wir dem Vater, als dem Repräſentanten der Gottheit als ſol- cher, des kalten Weſens der Intelligenz, das Licht als hyper- telluriſches Princip, dem Sohne die telluriſche Wärme zuſchrei- ben. Gott als Sohn erwärmt erſt den Menſchen, hier wird Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht- ſinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeiſterung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/95
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/95>, abgerufen am 04.12.2024.