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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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wird, wenn die Menschheit im Ganzen in jedem
folgenden Zeitalter sich also wiederholt, wie
sie im vorhergehenden war, haben wir nun zur
Genüge ersehen; soll eine gänzliche Umbildung
mit derselben vorgenommen werden, so muß
sie einmal ganz losgerissen werden von sich sel¬
ber, und ein trennender Einschnitt gemacht
werden in ihr hergebrachtes Fortleben. Erst
nachdem ein Geschlecht durch die neue Erziehung
hindurch gegangen seyn wird, wird sich berath¬
schlagen lassen, welchen Theil von der National-
Erziehung man dem Hause anvertrauen wolle.
-- Dies nun abgerechnet, und das Pestaloz¬
zische Buch für die Mütter lediglich als erste
Grundlage des Unterrichts betrachtet, ist auch
der Inhalt desselben, der Körper des Kindes,
ein vollkommner Mißgriff. Er geht von dem
sehr richtigen Satze aus, der erste Gegenstand
der Erkenntniß des Kindes müsse das Kind
selbst seyn, aber ist denn der Körper des Kindes
das Kind selbst? wäre, wenn es doch ein mensch¬
licher Körper seyn sollte, der Körper der Mut¬
ter ihm nicht weit näher, und sichtbarer? und
wie kann doch das Kind eine anschauliche Er¬
kenntnis von seinem Körper bekommen, ohne

wird, wenn die Menſchheit im Ganzen in jedem
folgenden Zeitalter ſich alſo wiederholt, wie
ſie im vorhergehenden war, haben wir nun zur
Genuͤge erſehen; ſoll eine gaͤnzliche Umbildung
mit derſelben vorgenommen werden, ſo muß
ſie einmal ganz losgeriſſen werden von ſich ſel¬
ber, und ein trennender Einſchnitt gemacht
werden in ihr hergebrachtes Fortleben. Erſt
nachdem ein Geſchlecht durch die neue Erziehung
hindurch gegangen ſeyn wird, wird ſich berath¬
ſchlagen laſſen, welchen Theil von der National-
Erziehung man dem Hauſe anvertrauen wolle.
— Dies nun abgerechnet, und das Peſtaloz¬
ziſche Buch fuͤr die Muͤtter lediglich als erſte
Grundlage des Unterrichts betrachtet, iſt auch
der Inhalt deſſelben, der Koͤrper des Kindes,
ein vollkommner Mißgriff. Er geht von dem
ſehr richtigen Satze aus, der erſte Gegenſtand
der Erkenntniß des Kindes muͤſſe das Kind
ſelbſt ſeyn, aber iſt denn der Koͤrper des Kindes
das Kind ſelbſt? waͤre, wenn es doch ein menſch¬
licher Koͤrper ſeyn ſollte, der Koͤrper der Mut¬
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[303/0309] wird, wenn die Menſchheit im Ganzen in jedem folgenden Zeitalter ſich alſo wiederholt, wie ſie im vorhergehenden war, haben wir nun zur Genuͤge erſehen; ſoll eine gaͤnzliche Umbildung mit derſelben vorgenommen werden, ſo muß ſie einmal ganz losgeriſſen werden von ſich ſel¬ ber, und ein trennender Einſchnitt gemacht werden in ihr hergebrachtes Fortleben. Erſt nachdem ein Geſchlecht durch die neue Erziehung hindurch gegangen ſeyn wird, wird ſich berath¬ ſchlagen laſſen, welchen Theil von der National- Erziehung man dem Hauſe anvertrauen wolle. — Dies nun abgerechnet, und das Peſtaloz¬ ziſche Buch fuͤr die Muͤtter lediglich als erſte Grundlage des Unterrichts betrachtet, iſt auch der Inhalt deſſelben, der Koͤrper des Kindes, ein vollkommner Mißgriff. Er geht von dem ſehr richtigen Satze aus, der erſte Gegenſtand der Erkenntniß des Kindes muͤſſe das Kind ſelbſt ſeyn, aber iſt denn der Koͤrper des Kindes das Kind ſelbſt? waͤre, wenn es doch ein menſch¬ licher Koͤrper ſeyn ſollte, der Koͤrper der Mut¬ ter ihm nicht weit naͤher, und ſichtbarer? und wie kann doch das Kind eine anſchauliche Er¬ kenntnis von ſeinem Koͤrper bekommen, ohne

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/309>, abgerufen am 22.11.2024.