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Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

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lei Rüksicht zu betrachten; als dasjenige, in welchem
das Nicht-Ich gesetzt wird; und als dasjenige, welches
dem Nicht-Ich entgegengesetzt, und mithin selbst im
absoluten Ich gesetzt wäre. Das letztere Ich sollte dem
Nicht-Ich, in so fern beide im absoluten Ich gesetzt
sind, darin gleich seyn, und es sollte ihm zugleich in
eben der Rücksicht entgegengesetzt seyn. Diess würde
sich nur unter der Bedingung eines dritten im Ich den-
ken lassen, in welchem beide gleich wären, und dieses
dritte wäre der Begriff der Quantität. Beide hätten
eine durch ihr entgegengesetztes bestimmbare Quanti-
tät *). Entweder das Ich wird durch das Nicht-Ich
(seiner Quantität nach) bestimmt. Es ist in so fern ab-
hängig; es heisst Intelligenz, und der Theil der Wissen-
schaftslehre, welcher von ihr handelt, ist ihr theoreti-
scher Theil. Er wird gegründet auf den von den
Grundsätzen abzuleitenden, und durch sie zu erweisen-
den Begriff der Vorstellung überhaupt.

Aber das Ich sollte absolut, und schlechthin durch
sich selbst bestimmt seyn: wird es durch das Nicht-Ich
bestimmt, so bestimmt es sich nicht selbst, und dem
höchsten und absolut-ersten Grundsatze wird wider-
sprochen. Um diesem Widerspruche auszuweichen,
müssen wir annehmen, dass das Nicht-Ich, welches
die Intelligenz bestimmen soll, selbst durch das Ich

das
*) Bloss der Begriff des Ich, des Nicht-Ich, und der Quan-
tität (der Schranken) sind schlechthin a priori. Aus ihnen
sind durch Gegensetzung und Gleichung alle übrigen reinen
Begriffe abzuleiten.

lei Rükſicht zu betrachten; als dasjenige, in welchem
das Nicht-Ich geſetzt wird; und als dasjenige, welches
dem Nicht-Ich entgegengeſetzt, und mithin ſelbſt im
abſoluten Ich geſetzt wäre. Das letztere Ich ſollte dem
Nicht-Ich, in ſo fern beide im abſoluten Ich geſetzt
ſind, darin gleich ſeyn, und es ſollte ihm zugleich in
eben der Rückſicht entgegengeſetzt ſeyn. Dieſs würde
ſich nur unter der Bedingung eines dritten im Ich den-
ken laſſen, in welchem beide gleich wären, und dieſes
dritte wäre der Begriff der Quantität. Beide hätten
eine durch ihr entgegengeſetztes beſtimmbare Quanti-
tät *). Entweder das Ich wird durch das Nicht-Ich
(ſeiner Quantität nach) beſtimmt. Es iſt in ſo fern ab-
hängig; es heiſst Intelligenz, und der Theil der Wiſſen-
ſchaftslehre, welcher von ihr handelt, iſt ihr theoreti-
ſcher Theil. Er wird gegründet auf den von den
Grundſätzen abzuleitenden, und durch ſie zu erweiſen-
den Begriff der Vorſtellung überhaupt.

Aber das Ich ſollte abſolut, und ſchlechthin durch
ſich ſelbſt beſtimmt ſeyn: wird es durch das Nicht-Ich
beſtimmt, ſo beſtimmt es ſich nicht ſelbſt, und dem
höchſten und abſolut-erſten Grundſatze wird wider-
ſprochen. Um dieſem Widerſpruche auszuweichen,
müſſen wir annehmen, daſs das Nicht-Ich, welches
die Intelligenz beſtimmen ſoll, ſelbſt durch das Ich

das
*) Bloſs der Begriff des Ich, des Nicht-Ich, und der Quan-
tität (der Schranken) ſind ſchlechthin a priori. Aus ihnen
ſind durch Gegenſetzung und Gleichung alle übrigen reinen
Begriffe abzuleiten.
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[64/0072] lei Rükſicht zu betrachten; als dasjenige, in welchem das Nicht-Ich geſetzt wird; und als dasjenige, welches dem Nicht-Ich entgegengeſetzt, und mithin ſelbſt im abſoluten Ich geſetzt wäre. Das letztere Ich ſollte dem Nicht-Ich, in ſo fern beide im abſoluten Ich geſetzt ſind, darin gleich ſeyn, und es ſollte ihm zugleich in eben der Rückſicht entgegengeſetzt ſeyn. Dieſs würde ſich nur unter der Bedingung eines dritten im Ich den- ken laſſen, in welchem beide gleich wären, und dieſes dritte wäre der Begriff der Quantität. Beide hätten eine durch ihr entgegengeſetztes beſtimmbare Quanti- tät *). Entweder das Ich wird durch das Nicht-Ich (ſeiner Quantität nach) beſtimmt. Es iſt in ſo fern ab- hängig; es heiſst Intelligenz, und der Theil der Wiſſen- ſchaftslehre, welcher von ihr handelt, iſt ihr theoreti- ſcher Theil. Er wird gegründet auf den von den Grundſätzen abzuleitenden, und durch ſie zu erweiſen- den Begriff der Vorſtellung überhaupt. Aber das Ich ſollte abſolut, und ſchlechthin durch ſich ſelbſt beſtimmt ſeyn: wird es durch das Nicht-Ich beſtimmt, ſo beſtimmt es ſich nicht ſelbſt, und dem höchſten und abſolut-erſten Grundſatze wird wider- ſprochen. Um dieſem Widerſpruche auszuweichen, müſſen wir annehmen, daſs das Nicht-Ich, welches die Intelligenz beſtimmen ſoll, ſelbſt durch das Ich das *) Bloſs der Begriff des Ich, des Nicht-Ich, und der Quan- tität (der Schranken) ſind ſchlechthin a priori. Aus ihnen ſind durch Gegenſetzung und Gleichung alle übrigen reinen Begriffe abzuleiten.

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/72>, abgerufen am 21.11.2024.