welcher sich in ihr verwirklicht, befreit sie unseren Geist unwillkürlich von allen den bedingenden Rücksichten, unter denen sich uns das Bild des Lebens darstellt, und erzeugt in uns eine Klarheit des Wirklichkeitsbewußtseins, in der nichts anderes mehr lebt als die an keine Zeit gebundene, keinem Zusammenhange des Geschehens unterworfene Ge¬ wißheit des Seins.
Es mag dies denen nur als eine geringe aus der Kunst gewonnene Ausbeute erscheinen, die das menschliche Leben unter dem Gesichtspunkt einer Gesammtarbeit be¬ trachten, in der sich das einzelne individuelle Streben nur als Glied in der großen Verkettung einer nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung sich vollziehenden Entwickelung darstelle. Diese Ansicht wird jeder Erscheinung nur einen relativen Werth beilegen und sich damit trösten, daß der unabsehbare Fortschritt schließlich doch zu absoluten Werthen führen werde. Soviel auch diese Anschauungsweise zum Verständniß menschlicher Vorgänge beitragen mag, so ver¬ mag sie allein doch nicht, den Erscheinungen des Lebens gerecht zu werden; es tritt ihr eine andere Auffassung gegenüber, die sich zwar der Thatsache nicht verschließt, daß in dem Leben des menschlichen Geschlechts jener große Zusammenhang zu erkennen sei, in dem jedes Einzelne nur als Mitwirkendes auftrete, der es aber doch nicht entgeht, daß es ganz unmöglich ist, die Erscheinungen ihrem ganzen Umfange und ihrem vollen Wesen nach in jenen Zusammen¬ hang einzuordnen. Kunstwerke mögen mit manchen ihrer Seiten und Eigenschaften mitten in jener ununterbrochenen
welcher ſich in ihr verwirklicht, befreit ſie unſeren Geiſt unwillkürlich von allen den bedingenden Rückſichten, unter denen ſich uns das Bild des Lebens darſtellt, und erzeugt in uns eine Klarheit des Wirklichkeitsbewußtſeins, in der nichts anderes mehr lebt als die an keine Zeit gebundene, keinem Zuſammenhange des Geſchehens unterworfene Ge¬ wißheit des Seins.
Es mag dies denen nur als eine geringe aus der Kunſt gewonnene Ausbeute erſcheinen, die das menſchliche Leben unter dem Geſichtspunkt einer Geſammtarbeit be¬ trachten, in der ſich das einzelne individuelle Streben nur als Glied in der großen Verkettung einer nach dem Geſetz von Urſache und Wirkung ſich vollziehenden Entwickelung darſtelle. Dieſe Anſicht wird jeder Erſcheinung nur einen relativen Werth beilegen und ſich damit tröſten, daß der unabſehbare Fortſchritt ſchließlich doch zu abſoluten Werthen führen werde. Soviel auch dieſe Anſchauungsweiſe zum Verſtändniß menſchlicher Vorgänge beitragen mag, ſo ver¬ mag ſie allein doch nicht, den Erſcheinungen des Lebens gerecht zu werden; es tritt ihr eine andere Auffaſſung gegenüber, die ſich zwar der Thatſache nicht verſchließt, daß in dem Leben des menſchlichen Geſchlechts jener große Zuſammenhang zu erkennen ſei, in dem jedes Einzelne nur als Mitwirkendes auftrete, der es aber doch nicht entgeht, daß es ganz unmöglich iſt, die Erſcheinungen ihrem ganzen Umfange und ihrem vollen Weſen nach in jenen Zuſammen¬ hang einzuordnen. Kunſtwerke mögen mit manchen ihrer Seiten und Eigenſchaften mitten in jener ununterbrochenen
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welcher ſich in ihr verwirklicht, befreit ſie unſeren Geiſt
unwillkürlich von allen den bedingenden Rückſichten, unter
denen ſich uns das Bild des Lebens darſtellt, und erzeugt
in uns eine Klarheit des Wirklichkeitsbewußtſeins, in der
nichts anderes mehr lebt als die an keine Zeit gebundene,
keinem Zuſammenhange des Geſchehens unterworfene Ge¬
wißheit des Seins.
Es mag dies denen nur als eine geringe aus der
Kunſt gewonnene Ausbeute erſcheinen, die das menſchliche
Leben unter dem Geſichtspunkt einer Geſammtarbeit be¬
trachten, in der ſich das einzelne individuelle Streben nur
als Glied in der großen Verkettung einer nach dem Geſetz
von Urſache und Wirkung ſich vollziehenden Entwickelung
darſtelle. Dieſe Anſicht wird jeder Erſcheinung nur einen
relativen Werth beilegen und ſich damit tröſten, daß der
unabſehbare Fortſchritt ſchließlich doch zu abſoluten Werthen
führen werde. Soviel auch dieſe Anſchauungsweiſe zum
Verſtändniß menſchlicher Vorgänge beitragen mag, ſo ver¬
mag ſie allein doch nicht, den Erſcheinungen des Lebens
gerecht zu werden; es tritt ihr eine andere Auffaſſung
gegenüber, die ſich zwar der Thatſache nicht verſchließt,
daß in dem Leben des menſchlichen Geſchlechts jener große
Zuſammenhang zu erkennen ſei, in dem jedes Einzelne nur
als Mitwirkendes auftrete, der es aber doch nicht entgeht,
daß es ganz unmöglich iſt, die Erſcheinungen ihrem ganzen
Umfange und ihrem vollen Weſen nach in jenen Zuſammen¬
hang einzuordnen. Kunſtwerke mögen mit manchen ihrer
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/186>, abgerufen am 16.07.2024.
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