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Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911.

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Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van't Hoff. 15


Um für die Versuche frisches Pflanzenmaterial zur Hand zu haben
und gleichzeitig die für seinen körperlichen Zustand unzuträgliche Groß-
stadtatmosphäre zu vermeiden, hatte er Wohnsitz und Arbeitsstätte nach
dem Vorort Steglitz verlegt. Das Laboratorium war noch bescheidener als
das mit Meyerhoffer benutzte. Es bestand aus einem kleinen Holzhaus
mit sehr einfacher Einrichtung, das er auf dem Gelände der Domäne Dahlem
aus eigenen Mitteln erbaut hatte. Die Erwerbung des Bauplatzes, wofür
eine kleine Miete gezahlt werden mußte, war nicht mühelos gewesen, und
die Form, wie sie zum Abschluß kam, ist so charakteristisch, daß sie verdient,
erzählt zu werden. Nach vorbereitenden mündlichen Verhandlungen hatte
van't Hoff ein schriftliches Gesuch an die maßgebende Behörde um miet-
weise Überlassung des Platzes gerichtet, aber mehrere Monate vergeblich
auf Antwort gewartet. Da wiederholte er die Eingabe, schickte sie aber
diesmal als eingeschriebenen Brief mit Eilbestellung nach dem nahen Be-
stimmungsort. Diese ungewöhnliche dringliche Form verfehlte ihre Wir-
kung nicht, und nach einigen Tagen war sein Wunsch erfüllt.
Leider sollte ihm keine ungestörte Benutzung der neuen Arbeitsstätte
mehr beschieden sein. Das vor 41/2 Jahren erworbene Lungenleiden zwang
ihn wiederholt zu längerer Unterbrechung der Versuche, und bald nach dem
Jubiläum unserer Universität, wo er nur noch am Festmahl im König-
lichen Schlosse teilnahm, trat die zum Ende führende Verschlimmerung der
Krankheit ein.
In der letzten Festsitzung am Friedrichstage hat unsere Akademie ihm
nur wenige Wochen vor seinem Tode die letzte öffentliche Ehrung durch
die Verleihung der Helmholtzmedaille erwiesen, die er nach dem Zeugnis
der treuen Gattin auf dem Krankenlager, aber mit dankbarer Freude empfing.
Wenn ich schließlich van't Hoffs Leistungen als Ganzes kennzeichnen
soll, so trage ich kein Bedenken, ihn den größten Theoretiker der Chemie
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nennen. Durch die Stereo-
chemie hat er seinen Namen neben den von Pasteur und Kekule ge-
setzt. Mit den Studien zur chemischen Dynamik war er an die Seite der
großen Thermodynamiker, insbesondere von Helmholtz und Gibbs ge-
treten, und mit der Lehre vom osmotischen Druck hat er dem Gedanken
Avogadros die allgemeine Bedeutung verschafft.
Die Originalität, die seinem Denken eigen war, trat auch in seinen
Gewohnheiten, Neigungen und Anschauungen zutage und gab dem Verkehr


Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus vanʼt Hoff. 15


Um für die Versuche frisches Pflanzenmaterial zur Hand zu haben
und gleichzeitig die für seinen körperlichen Zustand unzuträgliche Groß-
stadtatmosphäre zu vermeiden, hatte er Wohnsitz und Arbeitsstätte nach
dem Vorort Steglitz verlegt. Das Laboratorium war noch bescheidener als
das mit Meyerhoffer benutzte. Es bestand aus einem kleinen Holzhaus
mit sehr einfacher Einrichtung, das er auf dem Gelände der Domäne Dahlem
aus eigenen Mitteln erbaut hatte. Die Erwerbung des Bauplatzes, wofür
eine kleine Miete gezahlt werden mußte, war nicht mühelos gewesen, und
die Form, wie sie zum Abschluß kam, ist so charakteristisch, daß sie verdient,
erzählt zu werden. Nach vorbereitenden mündlichen Verhandlungen hatte
vanʼt Hoff ein schriftliches Gesuch an die maßgebende Behörde um miet-
weise Überlassung des Platzes gerichtet, aber mehrere Monate vergeblich
auf Antwort gewartet. Da wiederholte er die Eingabe, schickte sie aber
diesmal als eingeschriebenen Brief mit Eilbestellung nach dem nahen Be-
stimmungsort. Diese ungewöhnliche dringliche Form verfehlte ihre Wir-
kung nicht, und nach einigen Tagen war sein Wunsch erfüllt.
Leider sollte ihm keine ungestörte Benutzung der neuen Arbeitsstätte
mehr beschieden sein. Das vor 4½ Jahren erworbene Lungenleiden zwang
ihn wiederholt zu längerer Unterbrechung der Versuche, und bald nach dem
Jubiläum unserer Universität, wo er nur noch am Festmahl im König-
lichen Schlosse teilnahm, trat die zum Ende führende Verschlimmerung der
Krankheit ein.
In der letzten Festsitzung am Friedrichstage hat unsere Akademie ihm
nur wenige Wochen vor seinem Tode die letzte öffentliche Ehrung durch
die Verleihung der Helmholtzmedaille erwiesen, die er nach dem Zeugnis
der treuen Gattin auf dem Krankenlager, aber mit dankbarer Freude empfing.
Wenn ich schließlich van’t Hoffs Leistungen als Ganzes kennzeichnen
soll, so trage ich kein Bedenken, ihn den größten Theoretiker der Chemie
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nennen. Durch die Stereo-
chemie hat er seinen Namen neben den von Pasteur und Kekule ge-
setzt. Mit den Studien zur chemischen Dynamik war er an die Seite der
großen Thermodynamiker, insbesondere von Helmholtz und Gibbs ge-
treten, und mit der Lehre vom osmotischen Druck hat er dem Gedanken
Avogadros die allgemeine Bedeutung verschafft.
Die Originalität, die seinem Denken eigen war, trat auch in seinen
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[17/0017] Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus vanʼt Hoff. 15 Um für die Versuche frisches Pflanzenmaterial zur Hand zu haben und gleichzeitig die für seinen körperlichen Zustand unzuträgliche Groß- stadtatmosphäre zu vermeiden, hatte er Wohnsitz und Arbeitsstätte nach dem Vorort Steglitz verlegt. Das Laboratorium war noch bescheidener als das mit Meyerhoffer benutzte. Es bestand aus einem kleinen Holzhaus mit sehr einfacher Einrichtung, das er auf dem Gelände der Domäne Dahlem aus eigenen Mitteln erbaut hatte. Die Erwerbung des Bauplatzes, wofür eine kleine Miete gezahlt werden mußte, war nicht mühelos gewesen, und die Form, wie sie zum Abschluß kam, ist so charakteristisch, daß sie verdient, erzählt zu werden. Nach vorbereitenden mündlichen Verhandlungen hatte vanʼt Hoff ein schriftliches Gesuch an die maßgebende Behörde um miet- weise Überlassung des Platzes gerichtet, aber mehrere Monate vergeblich auf Antwort gewartet. Da wiederholte er die Eingabe, schickte sie aber diesmal als eingeschriebenen Brief mit Eilbestellung nach dem nahen Be- stimmungsort. Diese ungewöhnliche dringliche Form verfehlte ihre Wir- kung nicht, und nach einigen Tagen war sein Wunsch erfüllt. Leider sollte ihm keine ungestörte Benutzung der neuen Arbeitsstätte mehr beschieden sein. Das vor 4½ Jahren erworbene Lungenleiden zwang ihn wiederholt zu längerer Unterbrechung der Versuche, und bald nach dem Jubiläum unserer Universität, wo er nur noch am Festmahl im König- lichen Schlosse teilnahm, trat die zum Ende führende Verschlimmerung der Krankheit ein. In der letzten Festsitzung am Friedrichstage hat unsere Akademie ihm nur wenige Wochen vor seinem Tode die letzte öffentliche Ehrung durch die Verleihung der Helmholtzmedaille erwiesen, die er nach dem Zeugnis der treuen Gattin auf dem Krankenlager, aber mit dankbarer Freude empfing. Wenn ich schließlich van’t Hoffs Leistungen als Ganzes kennzeichnen soll, so trage ich kein Bedenken, ihn den größten Theoretiker der Chemie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nennen. Durch die Stereo- chemie hat er seinen Namen neben den von Pasteur und Kekule ge- setzt. Mit den Studien zur chemischen Dynamik war er an die Seite der großen Thermodynamiker, insbesondere von Helmholtz und Gibbs ge- treten, und mit der Lehre vom osmotischen Druck hat er dem Gedanken Avogadros die allgemeine Bedeutung verschafft. Die Originalität, die seinem Denken eigen war, trat auch in seinen Gewohnheiten, Neigungen und Anschauungen zutage und gab dem Verkehr

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Zitationshilfe: Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/17>, abgerufen am 15.06.2024.