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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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punkte dafür böte, wie und woraus Geschichten entstehn. Es
wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am Ufer des
See's gespielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Unfall
ertrunken. In der Hoffnung, näheren Aufschluß darüber zu ge-
winnen, entzifferte ich die Umschrift beider Steine; das Mädchen
war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, also acht
Tage später gestorben. Die einfache Angabe der Sterbetage genügte
hier völlig, um die Erzählung von dem gemeinschaftlichen
Tode im See als ein bloßes Märchen hinzustellen. Aber eine ein-
gehende Prüfung der Bildnisse selbst ergab mir auch bald den Ur-
sprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des
Mädchens sah täuschend aus wie halbkrauses Lockenhaar, das im
Wasser seine Lockigkeit verloren hat, und nur noch leise gewellt,
vom Wasser zusammengehalten, wie eine compacte Masse über den
Nacken fällt. Der Anblick dieses Haars, das einfach deshalb so
vom Wasser zusammengehalten aussieht, weil es der Steinmetz
nicht besser und natürlicher machen konnte, hat augenscheinlich der
kleinen Erzählung, von den im See ertrunkenen Geschwistern, die
Entstehung gegeben.

Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche
seit etwa 15 Jahren eingebüßt: es war dies das alte Grabgewölbe,
in dem sich die Särge der Familien von Eichstädt und Sparre,
und besonders der Familie v. Bredow befanden. Damals war
diese Gruft noch zugänglich, jetzt ist sie vermauert und nur am
Schall des Tritts erkennt man noch, daß der Boden hohl ist,
über den man schreitet. Als die Uebermauerung vorgenommen wer-
den sollte, lüftete man zuvor das Gewölbe, schaffte die alten
Särge, wohl 40 an der Zahl, an's Tageslicht und öffnete die
Deckel. So standen sie im Schiff der Kirche wochenlang. Vor
demselben Altar, wo die Gestalten einiger Bredow's in die großen
Sandsteinplatten eingegraben waren, standen nun, halb aufgerichtet,
die geöffneten Särge, und die Todten blickten geschlossenen Auges
auf ihre eigenen Bildnisse herab. Nach längerer Zeit war das Ge-
wölbe wieder eingerichtet, und die alten Bewohner zogen wieder

punkte dafür böte, wie und woraus Geſchichten entſtehn. Es
wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am Ufer des
See’s geſpielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Unfall
ertrunken. In der Hoffnung, näheren Aufſchluß darüber zu ge-
winnen, entzifferte ich die Umſchrift beider Steine; das Mädchen
war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, alſo acht
Tage ſpäter geſtorben. Die einfache Angabe der Sterbetage genügte
hier völlig, um die Erzählung von dem gemeinſchaftlichen
Tode im See als ein bloßes Märchen hinzuſtellen. Aber eine ein-
gehende Prüfung der Bildniſſe ſelbſt ergab mir auch bald den Ur-
ſprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des
Mädchens ſah täuſchend aus wie halbkrauſes Lockenhaar, das im
Waſſer ſeine Lockigkeit verloren hat, und nur noch leiſe gewellt,
vom Waſſer zuſammengehalten, wie eine compacte Maſſe über den
Nacken fällt. Der Anblick dieſes Haars, das einfach deshalb ſo
vom Waſſer zuſammengehalten ausſieht, weil es der Steinmetz
nicht beſſer und natürlicher machen konnte, hat augenſcheinlich der
kleinen Erzählung, von den im See ertrunkenen Geſchwiſtern, die
Entſtehung gegeben.

Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche
ſeit etwa 15 Jahren eingebüßt: es war dies das alte Grabgewölbe,
in dem ſich die Särge der Familien von Eichſtädt und Sparre,
und beſonders der Familie v. Bredow befanden. Damals war
dieſe Gruft noch zugänglich, jetzt iſt ſie vermauert und nur am
Schall des Tritts erkennt man noch, daß der Boden hohl iſt,
über den man ſchreitet. Als die Uebermauerung vorgenommen wer-
den ſollte, lüftete man zuvor das Gewölbe, ſchaffte die alten
Särge, wohl 40 an der Zahl, an’s Tageslicht und öffnete die
Deckel. So ſtanden ſie im Schiff der Kirche wochenlang. Vor
demſelben Altar, wo die Geſtalten einiger Bredow’s in die großen
Sandſteinplatten eingegraben waren, ſtanden nun, halb aufgerichtet,
die geöffneten Särge, und die Todten blickten geſchloſſenen Auges
auf ihre eigenen Bildniſſe herab. Nach längerer Zeit war das Ge-
wölbe wieder eingerichtet, und die alten Bewohner zogen wieder

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[88/0106] punkte dafür böte, wie und woraus Geſchichten entſtehn. Es wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am Ufer des See’s geſpielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Unfall ertrunken. In der Hoffnung, näheren Aufſchluß darüber zu ge- winnen, entzifferte ich die Umſchrift beider Steine; das Mädchen war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, alſo acht Tage ſpäter geſtorben. Die einfache Angabe der Sterbetage genügte hier völlig, um die Erzählung von dem gemeinſchaftlichen Tode im See als ein bloßes Märchen hinzuſtellen. Aber eine ein- gehende Prüfung der Bildniſſe ſelbſt ergab mir auch bald den Ur- ſprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des Mädchens ſah täuſchend aus wie halbkrauſes Lockenhaar, das im Waſſer ſeine Lockigkeit verloren hat, und nur noch leiſe gewellt, vom Waſſer zuſammengehalten, wie eine compacte Maſſe über den Nacken fällt. Der Anblick dieſes Haars, das einfach deshalb ſo vom Waſſer zuſammengehalten ausſieht, weil es der Steinmetz nicht beſſer und natürlicher machen konnte, hat augenſcheinlich der kleinen Erzählung, von den im See ertrunkenen Geſchwiſtern, die Entſtehung gegeben. Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche ſeit etwa 15 Jahren eingebüßt: es war dies das alte Grabgewölbe, in dem ſich die Särge der Familien von Eichſtädt und Sparre, und beſonders der Familie v. Bredow befanden. Damals war dieſe Gruft noch zugänglich, jetzt iſt ſie vermauert und nur am Schall des Tritts erkennt man noch, daß der Boden hohl iſt, über den man ſchreitet. Als die Uebermauerung vorgenommen wer- den ſollte, lüftete man zuvor das Gewölbe, ſchaffte die alten Särge, wohl 40 an der Zahl, an’s Tageslicht und öffnete die Deckel. So ſtanden ſie im Schiff der Kirche wochenlang. Vor demſelben Altar, wo die Geſtalten einiger Bredow’s in die großen Sandſteinplatten eingegraben waren, ſtanden nun, halb aufgerichtet, die geöffneten Särge, und die Todten blickten geſchloſſenen Auges auf ihre eigenen Bildniſſe herab. Nach längerer Zeit war das Ge- wölbe wieder eingerichtet, und die alten Bewohner zogen wieder

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/106>, abgerufen am 24.11.2024.