ein. Den Reigen eröffnete Archim v. Bredow. Man hatte ihm eine Flasche mit in den Sarg gelegt, in der sich ein Zettel befand. Auf diesem Zettel stand zunächst, daß Träger dieses Herr Achim v. Bredow sei, der in Genossenschaft von vielen Bredow's, Eich- städt's und Sparr's hier 300 Jahre lang geschlummert, dann (behufs Lüftung seiner alten Wohnung) vier Wochen lang im Kirchenschiff zu Rheinsberg ausgestanden und im Maimonat 1844 seine alte Wohnung wieder bezogen habe. Dann eine Geschichte der letzten drei Jahrhunderte im Lapidarstil und darunter die Namen von Bürgermeister und Rath. -- Während der Zeit, daß die geöffneten Särge im Schiff der Kirche standen, trug sich eine Geschichte zu, die, mit ihrem Anflug von Gespenstischem, die Gemüther der Rheinsberger wohl auf Wochen hin beschäftigen durfte. Unter den Todten befand sich auch eine Margarethe von Eichstädt, eine schöne Frau, die bei jungen Jahren gestorben war. Die weißen Grabgewänder waren noch wohl erhalten; um den Hals trug sie ein reiches Geschmeide und einen schmalen Trauring am Ringfinger der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter bei den Todten gestanden; als die Zeit kam, wo die Särge wieder geschlossen wer- den sollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Marga- rethe's v. Eichstädt fehle. Ein gewöhnlicher Diebstahl konnte nicht vorliegen; das reiche Halsgeschmeide war unberührt geblieben, nur der Ring fehlte. Wer trug ihn jetzt? --
ein. Den Reigen eröffnete Archim v. Bredow. Man hatte ihm eine Flaſche mit in den Sarg gelegt, in der ſich ein Zettel befand. Auf dieſem Zettel ſtand zunächſt, daß Träger dieſes Herr Achim v. Bredow ſei, der in Genoſſenſchaft von vielen Bredow’s, Eich- ſtädt’s und Sparr’s hier 300 Jahre lang geſchlummert, dann (behufs Lüftung ſeiner alten Wohnung) vier Wochen lang im Kirchenſchiff zu Rheinsberg ausgeſtanden und im Maimonat 1844 ſeine alte Wohnung wieder bezogen habe. Dann eine Geſchichte der letzten drei Jahrhunderte im Lapidarſtil und darunter die Namen von Bürgermeiſter und Rath. — Während der Zeit, daß die geöffneten Särge im Schiff der Kirche ſtanden, trug ſich eine Geſchichte zu, die, mit ihrem Anflug von Geſpenſtiſchem, die Gemüther der Rheinsberger wohl auf Wochen hin beſchäftigen durfte. Unter den Todten befand ſich auch eine Margarethe von Eichſtädt, eine ſchöne Frau, die bei jungen Jahren geſtorben war. Die weißen Grabgewänder waren noch wohl erhalten; um den Hals trug ſie ein reiches Geſchmeide und einen ſchmalen Trauring am Ringfinger der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter bei den Todten geſtanden; als die Zeit kam, wo die Särge wieder geſchloſſen wer- den ſollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Marga- rethe’s v. Eichſtädt fehle. Ein gewöhnlicher Diebſtahl konnte nicht vorliegen; das reiche Halsgeſchmeide war unberührt geblieben, nur der Ring fehlte. Wer trug ihn jetzt? —
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ein. Den Reigen eröffnete Archim v. Bredow. Man hatte ihm
eine Flaſche mit in den Sarg gelegt, in der ſich ein Zettel befand.
Auf dieſem Zettel ſtand zunächſt, daß Träger dieſes Herr Achim
v. Bredow ſei, der in Genoſſenſchaft von vielen Bredow’s, Eich-
ſtädt’s und Sparr’s hier 300 Jahre lang geſchlummert, dann
(behufs Lüftung ſeiner alten Wohnung) vier Wochen lang im
Kirchenſchiff zu Rheinsberg ausgeſtanden und im Maimonat 1844
ſeine alte Wohnung wieder bezogen habe. Dann eine Geſchichte
der letzten drei Jahrhunderte im Lapidarſtil und darunter die
Namen von Bürgermeiſter und Rath. — Während der Zeit, daß
die geöffneten Särge im Schiff der Kirche ſtanden, trug ſich eine
Geſchichte zu, die, mit ihrem Anflug von Geſpenſtiſchem, die Gemüther
der Rheinsberger wohl auf Wochen hin beſchäftigen durfte. Unter
den Todten befand ſich auch eine Margarethe von Eichſtädt, eine
ſchöne Frau, die bei jungen Jahren geſtorben war. Die weißen
Grabgewänder waren noch wohl erhalten; um den Hals trug ſie
ein reiches Geſchmeide und einen ſchmalen Trauring am Ringfinger
der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter bei den Todten
geſtanden; als die Zeit kam, wo die Särge wieder geſchloſſen wer-
den ſollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Marga-
rethe’s v. Eichſtädt fehle. Ein gewöhnlicher Diebſtahl konnte nicht
vorliegen; das reiche Halsgeſchmeide war unberührt geblieben, nur
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/107>, abgerufen am 24.11.2024.
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