stalt, in den späteren Jahren etwas untersetzt und stark; sein Ge- sicht voll, offen, wohlgebildet, seine blauen Augen lebhaft, sein Ansehn männlich. Bei einer weißen Haut und freien Stirn hatte er einen freundlichen Mund, der sich nur manchmal eines spötti- schen Lächelns nicht erwehren und seine angeborene Nei- gung zur Satire nicht ganz verbergen konnte.
So schildert ihn sein Biograph, und diese Züge mochte das Bildniß zeigen, das einst hier hing, aber am letzten Sonntage des Monats Juni 1699, als er zum letzten Male in diesen Chorstuhl uns zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geistlichen zu folgen, zuckte kein spöttisches Lächeln mehr um seinen Mund und die "angeborene Neigung zur Satire" hatte längst einem bes- seren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben seiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu Spener die Worte gesprochen: "wenn Gott mich wieder aufrichtet, so will ich dem eitlen Wesen dieser Welt mich ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige ist." Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm gesagt, weil er es zu wissen verlangt hatte), und die Textesworte, die eben jetzt gelesen wurden, trafen sein Herz. "Es wird gesäet verweslich und wird auferstehen unverweslich; es wird gesäet in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit." Die Worte trafen sein Herz, aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, er- schreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gang der Predigt.
Nun ist die Predigt vorüber und an der Sakristeithür dem Geistlichen freundlich und zustimmend die Hand drückend, schreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüberwachsene Kirchhofsthor, dem Herrenhause zu, das von der andern Seite der Dorfstraße her, zwischen Pappeln und Linden hindurch, freundlich seinen Herrn grüßt. Der Junimorgen, so frisch und so warm zu- gleich, macht ihn aufathmen wie in alter Lust und Fülle des Le- bens, und statt in die Kühle des Hauses einzutreten, tritt er in den lachenden Park. Wir folgen ihm leise. An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des
ſtalt, in den ſpäteren Jahren etwas unterſetzt und ſtark; ſein Ge- ſicht voll, offen, wohlgebildet, ſeine blauen Augen lebhaft, ſein Anſehn männlich. Bei einer weißen Haut und freien Stirn hatte er einen freundlichen Mund, der ſich nur manchmal eines ſpötti- ſchen Lächelns nicht erwehren und ſeine angeborene Nei- gung zur Satire nicht ganz verbergen konnte.
So ſchildert ihn ſein Biograph, und dieſe Züge mochte das Bildniß zeigen, das einſt hier hing, aber am letzten Sonntage des Monats Juni 1699, als er zum letzten Male in dieſen Chorſtuhl uns zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geiſtlichen zu folgen, zuckte kein ſpöttiſches Lächeln mehr um ſeinen Mund und die „angeborene Neigung zur Satire“ hatte längſt einem beſ- ſeren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben ſeiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu Spener die Worte geſprochen: „wenn Gott mich wieder aufrichtet, ſo will ich dem eitlen Weſen dieſer Welt mich ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige iſt.“ Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm geſagt, weil er es zu wiſſen verlangt hatte), und die Textesworte, die eben jetzt geleſen wurden, trafen ſein Herz. „Es wird geſäet verweslich und wird auferſtehen unverweslich; es wird geſäet in Unehre und wird auferſtehen in Herrlichkeit.“ Die Worte trafen ſein Herz, aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, er- ſchreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gang der Predigt.
Nun iſt die Predigt vorüber und an der Sakriſteithür dem Geiſtlichen freundlich und zuſtimmend die Hand drückend, ſchreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüberwachſene Kirchhofsthor, dem Herrenhauſe zu, das von der andern Seite der Dorfſtraße her, zwiſchen Pappeln und Linden hindurch, freundlich ſeinen Herrn grüßt. Der Junimorgen, ſo friſch und ſo warm zu- gleich, macht ihn aufathmen wie in alter Luſt und Fülle des Le- bens, und ſtatt in die Kühle des Hauſes einzutreten, tritt er in den lachenden Park. Wir folgen ihm leiſe. An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des
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ſtalt, in den ſpäteren Jahren etwas unterſetzt und ſtark; ſein Ge-
ſicht voll, offen, wohlgebildet, ſeine blauen Augen lebhaft, ſein
Anſehn männlich. Bei einer weißen Haut und freien Stirn hatte
er einen freundlichen Mund, der ſich nur manchmal eines ſpötti-
ſchen Lächelns nicht erwehren und ſeine angeborene Nei-
gung zur Satire nicht ganz verbergen konnte.
So ſchildert ihn ſein Biograph, und dieſe Züge mochte das
Bildniß zeigen, das einſt hier hing, aber am letzten Sonntage des
Monats Juni 1699, als er zum letzten Male in dieſen Chorſtuhl
uns zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geiſtlichen
zu folgen, zuckte kein ſpöttiſches Lächeln mehr um ſeinen Mund
und die „angeborene Neigung zur Satire“ hatte längſt einem beſ-
ſeren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben ſeiner harre,
und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu
Spener die Worte geſprochen: „wenn Gott mich wieder aufrichtet,
ſo will ich dem eitlen Weſen dieſer Welt mich ganz entziehn und
mich dem widmen, was das allein Nothwendige iſt.“ Canitz wußte,
daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm
geſagt, weil er es zu wiſſen verlangt hatte), und die Textesworte,
die eben jetzt geleſen wurden, trafen ſein Herz. „Es wird geſäet
verweslich und wird auferſtehen unverweslich; es wird geſäet in
Unehre und wird auferſtehen in Herrlichkeit.“ Die Worte trafen
ſein Herz, aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, er-
ſchreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gang der Predigt.
Nun iſt die Predigt vorüber und an der Sakriſteithür dem
Geiſtlichen freundlich und zuſtimmend die Hand drückend, ſchreitet
er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüberwachſene
Kirchhofsthor, dem Herrenhauſe zu, das von der andern Seite der
Dorfſtraße her, zwiſchen Pappeln und Linden hindurch, freundlich
ſeinen Herrn grüßt. Der Junimorgen, ſo friſch und ſo warm zu-
gleich, macht ihn aufathmen wie in alter Luſt und Fülle des Le-
bens, und ſtatt in die Kühle des Hauſes einzutreten, tritt er in
den lachenden Park. Wir folgen ihm leiſe. An dem Birkenwäldchen
vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/279>, abgerufen am 23.11.2024.
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