gangen, nun gehe ich von Dir; sehet, ich schlafe schon." Dann entschlief sie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher jetzt herüber, und Canitz richtete sich auf, als wolle er die Rufe zählen; da schwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb Schmerz, zuckte um seine Lippe, dann schritt er durch die Gänge des Parks in den stillen Schloßhof zurück.
Das war am letzten Junisonntage 1699. Am 11. August desselben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren schwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einst durch tausend große und kleine Wünsche an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunsch: zu sterben, wie die Theure, Heimgegangene, gestorben war. Und dieser letzte Wunsch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages stand er auf, ließ sich völlig ankleiden und trat an das Fenster, welches er öff- nete, um frische Luft zu schöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeschaut, sagte er zu einer Verwandten, die ihn stützte: "Ei, wie schön ist heut' der Himmel!" und sank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre Arme.
So starb "Canitz, der Poet." Schon am Tage darauf wurde er in der Marienkirche beigesetzt. Acht Tage darauf hielt Spener in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt seines Lebens aber stellen wir zu folgender Grabschrift zusammen:
"Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürstlichen Durch- laucht zu Brandenburg wohlbestallter Geheime-Rath und Staatsminister, geb. zu Berlin (nach anderen zu Linden- berg bei Berlin) den 27. November 1654, gest. den 11. August 1699, im 45. Jahre seines Alters. Was das Leben erhöht und verschönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunst und die Menschen; die Freundschaft hielt er hoch, die Treue am höchsten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn,
gangen, nun gehe ich von Dir; ſehet, ich ſchlafe ſchon.“ Dann entſchlief ſie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher jetzt herüber, und Canitz richtete ſich auf, als wolle er die Rufe zählen; da ſchwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb Schmerz, zuckte um ſeine Lippe, dann ſchritt er durch die Gänge des Parks in den ſtillen Schloßhof zurück.
Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt durch tauſend große und kleine Wünſche an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunſch: zu ſterben, wie die Theure, Heimgegangene, geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er auf, ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, welches er öff- nete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeſchaut, ſagte er zu einer Verwandten, die ihn ſtützte: „Ei, wie ſchön iſt heut’ der Himmel!“ und ſank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre Arme.
So ſtarb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurde er in der Marienkirche beigeſetzt. Acht Tage darauf hielt Spener in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt ſeines Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen:
„Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durch- laucht zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und Staatsminiſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu Linden- berg bei Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt 1699, im 45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht und verſchönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt und die Menſchen; die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue am höchſten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0283"n="265"/>
gangen, nun gehe ich von Dir; ſehet, ich ſchlafe ſchon.“ Dann<lb/>
entſchlief ſie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz.</p><lb/><p>Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher<lb/>
jetzt herüber, und Canitz richtete ſich auf, als wolle er die Rufe<lb/>
zählen; da ſchwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb<lb/>
Schmerz, zuckte um ſeine Lippe, dann ſchritt er durch die Gänge<lb/>
des Parks in den ſtillen Schloßhof zurück.</p><lb/><p>Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt<lb/>
deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte<lb/>
waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt<lb/>
durch tauſend große und kleine Wünſche an das Leben gekettet<lb/>
war, es hatte nur noch <hirendition="#g">einen</hi> Wunſch: zu ſterben, wie die Theure,<lb/>
Heimgegangene, geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward ihm<lb/>
erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er auf,<lb/>
ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, welches er öff-<lb/>
nete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf, und<lb/>
mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen<lb/>
Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeſchaut, ſagte er zu<lb/>
einer Verwandten, die ihn ſtützte: „Ei, wie ſchön iſt heut’ der<lb/>
Himmel!“ und ſank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre<lb/>
Arme.</p><lb/><p>So ſtarb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurde<lb/>
er in der Marienkirche beigeſetzt. Acht Tage darauf hielt Spener<lb/>
in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt ſeines<lb/>
Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen:</p><lb/><p><hirendition="#et">„Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durch-<lb/>
laucht zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und<lb/>
Staatsminiſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu <hirendition="#g">Linden-<lb/>
berg</hi> bei Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt<lb/>
1699, im 45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht<lb/>
und verſchönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt<lb/>
und die Menſchen; die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue<lb/>
am höchſten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn,<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[265/0283]
gangen, nun gehe ich von Dir; ſehet, ich ſchlafe ſchon.“ Dann
entſchlief ſie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher
jetzt herüber, und Canitz richtete ſich auf, als wolle er die Rufe
zählen; da ſchwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb
Schmerz, zuckte um ſeine Lippe, dann ſchritt er durch die Gänge
des Parks in den ſtillen Schloßhof zurück.
Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt
deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte
waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt
durch tauſend große und kleine Wünſche an das Leben gekettet
war, es hatte nur noch einen Wunſch: zu ſterben, wie die Theure,
Heimgegangene, geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward ihm
erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er auf,
ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, welches er öff-
nete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf, und
mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen
Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeſchaut, ſagte er zu
einer Verwandten, die ihn ſtützte: „Ei, wie ſchön iſt heut’ der
Himmel!“ und ſank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre
Arme.
So ſtarb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurde
er in der Marienkirche beigeſetzt. Acht Tage darauf hielt Spener
in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt ſeines
Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen:
„Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durch-
laucht zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und
Staatsminiſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu Linden-
berg bei Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt
1699, im 45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht
und verſchönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt
und die Menſchen; die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue
am höchſten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/283>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.