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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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gegen die allgemeinen Interessen auf sich geladen hätte. Canitz
drängte sich nicht zu Diensten, aber so oft er sie übernahm, zeigte
er sich ihnen gewachsen. Leicht und gewissenhaft zugleich, ging er
an die Lösung empfangener Aufgaben, und die graziöse Hand,
mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand
zu sein. Fast an allen deutschen Höfen war er eine wohlgekannte
und wohlgelittene Persönlichkeit, und Kaiser Leopold bezeugte ihm
vielfach seine Gnade und sein besonderes Wohlwollen.

Canitzen's letztes und vielleicht bedeutendstes diplomatisches
Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden,
um den Ryßwicker Friedensschluß, der so viele Interessen verletzte
und so viele Gefahren heraufbeschwor, wieder zu sprengen. Canitz
zeichnete sich auch hier durch jene Klugheit und feine Besonnenheit
aus, die, weil sie geflissentlich leise die Fäden zu schürzen oder zu
entwirren weiß, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der
so leicht da sich einstellt, wo ein Diplomat so undiplomatisch wie
möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort Dessen,
dessen Punktum bereits ein erster Kanonenschuß ist, wird jubelnd
aufbewahrt, während die kluge Haltung Dessen, der eine heranziehende
Gefahr beschwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Das Laute, das
Sichtbare, das sich zu einem bestimmten Bilde abrundet, ist immer
im Vortheil über das Stille und Unplastische, das sich leise voll-
zieht, und jener Erich Christoph v. Plotho, der zu Regensburg
mit jenem berühmt gewordenen: "was! insinuiren??" den kaiser-
lichen Notar, Dr. April, die Treppe hinunterwarf, hat ein ganzes
Dutzend Diplomaten in Schatten gestellt.*) Ueberall da, wo das

*) Ich hätte hier auch ein anderes Beispiel citiren können, ein Bei-
spiel aus der Canitz'schen Zeit und noch dazu ein Vorkommniß, in dem
der Spezialfreund unseres Poeten, der schon obengenannte Johann
von Besser
, die Hauptrolle spielt. Besser war 1686 kurbrandenburgischer
Gesandter in London, und es handelte sich, nach erfolgtem Tode Karl's II.
für das ganze diplomatische Corps darum, dem nunmehrigen König Ja-
cob II. die Glückwünsche ihrer resp. Höfe zu überreichen. Der alte vene-
tianische Gesandte Vignola verlangte den Vortritt vor Besser; Besser ver-

gegen die allgemeinen Intereſſen auf ſich geladen hätte. Canitz
drängte ſich nicht zu Dienſten, aber ſo oft er ſie übernahm, zeigte
er ſich ihnen gewachſen. Leicht und gewiſſenhaft zugleich, ging er
an die Löſung empfangener Aufgaben, und die graziöſe Hand,
mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand
zu ſein. Faſt an allen deutſchen Höfen war er eine wohlgekannte
und wohlgelittene Perſönlichkeit, und Kaiſer Leopold bezeugte ihm
vielfach ſeine Gnade und ſein beſonderes Wohlwollen.

Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches
Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden,
um den Ryßwicker Friedensſchluß, der ſo viele Intereſſen verletzte
und ſo viele Gefahren heraufbeſchwor, wieder zu ſprengen. Canitz
zeichnete ſich auch hier durch jene Klugheit und feine Beſonnenheit
aus, die, weil ſie gefliſſentlich leiſe die Fäden zu ſchürzen oder zu
entwirren weiß, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der
ſo leicht da ſich einſtellt, wo ein Diplomat ſo undiplomatiſch wie
möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort Deſſen,
deſſen Punktum bereits ein erſter Kanonenſchuß iſt, wird jubelnd
aufbewahrt, während die kluge Haltung Deſſen, der eine heranziehende
Gefahr beſchwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Das Laute, das
Sichtbare, das ſich zu einem beſtimmten Bilde abrundet, iſt immer
im Vortheil über das Stille und Unplaſtiſche, das ſich leiſe voll-
zieht, und jener Erich Chriſtoph v. Plotho, der zu Regensburg
mit jenem berühmt gewordenen: „was! inſinuiren??“ den kaiſer-
lichen Notar, Dr. April, die Treppe hinunterwarf, hat ein ganzes
Dutzend Diplomaten in Schatten geſtellt.*) Ueberall da, wo das

*) Ich hätte hier auch ein anderes Beiſpiel citiren können, ein Bei-
ſpiel aus der Canitz’ſchen Zeit und noch dazu ein Vorkommniß, in dem
der Spezialfreund unſeres Poeten, der ſchon obengenannte Johann
von Beſſer
, die Hauptrolle ſpielt. Beſſer war 1686 kurbrandenburgiſcher
Geſandter in London, und es handelte ſich, nach erfolgtem Tode Karl’s II.
für das ganze diplomatiſche Corps darum, dem nunmehrigen König Ja-
cob II. die Glückwünſche ihrer reſp. Höfe zu überreichen. Der alte vene-
tianiſche Geſandte Vignola verlangte den Vortritt vor Beſſer; Beſſer ver-
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[268/0286] gegen die allgemeinen Intereſſen auf ſich geladen hätte. Canitz drängte ſich nicht zu Dienſten, aber ſo oft er ſie übernahm, zeigte er ſich ihnen gewachſen. Leicht und gewiſſenhaft zugleich, ging er an die Löſung empfangener Aufgaben, und die graziöſe Hand, mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu ſein. Faſt an allen deutſchen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Perſönlichkeit, und Kaiſer Leopold bezeugte ihm vielfach ſeine Gnade und ſein beſonderes Wohlwollen. Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden, um den Ryßwicker Friedensſchluß, der ſo viele Intereſſen verletzte und ſo viele Gefahren heraufbeſchwor, wieder zu ſprengen. Canitz zeichnete ſich auch hier durch jene Klugheit und feine Beſonnenheit aus, die, weil ſie gefliſſentlich leiſe die Fäden zu ſchürzen oder zu entwirren weiß, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der ſo leicht da ſich einſtellt, wo ein Diplomat ſo undiplomatiſch wie möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort Deſſen, deſſen Punktum bereits ein erſter Kanonenſchuß iſt, wird jubelnd aufbewahrt, während die kluge Haltung Deſſen, der eine heranziehende Gefahr beſchwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Das Laute, das Sichtbare, das ſich zu einem beſtimmten Bilde abrundet, iſt immer im Vortheil über das Stille und Unplaſtiſche, das ſich leiſe voll- zieht, und jener Erich Chriſtoph v. Plotho, der zu Regensburg mit jenem berühmt gewordenen: „was! inſinuiren??“ den kaiſer- lichen Notar, Dr. April, die Treppe hinunterwarf, hat ein ganzes Dutzend Diplomaten in Schatten geſtellt. *) Ueberall da, wo das *) Ich hätte hier auch ein anderes Beiſpiel citiren können, ein Bei- ſpiel aus der Canitz’ſchen Zeit und noch dazu ein Vorkommniß, in dem der Spezialfreund unſeres Poeten, der ſchon obengenannte Johann von Beſſer, die Hauptrolle ſpielt. Beſſer war 1686 kurbrandenburgiſcher Geſandter in London, und es handelte ſich, nach erfolgtem Tode Karl’s II. für das ganze diplomatiſche Corps darum, dem nunmehrigen König Ja- cob II. die Glückwünſche ihrer reſp. Höfe zu überreichen. Der alte vene- tianiſche Geſandte Vignola verlangte den Vortritt vor Beſſer; Beſſer ver-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/286>, abgerufen am 23.11.2024.