Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.Wort Friedrichs des Großen gilt: "Mach' Er nur, ich stehe mit Canitz Verdienste als Diplomat sind unbestritten, seine Ver- Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel, Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel, Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt; Auf dieser Stelle sank der tapfre Dohna nieder, Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder, Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt, Das, eh' der Sonne Rad den andern Morgen brachte, Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte*) -- weigerte dies. Man einigte sich endlich dahin, daß der den Vortritt haben solle, der zuerst auf dem Platz erscheinen würde. Der alte Italiener kam früh, aber Besser kam früher; er hatte sich nämlich die Nacht über in eins der königlichen Vorzimmer einschließen lassen, und stand bereits da, als Vignola eintrat. Dieser war unklug genug, nach wie vor auf den Vor- tritt zu bestehen. Besser warnte ihn. Als der Ceremonienmeister die Thür öffnete, sprang Vignola vor, Besser aber, der von großer Körperkraft war, packte im selben Augenblick den alten Schelm hinten am Hosenbund und schnellte ihn mit geübter Ringerkunst mehrere Schritte hinter sich. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig fest und gesammelt, an die Stufen des Thrones und hielt seine Ansprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als beleidigt und der spanische Gesandte sagte ruhig zum alten Vignola: "Caro vecchio avete fatto una grande cacata." Der Vorfall machte in ganz Europa Sensation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als sei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geschlagen und gewonnen worden. *) Der Titel des Gedichtes lautet: "Elegie; letzte Pflicht der
Freundschaft, dem sel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abge- Wort Friedrichs des Großen gilt: „Mach’ Er nur, ich ſtehe mit Canitz Verdienſte als Diplomat ſind unbeſtritten, ſeine Ver- Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel, Begeuß mit einer Fluth von Thränen dieſen Hügel, Weil ihn mein treuſter Freund mit ſeinem Blut benetzt; Auf dieſer Stelle ſank der tapfre Dohna nieder, Hier war ſein Kampf und Fall, hier ſtarrten ſeine Glieder, Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt, Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte, Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte*) — weigerte dies. Man einigte ſich endlich dahin, daß der den Vortritt haben ſolle, der zuerſt auf dem Platz erſcheinen würde. Der alte Italiener kam früh, aber Beſſer kam früher; er hatte ſich nämlich die Nacht über in eins der königlichen Vorzimmer einſchließen laſſen, und ſtand bereits da, als Vignola eintrat. Dieſer war unklug genug, nach wie vor auf den Vor- tritt zu beſtehen. Beſſer warnte ihn. Als der Ceremonienmeiſter die Thür öffnete, ſprang Vignola vor, Beſſer aber, der von großer Körperkraft war, packte im ſelben Augenblick den alten Schelm hinten am Hoſenbund und ſchnellte ihn mit geübter Ringerkunſt mehrere Schritte hinter ſich. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig feſt und geſammelt, an die Stufen des Thrones und hielt ſeine Anſprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als beleidigt und der ſpaniſche Geſandte ſagte ruhig zum alten Vignola: „Caro vecchio avete fatto una grande cacata.“ Der Vorfall machte in ganz Europa Senſation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als ſei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geſchlagen und gewonnen worden. *) Der Titel des Gedichtes lautet: „Elegie; letzte Pflicht der
Freundſchaft, dem ſel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0287" n="269"/> Wort Friedrichs des Großen gilt: „Mach’ Er nur, ich ſtehe mit<lb/> 200,000 Mann hinter Ihm!“ iſt es nicht ſchwer, dem guten Ruf<lb/> der Kraft auch den der <hi rendition="#g">Klugheit</hi> hinzuzufügen, und das Achſel-<lb/> zucken, das unſere preußiſchen Diplomaten ſo oft hinnehmen müſ-<lb/> ſen, hat in ganz anderen Dingen ſeinen Grund, als in Mangel<lb/> an Einſicht und ſtaatsmänniſcher Bildung.</p><lb/> <p>Canitz Verdienſte als Diplomat ſind unbeſtritten, ſeine Ver-<lb/> dienſte als Poet ſind kaum geringer. Wer auf gut Glück hin und<lb/> ohne den Vorſatz liebevolleren Eingehens, den Band ſeiner Dich-<lb/> tungen aufſchlägt und (übrigens in einem an Schönheiten reichen<lb/> Gedichte) folgende Anfangsſtrophe findet:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel,</l><lb/> <l>Begeuß mit einer Fluth von Thränen dieſen Hügel,</l><lb/> <l>Weil ihn mein treuſter Freund mit ſeinem Blut benetzt;</l><lb/> <l>Auf dieſer Stelle ſank der tapfre <hi rendition="#g">Dohna</hi> nieder,</l><lb/> <l>Hier war ſein Kampf und Fall, hier ſtarrten ſeine Glieder,</l><lb/> <l>Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt,</l><lb/> <l>Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte,</l><lb/> <l>Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte<note xml:id="note-0287a" n="*)" place="foot" next="#note-0288">Der Titel des Gedichtes lautet: „<hi rendition="#g">Elegie</hi>; letzte Pflicht der<lb/> Freundſchaft, dem ſel. Grafen <hi rendition="#g">von Dohna</hi> auf derjenigen Stelle abge-</note> —</l> </lg><lb/> <note xml:id="note-0287" prev="#note-0286" place="foot" n="*)">weigerte dies. Man einigte ſich endlich dahin, daß der den Vortritt haben<lb/> ſolle, der zuerſt auf dem Platz erſcheinen würde. Der alte Italiener kam<lb/> früh, aber Beſſer kam früher; er hatte ſich nämlich die Nacht über in eins<lb/> der königlichen Vorzimmer einſchließen laſſen, und ſtand bereits da, als<lb/> Vignola eintrat. Dieſer war unklug genug, nach wie vor auf den Vor-<lb/> tritt zu beſtehen. Beſſer warnte ihn. Als der Ceremonienmeiſter die Thür<lb/> öffnete, ſprang Vignola vor, Beſſer aber, der von großer Körperkraft war,<lb/> packte im ſelben Augenblick den alten Schelm hinten am Hoſenbund und<lb/> ſchnellte ihn mit geübter Ringerkunſt mehrere Schritte hinter ſich. Ohne<lb/> eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig feſt und geſammelt, an die<lb/> Stufen des Thrones und hielt ſeine Anſprache. Alles war entzückt, der<lb/> König nichts weniger als beleidigt und der ſpaniſche Geſandte ſagte ruhig<lb/> zum alten Vignola: <hi rendition="#aq">„Caro vecchio avete fatto una grande cacata.“</hi><lb/> Der Vorfall machte in ganz Europa Senſation und wurde wie ein neuer<lb/> Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als ſei eine zweite Schlacht<lb/> von Fehrbellin geſchlagen und gewonnen worden.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [269/0287]
Wort Friedrichs des Großen gilt: „Mach’ Er nur, ich ſtehe mit
200,000 Mann hinter Ihm!“ iſt es nicht ſchwer, dem guten Ruf
der Kraft auch den der Klugheit hinzuzufügen, und das Achſel-
zucken, das unſere preußiſchen Diplomaten ſo oft hinnehmen müſ-
ſen, hat in ganz anderen Dingen ſeinen Grund, als in Mangel
an Einſicht und ſtaatsmänniſcher Bildung.
Canitz Verdienſte als Diplomat ſind unbeſtritten, ſeine Ver-
dienſte als Poet ſind kaum geringer. Wer auf gut Glück hin und
ohne den Vorſatz liebevolleren Eingehens, den Band ſeiner Dich-
tungen aufſchlägt und (übrigens in einem an Schönheiten reichen
Gedichte) folgende Anfangsſtrophe findet:
Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel,
Begeuß mit einer Fluth von Thränen dieſen Hügel,
Weil ihn mein treuſter Freund mit ſeinem Blut benetzt;
Auf dieſer Stelle ſank der tapfre Dohna nieder,
Hier war ſein Kampf und Fall, hier ſtarrten ſeine Glieder,
Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt,
Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte,
Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte *) —
*)
*) Der Titel des Gedichtes lautet: „Elegie; letzte Pflicht der
Freundſchaft, dem ſel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abge-
*) weigerte dies. Man einigte ſich endlich dahin, daß der den Vortritt haben
ſolle, der zuerſt auf dem Platz erſcheinen würde. Der alte Italiener kam
früh, aber Beſſer kam früher; er hatte ſich nämlich die Nacht über in eins
der königlichen Vorzimmer einſchließen laſſen, und ſtand bereits da, als
Vignola eintrat. Dieſer war unklug genug, nach wie vor auf den Vor-
tritt zu beſtehen. Beſſer warnte ihn. Als der Ceremonienmeiſter die Thür
öffnete, ſprang Vignola vor, Beſſer aber, der von großer Körperkraft war,
packte im ſelben Augenblick den alten Schelm hinten am Hoſenbund und
ſchnellte ihn mit geübter Ringerkunſt mehrere Schritte hinter ſich. Ohne
eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig feſt und geſammelt, an die
Stufen des Thrones und hielt ſeine Anſprache. Alles war entzückt, der
König nichts weniger als beleidigt und der ſpaniſche Geſandte ſagte ruhig
zum alten Vignola: „Caro vecchio avete fatto una grande cacata.“
Der Vorfall machte in ganz Europa Senſation und wurde wie ein neuer
Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als ſei eine zweite Schlacht
von Fehrbellin geſchlagen und gewonnen worden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeFontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |