angenehme Unterhaltung trieb, wie Spiel und Zeitvertreib (er selbst nannte es in seinen Briefen "die Kurzweil des Reimens"), aber wir würden sehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen, scherzhaften Reimereien, wie sie bei Festspielen, den sogenannten "Wirthschaften", damals Mode waren, den Werth seiner Dichtun- gen überhaupt abschätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im besten Sinne, wie man ein poetisches Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichterischen Ausdruck verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles, Großes und Kleines, Absonderliches und Alltägliches, und diesen Wechsel zeigen auch seine Dichtungen, aber sie sind einig in dem einen, daß sie, ob groß, ob klein, ein Er- lebtes wiederspiegeln; sie sind nicht Fiktion, sie sind wirklich, sie haben einen realen Inhalt; dieser Inhalt ist nicht immer poetisch, weder in sich, noch in der Art, wie er sich giebt, aber es fehlt auch überall die Gefahr, sich in's Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer sagte von diesen Gedichten: "Canitz legete nichts Fremdes in dieselben, was nicht zuvor in seinem Sinn und Herzen gewesen wäre." Das ist sehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an sich selbst Erfahrenen (auch da, wo es sich um bloße Reflexionen handelt) hält schadlos für den fehlenden Hochflug, auch für einen gewissen Mangel an Kraft, Tiefe und Originalität, den wir nicht in Abrede stellen wollen.
Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache, Form und namentlich an Innerlichkeit Alles weit zurückläßt, was er außerdem geschrieben hat, und nicht nur einen relativen, sondern einen absoluten und unbedingten poetischen Werth bean- spruchen darf. Es ist dies das Gedicht: "An Doris", oder: "Ueber den Tod seiner ersten Gemahlin", wie es in einer älteren Ausgabe genannt wird. Es gilt von diesem Gedicht etwas Aehnliches, wie Schlegel von Bürger's "Lenore" gesagt hat: "daß es allein schon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nachwelt zu über- liefern." Die Zeiten ändern sich freilich und es wird Manchem jetzt pedantisch erscheinen, 27 Trauerstrophen (noch dazu die Arbeit
angenehme Unterhaltung trieb, wie Spiel und Zeitvertreib (er ſelbſt nannte es in ſeinen Briefen „die Kurzweil des Reimens“), aber wir würden ſehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen, ſcherzhaften Reimereien, wie ſie bei Feſtſpielen, den ſogenannten „Wirthſchaften“, damals Mode waren, den Werth ſeiner Dichtun- gen überhaupt abſchätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im beſten Sinne, wie man ein poetiſches Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichteriſchen Ausdruck verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles, Großes und Kleines, Abſonderliches und Alltägliches, und dieſen Wechſel zeigen auch ſeine Dichtungen, aber ſie ſind einig in dem einen, daß ſie, ob groß, ob klein, ein Er- lebtes wiederſpiegeln; ſie ſind nicht Fiktion, ſie ſind wirklich, ſie haben einen realen Inhalt; dieſer Inhalt iſt nicht immer poetiſch, weder in ſich, noch in der Art, wie er ſich giebt, aber es fehlt auch überall die Gefahr, ſich in’s Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer ſagte von dieſen Gedichten: „Canitz legete nichts Fremdes in dieſelben, was nicht zuvor in ſeinem Sinn und Herzen geweſen wäre.“ Das iſt ſehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an ſich ſelbſt Erfahrenen (auch da, wo es ſich um bloße Reflexionen handelt) hält ſchadlos für den fehlenden Hochflug, auch für einen gewiſſen Mangel an Kraft, Tiefe und Originalität, den wir nicht in Abrede ſtellen wollen.
Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache, Form und namentlich an Innerlichkeit Alles weit zurückläßt, was er außerdem geſchrieben hat, und nicht nur einen relativen, ſondern einen abſoluten und unbedingten poetiſchen Werth bean- ſpruchen darf. Es iſt dies das Gedicht: „An Doris“, oder: „Ueber den Tod ſeiner erſten Gemahlin“, wie es in einer älteren Ausgabe genannt wird. Es gilt von dieſem Gedicht etwas Aehnliches, wie Schlegel von Bürger’s „Lenore“ geſagt hat: „daß es allein ſchon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nachwelt zu über- liefern.“ Die Zeiten ändern ſich freilich und es wird Manchem jetzt pedantiſch erſcheinen, 27 Trauerſtrophen (noch dazu die Arbeit
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angenehme Unterhaltung trieb, wie Spiel und Zeitvertreib (er ſelbſt
nannte es in ſeinen Briefen „die Kurzweil des Reimens“), aber
wir würden ſehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen,
ſcherzhaften Reimereien, wie ſie bei Feſtſpielen, den ſogenannten
„Wirthſchaften“, damals Mode waren, den Werth ſeiner Dichtun-
gen überhaupt abſchätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie
Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im beſten Sinne, wie
man ein poetiſches Tagebuch führt, darin er Allem zu einem
dichteriſchen Ausdruck verhalf, was der Lauf des Tages brachte.
Der Tag brachte Vieles, Großes und Kleines, Abſonderliches und
Alltägliches, und dieſen Wechſel zeigen auch ſeine Dichtungen, aber
ſie ſind einig in dem einen, daß ſie, ob groß, ob klein, ein Er-
lebtes wiederſpiegeln; ſie ſind nicht Fiktion, ſie ſind wirklich, ſie
haben einen realen Inhalt; dieſer Inhalt iſt nicht immer poetiſch,
weder in ſich, noch in der Art, wie er ſich giebt, aber es fehlt
auch überall die Gefahr, ſich in’s Nichts zu verflüchtigen. Der
alte Bodmer ſagte von dieſen Gedichten: „Canitz legete nichts
Fremdes in dieſelben, was nicht zuvor in ſeinem Sinn und
Herzen geweſen wäre.“ Das iſt ſehr richtig und der Stempel des
Aechten, Wahrhaftigen, an ſich ſelbſt Erfahrenen (auch da, wo es
ſich um bloße Reflexionen handelt) hält ſchadlos für den fehlenden
Hochflug, auch für einen gewiſſen Mangel an Kraft, Tiefe und
Originalität, den wir nicht in Abrede ſtellen wollen.
Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache,
Form und namentlich an Innerlichkeit Alles weit zurückläßt,
was er außerdem geſchrieben hat, und nicht nur einen relativen,
ſondern einen abſoluten und unbedingten poetiſchen Werth bean-
ſpruchen darf. Es iſt dies das Gedicht: „An Doris“, oder: „Ueber
den Tod ſeiner erſten Gemahlin“, wie es in einer älteren Ausgabe
genannt wird. Es gilt von dieſem Gedicht etwas Aehnliches, wie
Schlegel von Bürger’s „Lenore“ geſagt hat: „daß es allein ſchon
ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nachwelt zu über-
liefern.“ Die Zeiten ändern ſich freilich und es wird Manchem
jetzt pedantiſch erſcheinen, 27 Trauerſtrophen (noch dazu die Arbeit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/289>, abgerufen am 23.11.2024.
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