ließe. Die Sache war gut gemeint, aber sie hatte mehr Herz, als Verstand. Kaum daß solche Pläne in den Köpfen der Menge spuk- ten, als sich auch schon Gelegenheit bot, sie auszuführen. Bei lei- sem Schneegestöber kam Anfangs December ein Schlitten durch's Thor, dessen Insasse sich, trotz des weiten Mantels, der die Uni- form verhüllte, unleugbar als ein höherer französischer Offizier zu erkennen gab. Da hatte man wen im Garn! Mit Geschrei drang man auf den Unbekannten ein, zunächst um ihn zu insultiren, vielleicht um ihn zu erschlagen, wenn er Widerstand versuchen sollte. Knesebeck eilte herzu, stellte den Angreifenden das Unedle, das Thörichte, das Gefährliche ihrer Handlungsweise vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier setzte seine Reise nach Berlin hin fort. Alles schien vergessen, als etwa drei oder vier Tage spä- ter Knesebeck in den Gasthof zur Krone gerufen wurde. Ein fran- zösischer Gendarmerie-Oberst (ein Abgesandter Savary's, in dessen Händen damals (in Berlin) die oberste Polizeileitung war) trat ihm in brüsker Weise entgegen und machte ihn verantwortlich für die Insulten, die sich die Stadt gegen einen französischen Offizier erlaubt habe. "Ich werde Sie füsiliren lassen." Knesebeck erwie- derte kalt: "contre la force il n'y a point de resistance." Der Oberst *), durch die Ruhe dieser Entgegnung decontenancirt, pol- terte eben heftig mit neuen Schmähungen heraus, als eine dritte Gestalt, die bis dahin halbverborgen in der Fensternische gestanden hatte, zu den Streitenden herantrat und dem lärmenden Offizier zurief: "Taisez vous! cet homme a agi comme chevalier;
*) Meine Quelle giebt an, dieser Oberst sei Savary selbst gewesen, was aber aus vielen Gründen unmöglich ist. Savary wurde schon bei Marengo (1800) Napoleons General-Adjutant, war also im Dezember 1806 mindestens General-Lieutenant, wenigstens wurde er 6 Monate später (nach der Schlacht bei Friedland) bereits zum Herzog von Ro- vigo ernannt. Ein so hochgestellter Offizier konnte durch Caulaincourt, der an Rang kaum mehr war als er selbst, nicht gut persönlich zu einer Untersuchungsreise nach Ruppin veranlaßt, am allerwenigsten aber mit einem "taisez vous" zur Ruhe verwiesen werden.
ließe. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte mehr Herz, als Verſtand. Kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen der Menge ſpuk- ten, als ſich auch ſchon Gelegenheit bot, ſie auszuführen. Bei lei- ſem Schneegeſtöber kam Anfangs December ein Schlitten durch’s Thor, deſſen Inſaſſe ſich, trotz des weiten Mantels, der die Uni- form verhüllte, unleugbar als ein höherer franzöſiſcher Offizier zu erkennen gab. Da hatte man wen im Garn! Mit Geſchrei drang man auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren, vielleicht um ihn zu erſchlagen, wenn er Widerſtand verſuchen ſollte. Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das Unedle, das Thörichte, das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier ſetzte ſeine Reiſe nach Berlin hin fort. Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpä- ter Kneſebeck in den Gaſthof zur Krone gerufen wurde. Ein fran- zöſiſcher Gendarmerie-Oberſt (ein Abgeſandter Savary’s, in deſſen Händen damals (in Berlin) die oberſte Polizeileitung war) trat ihm in brüsker Weiſe entgegen und machte ihn verantwortlich für die Inſulten, die ſich die Stadt gegen einen franzöſiſchen Offizier erlaubt habe. „Ich werde Sie füſiliren laſſen.“ Kneſebeck erwie- derte kalt: „contre la force il n’y a point de résistance.“ Der Oberſt *), durch die Ruhe dieſer Entgegnung decontenancirt, pol- terte eben heftig mit neuen Schmähungen heraus, als eine dritte Geſtalt, die bis dahin halbverborgen in der Fenſterniſche geſtanden hatte, zu den Streitenden herantrat und dem lärmenden Offizier zurief: „Taisez vous! cet homme a agi comme chevalier;
*) Meine Quelle giebt an, dieſer Oberſt ſei Savary ſelbſt geweſen, was aber aus vielen Gründen unmöglich iſt. Savary wurde ſchon bei Marengo (1800) Napoleons General-Adjutant, war alſo im Dezember 1806 mindeſtens General-Lieutenant, wenigſtens wurde er 6 Monate ſpäter (nach der Schlacht bei Friedland) bereits zum Herzog von Ro- vigo ernannt. Ein ſo hochgeſtellter Offizier konnte durch Caulaincourt, der an Rang kaum mehr war als er ſelbſt, nicht gut perſönlich zu einer Unterſuchungsreiſe nach Ruppin veranlaßt, am allerwenigſten aber mit einem „taisez vous“ zur Ruhe verwieſen werden.
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ließe. Die Sache war gut gemeint, aber ſie hatte mehr Herz, als
Verſtand. Kaum daß ſolche Pläne in den Köpfen der Menge ſpuk-
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ſem Schneegeſtöber kam Anfangs December ein Schlitten durch’s
Thor, deſſen Inſaſſe ſich, trotz des weiten Mantels, der die Uni-
form verhüllte, unleugbar als ein höherer franzöſiſcher Offizier zu
erkennen gab. Da hatte man wen im Garn! Mit Geſchrei drang
man auf den Unbekannten ein, zunächſt um ihn zu inſultiren,
vielleicht um ihn zu erſchlagen, wenn er Widerſtand verſuchen ſollte.
Kneſebeck eilte herzu, ſtellte den Angreifenden das Unedle, das
Thörichte, das Gefährliche ihrer Handlungsweiſe vor und trieb den
Haufen aus einander. Der Offizier ſetzte ſeine Reiſe nach Berlin
hin fort. Alles ſchien vergeſſen, als etwa drei oder vier Tage ſpä-
ter Kneſebeck in den Gaſthof zur Krone gerufen wurde. Ein fran-
zöſiſcher Gendarmerie-Oberſt (ein Abgeſandter Savary’s, in deſſen
Händen damals (in Berlin) die oberſte Polizeileitung war) trat
ihm in brüsker Weiſe entgegen und machte ihn verantwortlich für
die Inſulten, die ſich die Stadt gegen einen franzöſiſchen Offizier
erlaubt habe. „Ich werde Sie füſiliren laſſen.“ Kneſebeck erwie-
derte kalt: „contre la force il n’y a point de résistance.“
Der Oberſt *), durch die Ruhe dieſer Entgegnung decontenancirt, pol-
terte eben heftig mit neuen Schmähungen heraus, als eine dritte
Geſtalt, die bis dahin halbverborgen in der Fenſterniſche geſtanden
hatte, zu den Streitenden herantrat und dem lärmenden Offizier
zurief: „Taisez vous! cet homme a agi comme chevalier;
*) Meine Quelle giebt an, dieſer Oberſt ſei Savary ſelbſt geweſen,
was aber aus vielen Gründen unmöglich iſt. Savary wurde ſchon bei
Marengo (1800) Napoleons General-Adjutant, war alſo im Dezember
1806 mindeſtens General-Lieutenant, wenigſtens wurde er 6 Monate
ſpäter (nach der Schlacht bei Friedland) bereits zum Herzog von Ro-
vigo ernannt. Ein ſo hochgeſtellter Offizier konnte durch Caulaincourt,
der an Rang kaum mehr war als er ſelbſt, nicht gut perſönlich zu einer
Unterſuchungsreiſe nach Ruppin veranlaßt, am allerwenigſten aber mit
einem „taisez vous“ zur Ruhe verwieſen werden.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/426>, abgerufen am 26.06.2024.
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