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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Hunger und Durst. Er wußte kein Wort russisch und, um sich
möglichst gut zu introduciren, sagte er bloß: Tottleben, Zernitscheff,
Zarewna. Der Corporal antwortete: Belling, Zieten, Fridericus
Rex. So wurde mit Hülfe des siebenjährigen Krieges Freundschaft
geschlossen. Man fand sich, schüttelte sich die Hände; der Russe
schaffte Thee und Speisen herbei und trat dann unserm Schadow
sein Bett ab, das das einzige in der ganzen Gegend war. Er
hatte hier practisch erfahren, daß es nur darauf ankomme, das
rechte Wort zu treffen! --

Voller Selbstbewußtsein, war er doch frei von jeder klein-
lichen Eitelkeit. Ja, er erwies sich, nach dieser Seite hin, als eine
echte und große Künstlernatur. Die Autobiographie, die er hinter-
lassen hat, zeigt uns in erhebender Weise die Beispiele davon.
Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des
eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder ein Grollen über die
Fortschritte, die Zeit und Kunst um ihn her gemacht hatten. Sel-
ten mag ein Künstler mit größerer Unbefangenheit über seine Werke
zu Gericht gesessen haben. "Es kann dies Denkmal Tauentzien's
-- so schreibt er selbst -- nicht zu den Kunstwerken gezählt wer-
den, die als Vorbilder dienen dürfen", und über die Statue
Friedrich's II. in Stettin, die von vielen Seiten seinen besten
Arbeiten zugezählt und über das Rauch'sche Kolossal-Werk gestellt
worden ist, läßt er sich selber in abwehrender Weise vernehmen:
"Ich zähle auch diese Arbeit nicht zu den gelungenen; die Drap-
pirung des Mantels war ein mühseliges Unternehmen." Von den
Reliefs am Berliner Münzgebäude sagt er in heiterer Anspruchs-
losigkeit: "Wer diese Arbeiten als meine besten gepriesen hat, mag
es vor sich und vor der Welt verantworten."

Solcher Aussprüche finden sich viele. Eine ungeheure Pro-
ductionskraft und, bis in's späte Alter hinein, eine gewisse Leich-
tigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig gegen das Einzelne.
Er hatte immer das Ganze vor Augen und war nicht ängstlich
bei jedem Schnitzelchen auf Ruhm und Unsterblichkeit bedacht. Eine
kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die

Hunger und Durſt. Er wußte kein Wort ruſſiſch und, um ſich
möglichſt gut zu introduciren, ſagte er bloß: Tottleben, Zernitſcheff,
Zarewna. Der Corporal antwortete: Belling, Zieten, Fridericus
Rex. So wurde mit Hülfe des ſiebenjährigen Krieges Freundſchaft
geſchloſſen. Man fand ſich, ſchüttelte ſich die Hände; der Ruſſe
ſchaffte Thee und Speiſen herbei und trat dann unſerm Schadow
ſein Bett ab, das das einzige in der ganzen Gegend war. Er
hatte hier practiſch erfahren, daß es nur darauf ankomme, das
rechte Wort zu treffen! —

Voller Selbſtbewußtſein, war er doch frei von jeder klein-
lichen Eitelkeit. Ja, er erwies ſich, nach dieſer Seite hin, als eine
echte und große Künſtlernatur. Die Autobiographie, die er hinter-
laſſen hat, zeigt uns in erhebender Weiſe die Beiſpiele davon.
Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des
eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder ein Grollen über die
Fortſchritte, die Zeit und Kunſt um ihn her gemacht hatten. Sel-
ten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit über ſeine Werke
zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denkmal Tauentzien’s
— ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſtwerken gezählt wer-
den, die als Vorbilder dienen dürfen“, und über die Statue
Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen Seiten ſeinen beſten
Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche Koloſſal-Werk geſtellt
worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender Weiſe vernehmen:
„Ich zähle auch dieſe Arbeit nicht zu den gelungenen; die Drap-
pirung des Mantels war ein mühſeliges Unternehmen.“ Von den
Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in heiterer Anſpruchs-
loſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten geprieſen hat, mag
es vor ſich und vor der Welt verantworten.“

Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro-
ductionskraft und, bis in’s ſpäte Alter hinein, eine gewiſſe Leich-
tigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig gegen das Einzelne.
Er hatte immer das Ganze vor Augen und war nicht ängſtlich
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[429/0447] Hunger und Durſt. Er wußte kein Wort ruſſiſch und, um ſich möglichſt gut zu introduciren, ſagte er bloß: Tottleben, Zernitſcheff, Zarewna. Der Corporal antwortete: Belling, Zieten, Fridericus Rex. So wurde mit Hülfe des ſiebenjährigen Krieges Freundſchaft geſchloſſen. Man fand ſich, ſchüttelte ſich die Hände; der Ruſſe ſchaffte Thee und Speiſen herbei und trat dann unſerm Schadow ſein Bett ab, das das einzige in der ganzen Gegend war. Er hatte hier practiſch erfahren, daß es nur darauf ankomme, das rechte Wort zu treffen! — Voller Selbſtbewußtſein, war er doch frei von jeder klein- lichen Eitelkeit. Ja, er erwies ſich, nach dieſer Seite hin, als eine echte und große Künſtlernatur. Die Autobiographie, die er hinter- laſſen hat, zeigt uns in erhebender Weiſe die Beiſpiele davon. Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder ein Grollen über die Fortſchritte, die Zeit und Kunſt um ihn her gemacht hatten. Sel- ten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit über ſeine Werke zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denkmal Tauentzien’s — ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſtwerken gezählt wer- den, die als Vorbilder dienen dürfen“, und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen Seiten ſeinen beſten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche Koloſſal-Werk geſtellt worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender Weiſe vernehmen: „Ich zähle auch dieſe Arbeit nicht zu den gelungenen; die Drap- pirung des Mantels war ein mühſeliges Unternehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in heiterer Anſpruchs- loſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten geprieſen hat, mag es vor ſich und vor der Welt verantworten.“ Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro- ductionskraft und, bis in’s ſpäte Alter hinein, eine gewiſſe Leich- tigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig gegen das Einzelne. Er hatte immer das Ganze vor Augen und war nicht ängſtlich bei jedem Schnitzelchen auf Ruhm und Unſterblichkeit bedacht. Eine kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/447>, abgerufen am 17.06.2024.