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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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durch die Luft; kaum war Paskiewitsch in Warschau eingezogen,
so breitete sich das Schlachtfeld von Ostrolenka mit grünen Uni-
formen und polnischen Pelzmützen vor dem erstaunten Blick der
Menge aus, und tief sind meinem Gedächtniß die Dänen einge-
prägt, die in zinnoberrothen Röcken vor dem Dannewerk lagen,
während die preußischen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß
Gottorp losrückten. Dinge, die keines Menschen Auge gesehn, die
Zeichner und Coloristen zu Neu-Ruppin haben Einblick gehabt in
alles und der "Birkenhead", der in Flammen unterging, der
"Präsident", der zwischen Eisbergen zertrümmerte, das Auge der
Kunst hat darüber gewacht. Andre, ähnliche Unternehmungen sind
seitdem ins Dasein getreten, der Münchner Bilderbogen hat seine
Reise um die Welt angetreten, Winkelmann & Söhne haben durch
zahlreiche Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und der
Jungfrau von Orleans, der dramatischen Kunst die Schleppe ge-
tragen, aber, was immer ihre Erfolge gewesen sein mögen, sie
haben sich schlechter auf den Geschmack des großen Publikums ver-
standen und haben die rechte Stunde mehr denn einmal versäumt.
Da liegt es. In jedem Augenblick klar zu erkennen, was oben
aufschwimmt, was das eigentlichste Tagesinteresse bildet, das war
unausgesetzt und durch viele Jahrzehnte hin Princip und Aufgabe
in der Ruppiner Offizin. Und diese Aufgabe ist glänzend von
ihr gelöst worden, so glänzend, daß ich Personen mit sichtlichem
Interesse vor diesen Bildern habe verweilen sehn, die vor der
künstlerischen Leistung, wenn dieselbe als solche an sie herange-
treten wäre, einen unaffektirten Schauder empfunden haben würden;
aber die Macht des Stoffs bewährte sich siegreich an ihnen und
sie zählten (wie ich) mit leiser Befriedigung die Leichen der gefalle-
nen Dänen, ohne sich in ihrem künstlerischen Gewissen irgendwie
bedrückt zu fühlen.

Die Frage ist aufgeworfen worden nach dem Recht dieser
Bilder; ob sie nicht den Geschmack verwilderten, anstatt ihn zu
bilden. Es ist auch wohl hinzugesetzt worden, daß Leistungen der
Art in künstlerisch gesegneteren Zeiten und bei feiner gearteten

durch die Luft; kaum war Paskiewitſch in Warſchau eingezogen,
ſo breitete ſich das Schlachtfeld von Oſtrolenka mit grünen Uni-
formen und polniſchen Pelzmützen vor dem erſtaunten Blick der
Menge aus, und tief ſind meinem Gedächtniß die Dänen einge-
prägt, die in zinnoberrothen Röcken vor dem Dannewerk lagen,
während die preußiſchen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß
Gottorp losrückten. Dinge, die keines Menſchen Auge geſehn, die
Zeichner und Coloriſten zu Neu-Ruppin haben Einblick gehabt in
alles und der „Birkenhead“, der in Flammen unterging, der
„Präſident“, der zwiſchen Eisbergen zertrümmerte, das Auge der
Kunſt hat darüber gewacht. Andre, ähnliche Unternehmungen ſind
ſeitdem ins Daſein getreten, der Münchner Bilderbogen hat ſeine
Reiſe um die Welt angetreten, Winkelmann & Söhne haben durch
zahlreiche Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und der
Jungfrau von Orleans, der dramatiſchen Kunſt die Schleppe ge-
tragen, aber, was immer ihre Erfolge geweſen ſein mögen, ſie
haben ſich ſchlechter auf den Geſchmack des großen Publikums ver-
ſtanden und haben die rechte Stunde mehr denn einmal verſäumt.
Da liegt es. In jedem Augenblick klar zu erkennen, was oben
aufſchwimmt, was das eigentlichſte Tagesintereſſe bildet, das war
unausgeſetzt und durch viele Jahrzehnte hin Princip und Aufgabe
in der Ruppiner Offizin. Und dieſe Aufgabe iſt glänzend von
ihr gelöſt worden, ſo glänzend, daß ich Perſonen mit ſichtlichem
Intereſſe vor dieſen Bildern habe verweilen ſehn, die vor der
künſtleriſchen Leiſtung, wenn dieſelbe als ſolche an ſie herange-
treten wäre, einen unaffektirten Schauder empfunden haben würden;
aber die Macht des Stoffs bewährte ſich ſiegreich an ihnen und
ſie zählten (wie ich) mit leiſer Befriedigung die Leichen der gefalle-
nen Dänen, ohne ſich in ihrem künſtleriſchen Gewiſſen irgendwie
bedrückt zu fühlen.

Die Frage iſt aufgeworfen worden nach dem Recht dieſer
Bilder; ob ſie nicht den Geſchmack verwilderten, anſtatt ihn zu
bilden. Es iſt auch wohl hinzugeſetzt worden, daß Leiſtungen der
Art in künſtleriſch geſegneteren Zeiten und bei feiner gearteten

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[76/0094] durch die Luft; kaum war Paskiewitſch in Warſchau eingezogen, ſo breitete ſich das Schlachtfeld von Oſtrolenka mit grünen Uni- formen und polniſchen Pelzmützen vor dem erſtaunten Blick der Menge aus, und tief ſind meinem Gedächtniß die Dänen einge- prägt, die in zinnoberrothen Röcken vor dem Dannewerk lagen, während die preußiſchen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß Gottorp losrückten. Dinge, die keines Menſchen Auge geſehn, die Zeichner und Coloriſten zu Neu-Ruppin haben Einblick gehabt in alles und der „Birkenhead“, der in Flammen unterging, der „Präſident“, der zwiſchen Eisbergen zertrümmerte, das Auge der Kunſt hat darüber gewacht. Andre, ähnliche Unternehmungen ſind ſeitdem ins Daſein getreten, der Münchner Bilderbogen hat ſeine Reiſe um die Welt angetreten, Winkelmann & Söhne haben durch zahlreiche Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und der Jungfrau von Orleans, der dramatiſchen Kunſt die Schleppe ge- tragen, aber, was immer ihre Erfolge geweſen ſein mögen, ſie haben ſich ſchlechter auf den Geſchmack des großen Publikums ver- ſtanden und haben die rechte Stunde mehr denn einmal verſäumt. Da liegt es. In jedem Augenblick klar zu erkennen, was oben aufſchwimmt, was das eigentlichſte Tagesintereſſe bildet, das war unausgeſetzt und durch viele Jahrzehnte hin Princip und Aufgabe in der Ruppiner Offizin. Und dieſe Aufgabe iſt glänzend von ihr gelöſt worden, ſo glänzend, daß ich Perſonen mit ſichtlichem Intereſſe vor dieſen Bildern habe verweilen ſehn, die vor der künſtleriſchen Leiſtung, wenn dieſelbe als ſolche an ſie herange- treten wäre, einen unaffektirten Schauder empfunden haben würden; aber die Macht des Stoffs bewährte ſich ſiegreich an ihnen und ſie zählten (wie ich) mit leiſer Befriedigung die Leichen der gefalle- nen Dänen, ohne ſich in ihrem künſtleriſchen Gewiſſen irgendwie bedrückt zu fühlen. Die Frage iſt aufgeworfen worden nach dem Recht dieſer Bilder; ob ſie nicht den Geſchmack verwilderten, anſtatt ihn zu bilden. Es iſt auch wohl hinzugeſetzt worden, daß Leiſtungen der Art in künſtleriſch geſegneteren Zeiten und bei feiner gearteten

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/94>, abgerufen am 24.11.2024.