mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das nicht leise zu ihm gesprochen hätte. Ihm waren diese weiten Räume nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag sie durch- schritt, hörte er's flüstern und stand still, ob er's erlauschen könnte. Umsonst hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück- kehr zu den Menschen; da endlich kam Hülfe, ehe sie erwartet war. Es war Hochsommer und die Hitze des Tags hatte den Ge- neral in die Wald- und Wiesengründe geführt, die den Cossen- blatter See an seinem Südrande umziehen. Es wurde drückend schwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als die ersten Donner heraufzogen, war es, als rollten schwere Wa- gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windstöße fuhren gegen das Schloß, und die entsetzten Frauen hörten, wie in allen Theilen des Schlosses ein gespenstisches Klappen von Fenstern und Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böse herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo- hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber stand wie in Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel, der Schloßhof stand wie in Flammen und die Dienerin schrie auf: "Dort sitzt sie!" Es war ihr, als habe sie die alte Reichs- gräfin gesehen, im Rollstuhl unter der Balkonthür sitzend und in die Flammen des Hofes starrend.
Dieser Nachmittag entschied; die Gäste verließen Schloß Cos- senblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen ihre stille Wirthschaft und niemand anders sprach ein, als der Wind im Kamin. Die Barfuse waren vergessen an derselben Stelle, an der der alte Feldmarschall sich selbst und seinem Namen eine Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Cossenblatt wußte nichts mehr von den Barfusen und viele Barfuse wußten nichts mehr von Cossenblatt. Aber aus der Geschichte unserer Tage haben wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen Barfus und in aller Kürze jener dritten Epoche Schloß Cossen- blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms I.
mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das nicht leiſe zu ihm geſprochen hätte. Ihm waren dieſe weiten Räume nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag ſie durch- ſchritt, hörte er’s flüſtern und ſtand ſtill, ob er’s erlauſchen könnte. Umſonſt hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück- kehr zu den Menſchen; da endlich kam Hülfe, ehe ſie erwartet war. Es war Hochſommer und die Hitze des Tags hatte den Ge- neral in die Wald- und Wieſengründe geführt, die den Coſſen- blatter See an ſeinem Südrande umziehen. Es wurde drückend ſchwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als die erſten Donner heraufzogen, war es, als rollten ſchwere Wa- gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windſtöße fuhren gegen das Schloß, und die entſetzten Frauen hörten, wie in allen Theilen des Schloſſes ein geſpenſtiſches Klappen von Fenſtern und Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böſe herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo- hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber ſtand wie in Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel, der Schloßhof ſtand wie in Flammen und die Dienerin ſchrie auf: „Dort ſitzt ſie!“ Es war ihr, als habe ſie die alte Reichs- gräfin geſehen, im Rollſtuhl unter der Balkonthür ſitzend und in die Flammen des Hofes ſtarrend.
Dieſer Nachmittag entſchied; die Gäſte verließen Schloß Coſ- ſenblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen ihre ſtille Wirthſchaft und niemand anders ſprach ein, als der Wind im Kamin. Die Barfuſe waren vergeſſen an derſelben Stelle, an der der alte Feldmarſchall ſich ſelbſt und ſeinem Namen eine Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Coſſenblatt wußte nichts mehr von den Barfuſen und viele Barfuſe wußten nichts mehr von Coſſenblatt. Aber aus der Geſchichte unſerer Tage haben wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen Barfus und in aller Kürze jener dritten Epoche Schloß Coſſen- blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms I.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0124"n="112"/>
mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das<lb/>
nicht leiſe zu ihm geſprochen hätte. Ihm waren dieſe weiten Räume<lb/>
nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag ſie durch-<lb/>ſchritt, hörte er’s flüſtern und ſtand ſtill, ob er’s erlauſchen könnte.<lb/>
Umſonſt hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück-<lb/>
kehr zu den Menſchen; da endlich kam Hülfe, ehe ſie erwartet<lb/>
war. Es war Hochſommer und die Hitze des Tags hatte den Ge-<lb/>
neral in die Wald- und Wieſengründe geführt, die den Coſſen-<lb/>
blatter See an ſeinem Südrande umziehen. Es wurde drückend<lb/>ſchwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als<lb/>
die erſten Donner heraufzogen, war es, als rollten ſchwere Wa-<lb/>
gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windſtöße fuhren<lb/>
gegen das Schloß, und die entſetzten Frauen hörten, wie in allen<lb/>
Theilen des Schloſſes ein geſpenſtiſches Klappen von Fenſtern und<lb/>
Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böſe<lb/>
herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo-<lb/>
hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf<lb/>
den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber ſtand wie in<lb/>
Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel,<lb/>
der Schloßhof ſtand wie in Flammen und die Dienerin ſchrie<lb/>
auf: „Dort ſitzt ſie!“ Es war ihr, als habe ſie die alte Reichs-<lb/>
gräfin geſehen, im Rollſtuhl unter der Balkonthür ſitzend und in<lb/>
die Flammen des Hofes ſtarrend.</p><lb/><p>Dieſer Nachmittag entſchied; die Gäſte verließen Schloß Coſ-<lb/>ſenblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen<lb/>
ihre ſtille Wirthſchaft und niemand anders ſprach ein, als der<lb/>
Wind im Kamin. Die Barfuſe waren vergeſſen an derſelben Stelle,<lb/>
an der der alte Feldmarſchall ſich ſelbſt und ſeinem Namen eine<lb/>
Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Coſſenblatt wußte<lb/>
nichts mehr von den Barfuſen und viele Barfuſe wußten nichts<lb/>
mehr von Coſſenblatt. Aber aus der Geſchichte unſerer Tage haben<lb/>
wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen<lb/>
Barfus und in aller Kürze jener <hirendition="#g">dritten</hi> Epoche Schloß Coſſen-<lb/>
blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms <hirendition="#aq">I.</hi></p><lb/></div></body></text></TEI>
[112/0124]
mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das
nicht leiſe zu ihm geſprochen hätte. Ihm waren dieſe weiten Räume
nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag ſie durch-
ſchritt, hörte er’s flüſtern und ſtand ſtill, ob er’s erlauſchen könnte.
Umſonſt hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück-
kehr zu den Menſchen; da endlich kam Hülfe, ehe ſie erwartet
war. Es war Hochſommer und die Hitze des Tags hatte den Ge-
neral in die Wald- und Wieſengründe geführt, die den Coſſen-
blatter See an ſeinem Südrande umziehen. Es wurde drückend
ſchwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als
die erſten Donner heraufzogen, war es, als rollten ſchwere Wa-
gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windſtöße fuhren
gegen das Schloß, und die entſetzten Frauen hörten, wie in allen
Theilen des Schloſſes ein geſpenſtiſches Klappen von Fenſtern und
Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böſe
herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo-
hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf
den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber ſtand wie in
Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel,
der Schloßhof ſtand wie in Flammen und die Dienerin ſchrie
auf: „Dort ſitzt ſie!“ Es war ihr, als habe ſie die alte Reichs-
gräfin geſehen, im Rollſtuhl unter der Balkonthür ſitzend und in
die Flammen des Hofes ſtarrend.
Dieſer Nachmittag entſchied; die Gäſte verließen Schloß Coſ-
ſenblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen
ihre ſtille Wirthſchaft und niemand anders ſprach ein, als der
Wind im Kamin. Die Barfuſe waren vergeſſen an derſelben Stelle,
an der der alte Feldmarſchall ſich ſelbſt und ſeinem Namen eine
Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Coſſenblatt wußte
nichts mehr von den Barfuſen und viele Barfuſe wußten nichts
mehr von Coſſenblatt. Aber aus der Geſchichte unſerer Tage haben
wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen
Barfus und in aller Kürze jener dritten Epoche Schloß Coſſen-
blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms I.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/124>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.