er doch seitdem die Reizbarkeit und den Jähzorn seines Charakters strenger zu bewachen.
Das Kriegsleben war etwas, wie es zu Marwitz's inner- stem Wesen stimmte, aber das Garnisonsleben war wenig nach seinem Sinn. Alsbald fehlten die Anregungen, ohne die er, wenn der Krieg nicht seine Würfel warf, nicht leben konnte. Wie viele Leute gab es in Olmütz und Prag (wo er sich abwechselnd auf- hielt), die ihm ein Gespräch mit Johann von Müller, mit Niebuhr oder mit Rahel Levin hätten ersetzen können! Während des Waf- fenstillstandes, so lange die Wiederaufnahme des Krieges noch eine Möglichkeit war, beschäftigten ihn militärische Arbeiten, an deren Ausarbeitung er mit einer Raschheit und einem Scharfsinn ging, als habe irgend ein Hauptquartier ihn groß gezogen und nicht der Hörsaal oder der Salon. Er entwarf unter anderem ein Expose, wie, bei Wiedereröffnung des Kampfes, die österreichische Armee zu operiren habe, eine umfangreiche Arbeit. Ueber den strategischen Werth, ja nur über die Ausführbarkeit des ganzen Planes schweige ich; sie entzieht sich der Kritik eines Laien, aber die Klarheit der Darstellung ist bewundernswerth und fast mehr noch die kühne Selbständigkeit, die ihm die Idee eingab, durch eine Flankenbe- wegung, in weit gespanntem Bogen, der Napoleonischen Armee den Rücken abzugewinnen. Er drückt das durch die Worte aus: "Eine veränderte Frontstellung muß unser strategisches Prin- cip sein; Front gegen Osten oder Nordosten -- so müssen wir den Angriff erwarten."
Aber der Waffenstillstand führte zum Frieden und mit dem Frieden schwand, ganz abgesehen von jener Aufregung und jener Poesie der Gefahr, die ihm Bedürfniß war, auch jene auf's Ganze und Große gerichtete Thätigkeit, die das geringste war, dessen er als Ersatz für Besseres bedurfte. Das Einerlei des Dienstes fing an ihn zu drücken. Eine Correspondenz, darunter auch der Aus- tausch einiger Briefe mit Rahel, war kein Ersatz für Alles, was fehlte, und so nahm er denn den Abschied; im Herbst 1810 war er wieder in Berlin.
er doch ſeitdem die Reizbarkeit und den Jähzorn ſeines Charakters ſtrenger zu bewachen.
Das Kriegsleben war etwas, wie es zu Marwitz’s inner- ſtem Weſen ſtimmte, aber das Garniſonsleben war wenig nach ſeinem Sinn. Alsbald fehlten die Anregungen, ohne die er, wenn der Krieg nicht ſeine Würfel warf, nicht leben konnte. Wie viele Leute gab es in Olmütz und Prag (wo er ſich abwechſelnd auf- hielt), die ihm ein Geſpräch mit Johann von Müller, mit Niebuhr oder mit Rahel Levin hätten erſetzen können! Während des Waf- fenſtillſtandes, ſo lange die Wiederaufnahme des Krieges noch eine Möglichkeit war, beſchäftigten ihn militäriſche Arbeiten, an deren Ausarbeitung er mit einer Raſchheit und einem Scharfſinn ging, als habe irgend ein Hauptquartier ihn groß gezogen und nicht der Hörſaal oder der Salon. Er entwarf unter anderem ein Expoſé, wie, bei Wiedereröffnung des Kampfes, die öſterreichiſche Armee zu operiren habe, eine umfangreiche Arbeit. Ueber den ſtrategiſchen Werth, ja nur über die Ausführbarkeit des ganzen Planes ſchweige ich; ſie entzieht ſich der Kritik eines Laien, aber die Klarheit der Darſtellung iſt bewundernswerth und faſt mehr noch die kühne Selbſtändigkeit, die ihm die Idee eingab, durch eine Flankenbe- wegung, in weit geſpanntem Bogen, der Napoleoniſchen Armee den Rücken abzugewinnen. Er drückt das durch die Worte aus: „Eine veränderte Frontſtellung muß unſer ſtrategiſches Prin- cip ſein; Front gegen Oſten oder Nordoſten — ſo müſſen wir den Angriff erwarten.“
Aber der Waffenſtillſtand führte zum Frieden und mit dem Frieden ſchwand, ganz abgeſehen von jener Aufregung und jener Poeſie der Gefahr, die ihm Bedürfniß war, auch jene auf’s Ganze und Große gerichtete Thätigkeit, die das geringſte war, deſſen er als Erſatz für Beſſeres bedurfte. Das Einerlei des Dienſtes fing an ihn zu drücken. Eine Correſpondenz, darunter auch der Aus- tauſch einiger Briefe mit Rahel, war kein Erſatz für Alles, was fehlte, und ſo nahm er denn den Abſchied; im Herbſt 1810 war er wieder in Berlin.
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er doch ſeitdem die Reizbarkeit und den Jähzorn ſeines Charakters
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Das Kriegsleben war etwas, wie es zu Marwitz’s inner-
ſtem Weſen ſtimmte, aber das Garniſonsleben war wenig nach
ſeinem Sinn. Alsbald fehlten die Anregungen, ohne die er, wenn
der Krieg nicht ſeine Würfel warf, nicht leben konnte. Wie viele
Leute gab es in Olmütz und Prag (wo er ſich abwechſelnd auf-
hielt), die ihm ein Geſpräch mit Johann von Müller, mit Niebuhr
oder mit Rahel Levin hätten erſetzen können! Während des Waf-
fenſtillſtandes, ſo lange die Wiederaufnahme des Krieges noch eine
Möglichkeit war, beſchäftigten ihn militäriſche Arbeiten, an deren
Ausarbeitung er mit einer Raſchheit und einem Scharfſinn ging,
als habe irgend ein Hauptquartier ihn groß gezogen und nicht der
Hörſaal oder der Salon. Er entwarf unter anderem ein Expoſé,
wie, bei Wiedereröffnung des Kampfes, die öſterreichiſche Armee zu
operiren habe, eine umfangreiche Arbeit. Ueber den ſtrategiſchen
Werth, ja nur über die Ausführbarkeit des ganzen Planes ſchweige
ich; ſie entzieht ſich der Kritik eines Laien, aber die Klarheit der
Darſtellung iſt bewundernswerth und faſt mehr noch die kühne
Selbſtändigkeit, die ihm die Idee eingab, durch eine Flankenbe-
wegung, in weit geſpanntem Bogen, der Napoleoniſchen Armee den
Rücken abzugewinnen. Er drückt das durch die Worte aus:
„Eine veränderte Frontſtellung muß unſer ſtrategiſches Prin-
cip ſein; Front gegen Oſten oder Nordoſten — ſo müſſen wir
den Angriff erwarten.“
Aber der Waffenſtillſtand führte zum Frieden und mit dem
Frieden ſchwand, ganz abgeſehen von jener Aufregung und jener
Poeſie der Gefahr, die ihm Bedürfniß war, auch jene auf’s Ganze
und Große gerichtete Thätigkeit, die das geringſte war, deſſen er
als Erſatz für Beſſeres bedurfte. Das Einerlei des Dienſtes fing
an ihn zu drücken. Eine Correſpondenz, darunter auch der Aus-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/409>, abgerufen am 21.11.2024.
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