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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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er einem Höchsten nachjagte, das sich nicht erreichen und erringen
ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter
der Wucht schwerer Schläge, die ihn betroffen. Wenn sich eigene
Schuld mit einmischte, um so schlimmer. Er hatte ein Recht, eine
Befugniß, ernster drein zu schauen, als mancher andere. Es waren
zum Theil höchst reelle Dinge, die an seinem Herzen nagten und
zehrten, Dinge, die mit dem unruhvollen Jagen nach einer Fata
Morgana nichts zu schaffen hatten. Die Schmach des Vaterlandes,
die Eisenhand des Unterdrückers, die Hoffnungslosigkeit für jenes,
nachdem Oesterreich abermals niedergeworfen war, das alles waren
sehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermuth
oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz's Seele aber stand noch
ein Anderes: sein Traum brachte ihm die Gestalt des polternden,
zornrothen und dann so still und blaß gewordenen Wirths, und
wenn die Gestalt verschwand, in Traum und Wachen stand die
Gestalt einer Frau vor seiner Seele, zu der er sich mit glühender,
immer wachsender Leidenschaft hingezogen fühlte. Der Tag ist noch
nicht da, über dieses Verhältniß, das übrigens zu keiner häßlichen
Verirrung führte, ausführlicher zu sprechen; vielleicht wird die
Pietät gegen einen unserer gefeiertsten Namen es für immer ver-
bieten. Zorn und Liebe, Gewissensangst und Leidenschaft rangen
auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Ver-
langens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbestimmten
Höchsten nicht bedurft, um jene Ermüdung zu schaffen, die ja nichts
anderes ist als das Verlangen nach Ruhe.

Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Frieders-
dorf. Die Veranlassung dazu war nicht angethan, ihm die Heiter-
keit zurückzugeben, deren er so sehr bedurfte. Das Eintreten des
älteren Bruders für das ständische Recht hatte zu seiner Verurthei-
lung geführt, und während er nach Spandau ging, um daselbst
seine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um,
wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen.
Dieser nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf scheint eine Zeit der
Krisis für ihn gewesen zu sein. Während die Briefe, die während

er einem Höchſten nachjagte, das ſich nicht erreichen und erringen
ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter
der Wucht ſchwerer Schläge, die ihn betroffen. Wenn ſich eigene
Schuld mit einmiſchte, um ſo ſchlimmer. Er hatte ein Recht, eine
Befugniß, ernſter drein zu ſchauen, als mancher andere. Es waren
zum Theil höchſt reelle Dinge, die an ſeinem Herzen nagten und
zehrten, Dinge, die mit dem unruhvollen Jagen nach einer Fata
Morgana nichts zu ſchaffen hatten. Die Schmach des Vaterlandes,
die Eiſenhand des Unterdrückers, die Hoffnungsloſigkeit für jenes,
nachdem Oeſterreich abermals niedergeworfen war, das alles waren
ſehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermuth
oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz’s Seele aber ſtand noch
ein Anderes: ſein Traum brachte ihm die Geſtalt des polternden,
zornrothen und dann ſo ſtill und blaß gewordenen Wirths, und
wenn die Geſtalt verſchwand, in Traum und Wachen ſtand die
Geſtalt einer Frau vor ſeiner Seele, zu der er ſich mit glühender,
immer wachſender Leidenſchaft hingezogen fühlte. Der Tag iſt noch
nicht da, über dieſes Verhältniß, das übrigens zu keiner häßlichen
Verirrung führte, ausführlicher zu ſprechen; vielleicht wird die
Pietät gegen einen unſerer gefeiertſten Namen es für immer ver-
bieten. Zorn und Liebe, Gewiſſensangſt und Leidenſchaft rangen
auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Ver-
langens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbeſtimmten
Höchſten nicht bedurft, um jene Ermüdung zu ſchaffen, die ja nichts
anderes iſt als das Verlangen nach Ruhe.

Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Frieders-
dorf. Die Veranlaſſung dazu war nicht angethan, ihm die Heiter-
keit zurückzugeben, deren er ſo ſehr bedurfte. Das Eintreten des
älteren Bruders für das ſtändiſche Recht hatte zu ſeiner Verurthei-
lung geführt, und während er nach Spandau ging, um daſelbſt
ſeine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um,
wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen.
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[399/0411] er einem Höchſten nachjagte, das ſich nicht erreichen und erringen ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter der Wucht ſchwerer Schläge, die ihn betroffen. Wenn ſich eigene Schuld mit einmiſchte, um ſo ſchlimmer. Er hatte ein Recht, eine Befugniß, ernſter drein zu ſchauen, als mancher andere. Es waren zum Theil höchſt reelle Dinge, die an ſeinem Herzen nagten und zehrten, Dinge, die mit dem unruhvollen Jagen nach einer Fata Morgana nichts zu ſchaffen hatten. Die Schmach des Vaterlandes, die Eiſenhand des Unterdrückers, die Hoffnungsloſigkeit für jenes, nachdem Oeſterreich abermals niedergeworfen war, das alles waren ſehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermuth oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz’s Seele aber ſtand noch ein Anderes: ſein Traum brachte ihm die Geſtalt des polternden, zornrothen und dann ſo ſtill und blaß gewordenen Wirths, und wenn die Geſtalt verſchwand, in Traum und Wachen ſtand die Geſtalt einer Frau vor ſeiner Seele, zu der er ſich mit glühender, immer wachſender Leidenſchaft hingezogen fühlte. Der Tag iſt noch nicht da, über dieſes Verhältniß, das übrigens zu keiner häßlichen Verirrung führte, ausführlicher zu ſprechen; vielleicht wird die Pietät gegen einen unſerer gefeiertſten Namen es für immer ver- bieten. Zorn und Liebe, Gewiſſensangſt und Leidenſchaft rangen auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Ver- langens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbeſtimmten Höchſten nicht bedurft, um jene Ermüdung zu ſchaffen, die ja nichts anderes iſt als das Verlangen nach Ruhe. Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Frieders- dorf. Die Veranlaſſung dazu war nicht angethan, ihm die Heiter- keit zurückzugeben, deren er ſo ſehr bedurfte. Das Eintreten des älteren Bruders für das ſtändiſche Recht hatte zu ſeiner Verurthei- lung geführt, und während er nach Spandau ging, um daſelbſt ſeine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um, wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen. Dieſer nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf ſcheint eine Zeit der Kriſis für ihn geweſen zu ſein. Während die Briefe, die während

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/411>, abgerufen am 22.11.2024.