Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Semmel" gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo-
sterlebens.

Es scheint indessen bei diesen und ähnlichen Gemüthlichkeiten
nicht sein Bewenden gehabt zu haben, denn die nächste Urkunde
(freilich 85 Jahre später) ist bereits darauf aus, durch Ordinatio-
nen und Befehle dem um sich greifenden Sittenverfall zu steuern.
Es war die Zeit, wo die strenge Klosterregel überall einer "mil-
den Praxis" zu weichen begann, ganz besonders in der Mark, wo
die ursprüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter
der bairischen und luxemburgischen Herrschaft, neu hervor zu bre-
chen begann. Auch die Klöster wurden davon berührt. Einst war
das Leben innerhalb derselben stark genug gewesen, nach außen
hin bildend und sittigend zu wirken, jetzt, schwach geworden, drang,
fast ohne auf Widerstand zu stoßen, der allgemeine Sittenverfall
von außen her in die Klostermauern ein. Das ersehen wir mit
aller Bestimmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381),
der Riedel die Ueberschrift gegeben hat: "Dietrich, Bischof von
Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Klosters Friedland."
Sie ist die wichtigste unter allen Urkunden, die auf das Kloster
Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit derselben be-
schäftigen. Es ist dreierlei, was wir aus dieser Urkunde ersehen:
1) das Regiment des Klosters; 2) die Thatsache des Verfalls;
3) die Mittel und Wege diesem Verfall zu steuern.

1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das "Regiment des
Klosters" gönnend, wie folgt:

Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh-
les Bischof von Brandenburg, entbietet der in Christo ge-
heiligten Abbatissin, der Priorin und dem ganzen Kloster
der heiligen Frauen in Fredelant, so wie auch dem sehr
ehrenwerthen Praepositus derselben (d. h. dem Probst)
Gruß im Herrn und ermahnt sie unseren Statuten, Or-
dinatorien und Mandaten fest und treu zu gehorsamen.

Gleich dieser erste Satz der Urkunde belehrt uns über man-
ches Abweichende. Wir sehen zunächst das Kloster unter dem

Semmel“ gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo-
ſterlebens.

Es ſcheint indeſſen bei dieſen und ähnlichen Gemüthlichkeiten
nicht ſein Bewenden gehabt zu haben, denn die nächſte Urkunde
(freilich 85 Jahre ſpäter) iſt bereits darauf aus, durch Ordinatio-
nen und Befehle dem um ſich greifenden Sittenverfall zu ſteuern.
Es war die Zeit, wo die ſtrenge Kloſterregel überall einer „mil-
den Praxis“ zu weichen begann, ganz beſonders in der Mark, wo
die urſprüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter
der bairiſchen und luxemburgiſchen Herrſchaft, neu hervor zu bre-
chen begann. Auch die Klöſter wurden davon berührt. Einſt war
das Leben innerhalb derſelben ſtark genug geweſen, nach außen
hin bildend und ſittigend zu wirken, jetzt, ſchwach geworden, drang,
faſt ohne auf Widerſtand zu ſtoßen, der allgemeine Sittenverfall
von außen her in die Kloſtermauern ein. Das erſehen wir mit
aller Beſtimmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381),
der Riedel die Ueberſchrift gegeben hat: „Dietrich, Biſchof von
Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Kloſters Friedland.“
Sie iſt die wichtigſte unter allen Urkunden, die auf das Kloſter
Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit derſelben be-
ſchäftigen. Es iſt dreierlei, was wir aus dieſer Urkunde erſehen:
1) das Regiment des Kloſters; 2) die Thatſache des Verfalls;
3) die Mittel und Wege dieſem Verfall zu ſteuern.

1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das „Regiment des
Kloſters“ gönnend, wie folgt:

Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh-
les Biſchof von Brandenburg, entbietet der in Chriſto ge-
heiligten Abbatiſſin, der Priorin und dem ganzen Kloſter
der heiligen Frauen in Fredelant, ſo wie auch dem ſehr
ehrenwerthen Praepoſitus derſelben (d. h. dem Probſt)
Gruß im Herrn und ermahnt ſie unſeren Statuten, Or-
dinatorien und Mandaten feſt und treu zu gehorſamen.

Gleich dieſer erſte Satz der Urkunde belehrt uns über man-
ches Abweichende. Wir ſehen zunächſt das Kloſter unter dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0451" n="439"/>
Semmel&#x201C; gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo-<lb/>
&#x017F;terlebens.</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;cheint inde&#x017F;&#x017F;en bei die&#x017F;en und ähnlichen Gemüthlichkeiten<lb/>
nicht &#x017F;ein Bewenden gehabt zu haben, denn die näch&#x017F;te Urkunde<lb/>
(freilich 85 Jahre &#x017F;päter) i&#x017F;t bereits darauf aus, durch Ordinatio-<lb/>
nen und Befehle dem um &#x017F;ich greifenden Sittenverfall zu &#x017F;teuern.<lb/>
Es war die Zeit, wo die &#x017F;trenge Klo&#x017F;terregel überall einer &#x201E;mil-<lb/>
den Praxis&#x201C; zu weichen begann, ganz be&#x017F;onders in der Mark, wo<lb/>
die ur&#x017F;prüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter<lb/>
der bairi&#x017F;chen und luxemburgi&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft, neu hervor zu bre-<lb/>
chen begann. Auch die Klö&#x017F;ter wurden davon berührt. Ein&#x017F;t war<lb/>
das Leben innerhalb der&#x017F;elben &#x017F;tark genug gewe&#x017F;en, nach außen<lb/>
hin bildend und &#x017F;ittigend zu wirken, jetzt, &#x017F;chwach geworden, drang,<lb/>
fa&#x017F;t ohne auf Wider&#x017F;tand zu &#x017F;toßen, der allgemeine Sittenverfall<lb/>
von außen her in die Klo&#x017F;termauern ein. Das er&#x017F;ehen wir mit<lb/>
aller Be&#x017F;timmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381),<lb/>
der Riedel die Ueber&#x017F;chrift gegeben hat: &#x201E;Dietrich, Bi&#x017F;chof von<lb/>
Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Klo&#x017F;ters Friedland.&#x201C;<lb/>
Sie i&#x017F;t die wichtig&#x017F;te unter allen Urkunden, die auf das Klo&#x017F;ter<lb/>
Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit der&#x017F;elben be-<lb/>
&#x017F;chäftigen. Es i&#x017F;t dreierlei, was wir aus die&#x017F;er Urkunde er&#x017F;ehen:<lb/>
1) das <hi rendition="#g">Regiment</hi> des Klo&#x017F;ters; 2) die <hi rendition="#g">That&#x017F;ache</hi> des Verfalls;<lb/>
3) die <hi rendition="#g">Mittel und Wege</hi> die&#x017F;em Verfall zu &#x017F;teuern.</p><lb/>
        <p>1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das &#x201E;Regiment des<lb/>
Klo&#x017F;ters&#x201C; gönnend, wie folgt:</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh-<lb/>
les Bi&#x017F;chof von Brandenburg, entbietet der in Chri&#x017F;to ge-<lb/>
heiligten Abbati&#x017F;&#x017F;in, der Priorin und dem ganzen Klo&#x017F;ter<lb/>
der heiligen Frauen in Fredelant, &#x017F;o wie auch dem &#x017F;ehr<lb/>
ehrenwerthen Praepo&#x017F;itus der&#x017F;elben (d. h. dem Prob&#x017F;t)<lb/>
Gruß im Herrn und ermahnt &#x017F;ie un&#x017F;eren Statuten, Or-<lb/>
dinatorien und Mandaten fe&#x017F;t und treu zu gehor&#x017F;amen.</hi> </p><lb/>
        <p>Gleich die&#x017F;er er&#x017F;te Satz der Urkunde belehrt uns über man-<lb/>
ches Abweichende. Wir &#x017F;ehen zunäch&#x017F;t das Klo&#x017F;ter unter dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0451] Semmel“ gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo- ſterlebens. Es ſcheint indeſſen bei dieſen und ähnlichen Gemüthlichkeiten nicht ſein Bewenden gehabt zu haben, denn die nächſte Urkunde (freilich 85 Jahre ſpäter) iſt bereits darauf aus, durch Ordinatio- nen und Befehle dem um ſich greifenden Sittenverfall zu ſteuern. Es war die Zeit, wo die ſtrenge Kloſterregel überall einer „mil- den Praxis“ zu weichen begann, ganz beſonders in der Mark, wo die urſprüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter der bairiſchen und luxemburgiſchen Herrſchaft, neu hervor zu bre- chen begann. Auch die Klöſter wurden davon berührt. Einſt war das Leben innerhalb derſelben ſtark genug geweſen, nach außen hin bildend und ſittigend zu wirken, jetzt, ſchwach geworden, drang, faſt ohne auf Widerſtand zu ſtoßen, der allgemeine Sittenverfall von außen her in die Kloſtermauern ein. Das erſehen wir mit aller Beſtimmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381), der Riedel die Ueberſchrift gegeben hat: „Dietrich, Biſchof von Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Kloſters Friedland.“ Sie iſt die wichtigſte unter allen Urkunden, die auf das Kloſter Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit derſelben be- ſchäftigen. Es iſt dreierlei, was wir aus dieſer Urkunde erſehen: 1) das Regiment des Kloſters; 2) die Thatſache des Verfalls; 3) die Mittel und Wege dieſem Verfall zu ſteuern. 1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das „Regiment des Kloſters“ gönnend, wie folgt: Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh- les Biſchof von Brandenburg, entbietet der in Chriſto ge- heiligten Abbatiſſin, der Priorin und dem ganzen Kloſter der heiligen Frauen in Fredelant, ſo wie auch dem ſehr ehrenwerthen Praepoſitus derſelben (d. h. dem Probſt) Gruß im Herrn und ermahnt ſie unſeren Statuten, Or- dinatorien und Mandaten feſt und treu zu gehorſamen. Gleich dieſer erſte Satz der Urkunde belehrt uns über man- ches Abweichende. Wir ſehen zunächſt das Kloſter unter dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/451
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/451>, abgerufen am 22.11.2024.