Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite
Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.
Hic jacet ille bonus marchravius Otto, patronus
Hujus ecclesiae. Sit, precor, in requie.
Hic jacet et occisus prior abbas, cui paradisus
Jure patet, Slavica quem stravit gens inimica.

Zu deutsch etwa:

Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der
Cistercienser-Orden. Als das Jahr Christi 1180 war, bist
du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus,
welches der Markgraf Otto von Brandenburg dotirt hat;
es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Mark-
graf Otto, der Schützer dieser Kirche. Er möge in Frieden
schlafen. Hier ruht auch der erste gemordete Abt, dem das
Paradies mit Recht offen steht, den das feindselig gesinnte
Slavenvolk erwordet hat.

Diese Inschrift ist die Hauptsache, besonders durch die Form
ihrer Buchstaben. Das Bild selbst nämlich ist eine Pinselei, wie
sie von ungeschickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt
noch) gemalt werden kann, die Inschrift aber gehört einem ganz
bestimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchstaben nach
ist das Bild zu Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, und
so ersehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus diesem Bilde,
wie man sich etwa um's Jahr 1400, oder wenig später, im
Kloster selbst die Ermordung des Abtes Siebold vorstellte. 200
Jahre nach seinem Tode konnte diese Tradition, zumal bei den
Mönchen selbst, durchaus noch lebendig und zuverlässig sein.
Die Sagen unterstützen den Inhalt dieses Bildes bis die-
sen Tag.

Ich sprach Eingangs schon von einem Stücklein Poesie,
das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes verknüpft sei,
und diese poetische Seite ist wirklich da. Aber sie zeigt sich viel
mehr in den gespenstigen Folgen der Unthat als in die-
ser selbst.

In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Ueber-
lieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt ein-

Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.
Hic jacet ille bonus marchravius Otto, patronus
Hujus ecclesiae. Sit, precor, in requie.
Hic jacet et occisus prior abbas, cui paradisus
Jure patet, Slavica quem stravit gens inimica.

Zu deutſch etwa:

Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der
Ciſtercienſer-Orden. Als das Jahr Chriſti 1180 war, biſt
du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus,
welches der Markgraf Otto von Brandenburg dotirt hat;
es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Mark-
graf Otto, der Schützer dieſer Kirche. Er möge in Frieden
ſchlafen. Hier ruht auch der erſte gemordete Abt, dem das
Paradies mit Recht offen ſteht, den das feindſelig geſinnte
Slavenvolk erwordet hat.

Dieſe Inſchrift iſt die Hauptſache, beſonders durch die Form
ihrer Buchſtaben. Das Bild ſelbſt nämlich iſt eine Pinſelei, wie
ſie von ungeſchickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt
noch) gemalt werden kann, die Inſchrift aber gehört einem ganz
beſtimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchſtaben nach
iſt das Bild zu Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, und
ſo erſehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus dieſem Bilde,
wie man ſich etwa um’s Jahr 1400, oder wenig ſpäter, im
Kloſter ſelbſt die Ermordung des Abtes Siebold vorſtellte. 200
Jahre nach ſeinem Tode konnte dieſe Tradition, zumal bei den
Mönchen ſelbſt, durchaus noch lebendig und zuverläſſig ſein.
Die Sagen unterſtützen den Inhalt dieſes Bildes bis die-
ſen Tag.

Ich ſprach Eingangs ſchon von einem Stücklein Poeſie,
das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes verknüpft ſei,
und dieſe poetiſche Seite iſt wirklich da. Aber ſie zeigt ſich viel
mehr in den geſpenſtigen Folgen der Unthat als in die-
ſer ſelbſt.

In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Ueber-
lieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0102" n="84"/>
              <l> <hi rendition="#aq">Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Hic jacet ille bonus marchravius Otto, patronus</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Hujus ecclesiae. Sit, precor, in requie.</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Hic jacet et occisus prior abbas, cui paradisus</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Jure patet, Slavica quem stravit gens inimica.</hi> </l>
            </lg><lb/>
            <p>Zu deut&#x017F;ch etwa:</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der<lb/>
Ci&#x017F;tercien&#x017F;er-Orden. Als das Jahr Chri&#x017F;ti 1180 war, bi&#x017F;t<lb/>
du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus,<lb/>
welches der Markgraf <hi rendition="#g">Otto</hi> von Brandenburg dotirt hat;<lb/>
es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Mark-<lb/>
graf <hi rendition="#g">Otto</hi>, der Schützer die&#x017F;er Kirche. Er möge in Frieden<lb/>
&#x017F;chlafen. Hier ruht auch der er&#x017F;te gemordete Abt, dem das<lb/>
Paradies mit Recht offen &#x017F;teht, den das feind&#x017F;elig ge&#x017F;innte<lb/>
Slavenvolk erwordet hat.</hi> </p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e In&#x017F;chrift i&#x017F;t die Haupt&#x017F;ache, be&#x017F;onders durch die Form<lb/>
ihrer Buch&#x017F;taben. Das Bild &#x017F;elb&#x017F;t nämlich i&#x017F;t eine Pin&#x017F;elei, wie<lb/>
&#x017F;ie von unge&#x017F;chickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt<lb/>
noch) gemalt werden kann, die In&#x017F;chrift aber gehört einem ganz<lb/>
be&#x017F;timmten Jahrhundert an. Der Form der Buch&#x017F;taben nach<lb/>
i&#x017F;t das Bild zu Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, und<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;ehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus die&#x017F;em Bilde,<lb/>
wie man &#x017F;ich etwa um&#x2019;s Jahr 1400, oder wenig &#x017F;päter, im<lb/>
Klo&#x017F;ter &#x017F;elb&#x017F;t die Ermordung des Abtes Siebold vor&#x017F;tellte. 200<lb/>
Jahre nach &#x017F;einem Tode konnte die&#x017F;e Tradition, zumal bei den<lb/>
Mönchen &#x017F;elb&#x017F;t, durchaus noch lebendig und zuverlä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ein.<lb/>
Die Sagen unter&#x017F;tützen den Inhalt die&#x017F;es Bildes bis die-<lb/>
&#x017F;en Tag.</p><lb/>
            <p>Ich &#x017F;prach Eingangs &#x017F;chon von einem Stücklein Poe&#x017F;ie,<lb/>
das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes verknüpft &#x017F;ei,<lb/>
und die&#x017F;e poeti&#x017F;che Seite i&#x017F;t wirklich da. Aber &#x017F;ie zeigt &#x017F;ich viel<lb/>
mehr in den ge&#x017F;pen&#x017F;tigen Folgen der Unthat als in die-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Ueber-<lb/>
lieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt ein-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0102] Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis. Hic jacet ille bonus marchravius Otto, patronus Hujus ecclesiae. Sit, precor, in requie. Hic jacet et occisus prior abbas, cui paradisus Jure patet, Slavica quem stravit gens inimica. Zu deutſch etwa: Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der Ciſtercienſer-Orden. Als das Jahr Chriſti 1180 war, biſt du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus, welches der Markgraf Otto von Brandenburg dotirt hat; es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Mark- graf Otto, der Schützer dieſer Kirche. Er möge in Frieden ſchlafen. Hier ruht auch der erſte gemordete Abt, dem das Paradies mit Recht offen ſteht, den das feindſelig geſinnte Slavenvolk erwordet hat. Dieſe Inſchrift iſt die Hauptſache, beſonders durch die Form ihrer Buchſtaben. Das Bild ſelbſt nämlich iſt eine Pinſelei, wie ſie von ungeſchickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt noch) gemalt werden kann, die Inſchrift aber gehört einem ganz beſtimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchſtaben nach iſt das Bild zu Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, und ſo erſehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus dieſem Bilde, wie man ſich etwa um’s Jahr 1400, oder wenig ſpäter, im Kloſter ſelbſt die Ermordung des Abtes Siebold vorſtellte. 200 Jahre nach ſeinem Tode konnte dieſe Tradition, zumal bei den Mönchen ſelbſt, durchaus noch lebendig und zuverläſſig ſein. Die Sagen unterſtützen den Inhalt dieſes Bildes bis die- ſen Tag. Ich ſprach Eingangs ſchon von einem Stücklein Poeſie, das mehr oder weniger mit dem Tode des Abtes verknüpft ſei, und dieſe poetiſche Seite iſt wirklich da. Aber ſie zeigt ſich viel mehr in den geſpenſtigen Folgen der Unthat als in die- ſer ſelbſt. In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Ueber- lieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/102
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/102>, abgerufen am 28.11.2024.