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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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fähr seit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaub-
lich weit in Deutschland auszubreiten wußten. Wo die "unbe-
kannten Väter" sich aufhielten, wußten die Ordensgenossen
nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wur-
den, so ward allemal auf katholische Orte gedeutet. Alle
diese Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die
unbekannten Oberen; ... der tollen Geisterseherei wurde
nach und nach Thür und Thor geöffnet, damit der freie Ge-
brauch der Vernunft gehemmt und nach und nach der Herrsch-
sucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrschsucht ein aus-
gedehnterer Wirkungskreis bereitet würde.

"Es ist auch selbst dem allgemeinen Publikum nicht ganz
unbekannt geblieben, welche wichtige Folgen von 1786 bis 1797
in den preußischen Staaten durch die Anhänglichkeit an die
Rosenkreuzer bewirkt worden sind. Wenngleich dieselben keines-
wegs all ihre schädlichen Pläne haben durchsetzen können, so
kann doch derjenige, der einigermaßen die Umstände kennt, kaum
zweifeln, daß die Rosenkreuzerei auf die in die Augen
fallende Veränderung der Verfügungen in Absicht auf die Reli-
gion (das Wöllnersche Religions-Edict ist gemeint) einen wich-
tigen Einfluß gehabt habe. Dank sei es den menschenfreund-
lichen Privatgesinnungen König Friedrich Wilhelms II., daß
die Absicht der Obscuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht
bis zur Absetzung der Aufklärer von ihren Aemtern, bis zu
ihrer Einschließung in Gefängnisse oder ihrer Verjagung aus
dem Lande fortgesetzt ward. Es gab Leute, denen es an Wil-
len
hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen."

Zu dieser Sprache, mit Bezeichnungen wie "bübisch,"
"schmutzig," "betrügerisch" reichlich verbrämt, war Nicolai als
Parteimann, als ausgesprochener Widerpart, dazu als Mann,
der persönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte,
zu gutem Theile berechtigt, -- wir nachträglich haben die
Pflicht, unparteiischer auf das Getriebe dieses Ordens und der
beiden einflußreichen, den Staat lenkenden Männer zu blicken,
die entweder an der Spitze des Ordens standen oder doch seine

fähr ſeit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaub-
lich weit in Deutſchland auszubreiten wußten. Wo die „unbe-
kannten Väter“ ſich aufhielten, wußten die Ordensgenoſſen
nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wur-
den, ſo ward allemal auf katholiſche Orte gedeutet. Alle
dieſe Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die
unbekannten Oberen; … der tollen Geiſterſeherei wurde
nach und nach Thür und Thor geöffnet, damit der freie Ge-
brauch der Vernunft gehemmt und nach und nach der Herrſch-
ſucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrſchſucht ein aus-
gedehnterer Wirkungskreis bereitet würde.

„Es iſt auch ſelbſt dem allgemeinen Publikum nicht ganz
unbekannt geblieben, welche wichtige Folgen von 1786 bis 1797
in den preußiſchen Staaten durch die Anhänglichkeit an die
Roſenkreuzer bewirkt worden ſind. Wenngleich dieſelben keines-
wegs all ihre ſchädlichen Pläne haben durchſetzen können, ſo
kann doch derjenige, der einigermaßen die Umſtände kennt, kaum
zweifeln, daß die Roſenkreuzerei auf die in die Augen
fallende Veränderung der Verfügungen in Abſicht auf die Reli-
gion (das Wöllnerſche Religions-Edict iſt gemeint) einen wich-
tigen Einfluß gehabt habe. Dank ſei es den menſchenfreund-
lichen Privatgeſinnungen König Friedrich Wilhelms II., daß
die Abſicht der Obſcuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht
bis zur Abſetzung der Aufklärer von ihren Aemtern, bis zu
ihrer Einſchließung in Gefängniſſe oder ihrer Verjagung aus
dem Lande fortgeſetzt ward. Es gab Leute, denen es an Wil-
len
hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen.“

Zu dieſer Sprache, mit Bezeichnungen wie „bübiſch,“
„ſchmutzig,“ „betrügeriſch“ reichlich verbrämt, war Nicolai als
Parteimann, als ausgeſprochener Widerpart, dazu als Mann,
der perſönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte,
zu gutem Theile berechtigt, — wir nachträglich haben die
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[313/0331] fähr ſeit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaub- lich weit in Deutſchland auszubreiten wußten. Wo die „unbe- kannten Väter“ ſich aufhielten, wußten die Ordensgenoſſen nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wur- den, ſo ward allemal auf katholiſche Orte gedeutet. Alle dieſe Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die unbekannten Oberen; … der tollen Geiſterſeherei wurde nach und nach Thür und Thor geöffnet, damit der freie Ge- brauch der Vernunft gehemmt und nach und nach der Herrſch- ſucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrſchſucht ein aus- gedehnterer Wirkungskreis bereitet würde. „Es iſt auch ſelbſt dem allgemeinen Publikum nicht ganz unbekannt geblieben, welche wichtige Folgen von 1786 bis 1797 in den preußiſchen Staaten durch die Anhänglichkeit an die Roſenkreuzer bewirkt worden ſind. Wenngleich dieſelben keines- wegs all ihre ſchädlichen Pläne haben durchſetzen können, ſo kann doch derjenige, der einigermaßen die Umſtände kennt, kaum zweifeln, daß die Roſenkreuzerei auf die in die Augen fallende Veränderung der Verfügungen in Abſicht auf die Reli- gion (das Wöllnerſche Religions-Edict iſt gemeint) einen wich- tigen Einfluß gehabt habe. Dank ſei es den menſchenfreund- lichen Privatgeſinnungen König Friedrich Wilhelms II., daß die Abſicht der Obſcuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht bis zur Abſetzung der Aufklärer von ihren Aemtern, bis zu ihrer Einſchließung in Gefängniſſe oder ihrer Verjagung aus dem Lande fortgeſetzt ward. Es gab Leute, denen es an Wil- len hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen.“ Zu dieſer Sprache, mit Bezeichnungen wie „bübiſch,“ „ſchmutzig,“ „betrügeriſch“ reichlich verbrämt, war Nicolai als Parteimann, als ausgeſprochener Widerpart, dazu als Mann, der perſönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte, zu gutem Theile berechtigt, — wir nachträglich haben die Pflicht, unparteiiſcher auf das Getriebe dieſes Ordens und der beiden einflußreichen, den Staat lenkenden Männer zu blicken, die entweder an der Spitze des Ordens ſtanden oder doch ſeine

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/331>, abgerufen am 24.11.2024.