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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Charakters Friedrich Wilhelm's III., um diesen Platz über sich
selbst zu erheben. Ein rechter "out of the way-place," hindert
ihn jetzt seine Abgeschiedenheit eben so sehr, wie ihn dieselbe
einst zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält,
ist Pietät, Haustradition; -- nur das Wohlwollen der "neuen
Herrschaft" ist ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts-
tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet:
die Knaben erhalten des "Königs Rock" (der Uniform des
24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in
russisch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.

Das Wohlwollen gegen die Paretzer ist das alte geblieben;
aber Paretz selbst ist nicht mehr was es war. Kein Sehn-
suchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und
stille Betrachtung.


2.
Wo nun Gras und Staude beben,
Hat in froher Kraft geblüht,
Ist zu Asche bald verglüht
Manches reiche Menschenleben.
Die der Tod hinweg genommen,
Die hier einst so glücklich war:
Der geschiednen Seelen Schaar,
Nachtigall, Du hörst sie kommen.

Lenau.

Das Schloß in Paretz.

So ging das Geplauder. Die wachsende Schwüle des
Julinachmittags, wir empfanden sie nicht; ein leiser Luftstrom
zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des
Wiesengrundes und den Duft der Resedabeete zu. Es war eine
halbe Stunde, wie sie nur an dieser Stelle erlebt werden
kann, hier, wo sich Stille und Erinnerung die Hand reichen.

Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß-
diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir
einzutreten hatten, als die Szene sich plötzlich änderte. Ein
Windstoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-

Charakters Friedrich Wilhelm’s III., um dieſen Platz über ſich
ſelbſt zu erheben. Ein rechter „out of the way-place,“ hindert
ihn jetzt ſeine Abgeſchiedenheit eben ſo ſehr, wie ihn dieſelbe
einſt zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält,
iſt Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen
Herrſchaft“ iſt ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts-
tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet:
die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des
24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in
ruſſiſch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten.

Das Wohlwollen gegen die Paretzer iſt das alte geblieben;
aber Paretz ſelbſt iſt nicht mehr was es war. Kein Sehn-
ſuchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und
ſtille Betrachtung.


2.
Wo nun Gras und Staude beben,
Hat in froher Kraft geblüht,
Iſt zu Aſche bald verglüht
Manches reiche Menſchenleben.
Die der Tod hinweg genommen,
Die hier einſt ſo glücklich war:
Der geſchiednen Seelen Schaar,
Nachtigall, Du hörſt ſie kommen.

Lenau.

Das Schloß in Paretz.

So ging das Geplauder. Die wachſende Schwüle des
Julinachmittags, wir empfanden ſie nicht; ein leiſer Luftſtrom
zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des
Wieſengrundes und den Duft der Reſedabeete zu. Es war eine
halbe Stunde, wie ſie nur an dieſer Stelle erlebt werden
kann, hier, wo ſich Stille und Erinnerung die Hand reichen.

Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß-
diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir
einzutreten hatten, als die Szene ſich plötzlich änderte. Ein
Windſtoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-

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[333/0351] Charakters Friedrich Wilhelm’s III., um dieſen Platz über ſich ſelbſt zu erheben. Ein rechter „out of the way-place,“ hindert ihn jetzt ſeine Abgeſchiedenheit eben ſo ſehr, wie ihn dieſelbe einſt zu ungeahnten Ehren führte. Was ihn jetzt noch hält, iſt Pietät, Haustradition; — nur das Wohlwollen der „neuen Herrſchaft“ iſt ihm geblieben. Alle zwei Jahre, am Geburts- tage des Kronprinzen, werden die Dorfkinder neu eingekleidet: die Knaben erhalten des „Königs Rock“ (der Uniform des 24. Landwehrregiments nachgebildet), während die Mädchen in ruſſiſch-grünen Tibetkleidern ihren Umzug halten. Das Wohlwollen gegen die Paretzer iſt das alte geblieben; aber Paretz ſelbſt iſt nicht mehr was es war. Kein Sehn- ſuchtspunkt mehr, nur noch ein Punkt für Erinnerung und ſtille Betrachtung. 2. Wo nun Gras und Staude beben, Hat in froher Kraft geblüht, Iſt zu Aſche bald verglüht Manches reiche Menſchenleben. Die der Tod hinweg genommen, Die hier einſt ſo glücklich war: Der geſchiednen Seelen Schaar, Nachtigall, Du hörſt ſie kommen. Lenau. Das Schloß in Paretz. So ging das Geplauder. Die wachſende Schwüle des Julinachmittags, wir empfanden ſie nicht; ein leiſer Luftſtrom zog von der Havel her herauf und trug uns die Kühle des Wieſengrundes und den Duft der Reſedabeete zu. Es war eine halbe Stunde, wie ſie nur an dieſer Stelle erlebt werden kann, hier, wo ſich Stille und Erinnerung die Hand reichen. Wir hingen noch den letzten Worten nach, der Schloß- diener öffnete die Läden und lüftete die Zimmer, in die wir einzutreten hatten, als die Szene ſich plötzlich änderte. Ein Windſtoß, jäh und heftig, fuhr durch den Park, die uns zu-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/351>, abgerufen am 24.11.2024.