Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufregung die sie schufen, den Uebergang aus einem Lebens-
abschnitt in den andern, aus seinem künstlerischen Schaffen in
ein künstlerisches far niente. Die Märztage sahen ihn in
Waffen, der alte Jäger-Offizier lebte wieder auf, und als
Kommandirender stand er an der Spitze des "Berliner Künst-
ler-Corps."

Keiner war dazu berufener als er, Royalist und alter
Militair auf der einen Seite, kannte er doch andererseits auch
die Künstlernatur genau genug, um mit diesem Faktor zu rechnen.
So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das sich aus disparaten
und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zusammen-
setzte, einen preußisch-loyalen Charakter zu geben, und eine
Truppe heran zu bilden, die wenigstens so zuverlässig war,
wie es ein solches Freicorps, es heiße nun, wie es wolle,
überhaupt zu sein vermag.

Die politische Erregung Hensel's überdauerte den Sommer
48, ja sie steigerte sich während des Reactionsfiebers das nun
folgte, und dessen akutes Stadium erst vorüber war, als Hans
v. Rochow's Kugel den eigentlichen Plenipotentiaire jener Tage
niedergestreckt hatte. Von da ab, wie für alle Welt, kehrten
auch für Hensel ruhigere Tage zurück; er wie andere waren
müde geworden, und an dieselbe Wand, an der die Büchse des
freiwilligen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen,
hing er nun auch das Rüstzeug des Parteikämpfers; die politi-
sche Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war
jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vor-
wärts
und kaum noch um sich, sondern nur noch rück-
wärts
blickt.

Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in seinen
geselligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen
Stadt, kaum noch ihre Bestrebungen bewegten ihn, aber dem
Leben und Geplauder der mannigfachsten ihm befreundeten
Kreise blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz
das geworden, was man eine "Figur" nennt; Jeder kannte
ihn; Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen, Gut-

Aufregung die ſie ſchufen, den Uebergang aus einem Lebens-
abſchnitt in den andern, aus ſeinem künſtleriſchen Schaffen in
ein künſtleriſches far niente. Die Märztage ſahen ihn in
Waffen, der alte Jäger-Offizier lebte wieder auf, und als
Kommandirender ſtand er an der Spitze des „Berliner Künſt-
ler-Corps.“

Keiner war dazu berufener als er, Royaliſt und alter
Militair auf der einen Seite, kannte er doch andererſeits auch
die Künſtlernatur genau genug, um mit dieſem Faktor zu rechnen.
So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das ſich aus disparaten
und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zuſammen-
ſetzte, einen preußiſch-loyalen Charakter zu geben, und eine
Truppe heran zu bilden, die wenigſtens ſo zuverläſſig war,
wie es ein ſolches Freicorps, es heiße nun, wie es wolle,
überhaupt zu ſein vermag.

Die politiſche Erregung Henſel’s überdauerte den Sommer
48, ja ſie ſteigerte ſich während des Reactionsfiebers das nun
folgte, und deſſen akutes Stadium erſt vorüber war, als Hans
v. Rochow’s Kugel den eigentlichen Plenipotentiaire jener Tage
niedergeſtreckt hatte. Von da ab, wie für alle Welt, kehrten
auch für Henſel ruhigere Tage zurück; er wie andere waren
müde geworden, und an dieſelbe Wand, an der die Büchſe des
freiwilligen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen,
hing er nun auch das Rüſtzeug des Parteikämpfers; die politi-
ſche Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war
jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vor-
wärts
und kaum noch um ſich, ſondern nur noch rück-
wärts
blickt.

Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in ſeinen
geſelligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen
Stadt, kaum noch ihre Beſtrebungen bewegten ihn, aber dem
Leben und Geplauder der mannigfachſten ihm befreundeten
Kreiſe blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz
das geworden, was man eine „Figur“ nennt; Jeder kannte
ihn; Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen, Gut-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0408" n="390"/>
Aufregung die &#x017F;ie &#x017F;chufen, den Uebergang aus einem Lebens-<lb/>
ab&#x017F;chnitt in den andern, aus &#x017F;einem kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Schaffen in<lb/>
ein kün&#x017F;tleri&#x017F;ches <hi rendition="#aq">far niente.</hi> Die Märztage &#x017F;ahen ihn in<lb/>
Waffen, der alte Jäger-Offizier lebte wieder auf, und als<lb/>
Kommandirender &#x017F;tand er an der Spitze des &#x201E;Berliner Kün&#x017F;t-<lb/>
ler-Corps.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Keiner war dazu berufener als er, Royali&#x017F;t und alter<lb/>
Militair auf der einen Seite, kannte er doch anderer&#x017F;eits auch<lb/>
die Kün&#x017F;tlernatur genau genug, um mit die&#x017F;em Faktor zu rechnen.<lb/>
So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das &#x017F;ich aus disparaten<lb/>
und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;etzte, einen preußi&#x017F;ch-loyalen Charakter zu geben, und eine<lb/>
Truppe heran zu bilden, die wenig&#x017F;tens &#x017F;o zuverlä&#x017F;&#x017F;ig war,<lb/>
wie es ein &#x017F;olches Freicorps, es heiße nun, wie es wolle,<lb/>
überhaupt zu &#x017F;ein vermag.</p><lb/>
        <p>Die politi&#x017F;che Erregung Hen&#x017F;el&#x2019;s überdauerte den Sommer<lb/>
48, ja &#x017F;ie &#x017F;teigerte &#x017F;ich während des Reactionsfiebers das nun<lb/>
folgte, und de&#x017F;&#x017F;en akutes Stadium er&#x017F;t vorüber war, als Hans<lb/>
v. Rochow&#x2019;s Kugel den eigentlichen Plenipotentiaire jener Tage<lb/>
niederge&#x017F;treckt hatte. Von da ab, wie für alle Welt, kehrten<lb/>
auch für Hen&#x017F;el ruhigere Tage zurück; er wie andere waren<lb/>
müde geworden, und an die&#x017F;elbe Wand, an der die Büch&#x017F;e des<lb/>
freiwilligen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen,<lb/>
hing er nun auch das Rü&#x017F;tzeug des Parteikämpfers; die politi-<lb/>
&#x017F;che Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war<lb/>
jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr <hi rendition="#g">vor-<lb/>
wärts</hi> und kaum noch <hi rendition="#g">um</hi> &#x017F;ich, &#x017F;ondern nur noch <hi rendition="#g">rück-<lb/>
wärts</hi> blickt.</p><lb/>
        <p>Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in &#x017F;einen<lb/>
ge&#x017F;elligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen<lb/>
Stadt, kaum noch ihre Be&#x017F;trebungen bewegten ihn, aber dem<lb/>
Leben und Geplauder der mannigfach&#x017F;ten ihm befreundeten<lb/>
Krei&#x017F;e blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz<lb/>
das geworden, was man eine &#x201E;Figur&#x201C; nennt; Jeder kannte<lb/>
ihn; Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen, Gut-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0408] Aufregung die ſie ſchufen, den Uebergang aus einem Lebens- abſchnitt in den andern, aus ſeinem künſtleriſchen Schaffen in ein künſtleriſches far niente. Die Märztage ſahen ihn in Waffen, der alte Jäger-Offizier lebte wieder auf, und als Kommandirender ſtand er an der Spitze des „Berliner Künſt- ler-Corps.“ Keiner war dazu berufener als er, Royaliſt und alter Militair auf der einen Seite, kannte er doch andererſeits auch die Künſtlernatur genau genug, um mit dieſem Faktor zu rechnen. So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das ſich aus disparaten und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zuſammen- ſetzte, einen preußiſch-loyalen Charakter zu geben, und eine Truppe heran zu bilden, die wenigſtens ſo zuverläſſig war, wie es ein ſolches Freicorps, es heiße nun, wie es wolle, überhaupt zu ſein vermag. Die politiſche Erregung Henſel’s überdauerte den Sommer 48, ja ſie ſteigerte ſich während des Reactionsfiebers das nun folgte, und deſſen akutes Stadium erſt vorüber war, als Hans v. Rochow’s Kugel den eigentlichen Plenipotentiaire jener Tage niedergeſtreckt hatte. Von da ab, wie für alle Welt, kehrten auch für Henſel ruhigere Tage zurück; er wie andere waren müde geworden, und an dieſelbe Wand, an der die Büchſe des freiwilligen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen, hing er nun auch das Rüſtzeug des Parteikämpfers; die politi- ſche Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vor- wärts und kaum noch um ſich, ſondern nur noch rück- wärts blickt. Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in ſeinen geſelligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen Stadt, kaum noch ihre Beſtrebungen bewegten ihn, aber dem Leben und Geplauder der mannigfachſten ihm befreundeten Kreiſe blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz das geworden, was man eine „Figur“ nennt; Jeder kannte ihn; Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen, Gut-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/408
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/408>, abgerufen am 24.11.2024.