Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

wenigstens haben später eingezogene Erkundigungen ergeben, scheint
unsern Anderssen gleich von Anfang an in seiner Verkleidung er-
kannt, an dieser Entdeckung aber nicht den mindesten Anstoß ge-
nommen zu haben. Im Gegentheil. Mit Vorliebe wandte man
sich ihm zu, eine Mittheilung, die alle diejenigen am wenigsten
überraschen wird, die persönlich in der einen oder andern Eigen-
schaft auf dem Kriegsschauplatz anwesend waren. Denn gerade
diese werden aus eigener Anschauung wissen, daß Heitres und
friedlich Freundliches beständig in den furchtbaren Ernst des
Krieges hineinwuchs und nur allzu oft in geradezu verführerischer
Weise den einen oder Andern Theil vergessen lassen konnte: dort
steht Dein Feind. Die Vorposten beispielsweise lebten sich kame-
radschaftlich mit einander ein, tranken sich zu, erwiesen sich kleine
Dienste, bis dann plötzlich wieder -- oft launenhaft und nach dem
Voraufgegangenen durchaus unmotivirt -- eine Gewehrsalve da-
zwischen fuhr und die Situation auf's Neue klar legte. So ähnlich
scheinen die Dinge an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen
zu sein. Der Nachtheil, der der Stadt aus einem mit scharfen Appetit
frühstückenden und mit der Dame du comtoir lebhaft plaudernden
Prussien erwachsen konnte, war gering, der Vortheil aber lag auf der
Hand, denn man hörte doch dies und das und sah das ewige Einerlei
der Tage durch einen Zwischenfall unterbrochen, der in seinem keck-
abenteuerlichen Aufstutz nur um so unterhaltender wirkte. Die
Nachrichten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuverlässig sein,
aber so viel wenigstens wird mit Bestimmtheit erzählt, daß die
Cafe-Luxembourg-Gäste unter scherzhaftem Hinweis auf seine
Blouse, unsrem Fähnrich zugerufen hätten: "Passen Sie auf". Er
nahm es aber leicht, und mocht' es leichtnehmen, denn in der That, das
Glück schien gewillt, für seinen Liebling noch einmal all und jedes
zu thun. Nichts Störendes intervenirte, der Wagen fuhr wieder
vor, Wirth und Einquartierung nahmen auf dem Vordersitz ihren
alten Platz und nach dem Cafe zurückgrüßend, fuhren beide die
Straße hinunter auf das Metzer Thor zu, um noch vor Dunkel-
werden Garsch zu erreichen. Alles ging gut; erst im letzten Mo-
ment gebar sich das Unheil. Hart am Thor, da, wo nach rechts
hin die Straße in eine schmale, halb von der Stadtmauer ge-
bildete Gasse abbiegt, stand ein Wirthshaus, aus dem der Lärm

wenigſtens haben ſpäter eingezogene Erkundigungen ergeben, ſcheint
unſern Anderſſen gleich von Anfang an in ſeiner Verkleidung er-
kannt, an dieſer Entdeckung aber nicht den mindeſten Anſtoß ge-
nommen zu haben. Im Gegentheil. Mit Vorliebe wandte man
ſich ihm zu, eine Mittheilung, die alle diejenigen am wenigſten
überraſchen wird, die perſönlich in der einen oder andern Eigen-
ſchaft auf dem Kriegsſchauplatz anweſend waren. Denn gerade
dieſe werden aus eigener Anſchauung wiſſen, daß Heitres und
friedlich Freundliches beſtändig in den furchtbaren Ernſt des
Krieges hineinwuchs und nur allzu oft in geradezu verführeriſcher
Weiſe den einen oder Andern Theil vergeſſen laſſen konnte: dort
ſteht Dein Feind. Die Vorpoſten beiſpielsweiſe lebten ſich kame-
radſchaftlich mit einander ein, tranken ſich zu, erwieſen ſich kleine
Dienſte, bis dann plötzlich wieder — oft launenhaft und nach dem
Voraufgegangenen durchaus unmotivirt — eine Gewehrſalve da-
zwiſchen fuhr und die Situation auf’s Neue klar legte. So ähnlich
ſcheinen die Dinge an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen
zu ſein. Der Nachtheil, der der Stadt aus einem mit ſcharfen Appetit
frühſtückenden und mit der Dame du comtoir lebhaft plaudernden
Pruſſien erwachſen konnte, war gering, der Vortheil aber lag auf der
Hand, denn man hörte doch dies und das und ſah das ewige Einerlei
der Tage durch einen Zwiſchenfall unterbrochen, der in ſeinem keck-
abenteuerlichen Aufſtutz nur um ſo unterhaltender wirkte. Die
Nachrichten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuverläſſig ſein,
aber ſo viel wenigſtens wird mit Beſtimmtheit erzählt, daß die
Café-Luxembourg-Gäſte unter ſcherzhaftem Hinweis auf ſeine
Blouſe, unſrem Fähnrich zugerufen hätten: „Paſſen Sie auf“. Er
nahm es aber leicht, und mocht’ es leichtnehmen, denn in der That, das
Glück ſchien gewillt, für ſeinen Liebling noch einmal all und jedes
zu thun. Nichts Störendes intervenirte, der Wagen fuhr wieder
vor, Wirth und Einquartierung nahmen auf dem Vorderſitz ihren
alten Platz und nach dem Café zurückgrüßend, fuhren beide die
Straße hinunter auf das Metzer Thor zu, um noch vor Dunkel-
werden Garſch zu erreichen. Alles ging gut; erſt im letzten Mo-
ment gebar ſich das Unheil. Hart am Thor, da, wo nach rechts
hin die Straße in eine ſchmale, halb von der Stadtmauer ge-
bildete Gaſſe abbiegt, ſtand ein Wirthshaus, aus dem der Lärm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0139" n="123"/>
wenig&#x017F;tens haben &#x017F;päter eingezogene Erkundigungen ergeben, &#x017F;cheint<lb/>
un&#x017F;ern Ander&#x017F;&#x017F;en gleich von Anfang an in &#x017F;einer Verkleidung er-<lb/>
kannt, an die&#x017F;er Entdeckung aber nicht den minde&#x017F;ten An&#x017F;toß ge-<lb/>
nommen zu haben. Im Gegentheil. Mit Vorliebe wandte man<lb/>
&#x017F;ich ihm zu, eine Mittheilung, die alle diejenigen am wenig&#x017F;ten<lb/>
überra&#x017F;chen wird, die per&#x017F;önlich in der einen oder andern Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft auf dem Kriegs&#x017F;chauplatz anwe&#x017F;end waren. Denn gerade<lb/><hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> werden aus eigener An&#x017F;chauung wi&#x017F;&#x017F;en, daß Heitres und<lb/>
friedlich Freundliches be&#x017F;tändig in den furchtbaren Ern&#x017F;t des<lb/>
Krieges hineinwuchs und nur allzu oft in geradezu verführeri&#x017F;cher<lb/>
Wei&#x017F;e den einen oder Andern Theil verge&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en konnte: dort<lb/>
&#x017F;teht Dein Feind. Die Vorpo&#x017F;ten bei&#x017F;pielswei&#x017F;e lebten &#x017F;ich kame-<lb/>
rad&#x017F;chaftlich mit einander ein, tranken &#x017F;ich zu, erwie&#x017F;en &#x017F;ich kleine<lb/>
Dien&#x017F;te, bis dann plötzlich wieder &#x2014; oft launenhaft und nach dem<lb/>
Voraufgegangenen durchaus unmotivirt &#x2014; eine Gewehr&#x017F;alve da-<lb/>
zwi&#x017F;chen fuhr und die Situation auf&#x2019;s Neue klar legte. So ähnlich<lb/>
&#x017F;cheinen die Dinge an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen<lb/>
zu &#x017F;ein. Der Nachtheil, der der Stadt aus einem mit &#x017F;charfen Appetit<lb/>
früh&#x017F;tückenden und mit der <hi rendition="#aq">Dame du comtoir</hi> lebhaft plaudernden<lb/>
Pru&#x017F;&#x017F;ien erwach&#x017F;en konnte, war gering, der Vortheil aber lag auf der<lb/>
Hand, denn man hörte doch dies und das und &#x017F;ah das ewige Einerlei<lb/>
der Tage durch einen Zwi&#x017F;chenfall unterbrochen, der in &#x017F;einem keck-<lb/>
abenteuerlichen Auf&#x017F;tutz nur um &#x017F;o unterhaltender wirkte. Die<lb/>
Nachrichten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuverlä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ein,<lb/>
aber &#x017F;o viel wenig&#x017F;tens wird mit Be&#x017F;timmtheit erzählt, daß die<lb/>
Caf<hi rendition="#aq">é</hi>-Luxembourg-Gä&#x017F;te unter &#x017F;cherzhaftem Hinweis auf &#x017F;eine<lb/>
Blou&#x017F;e, un&#x017F;rem Fähnrich zugerufen hätten: &#x201E;Pa&#x017F;&#x017F;en Sie auf&#x201C;. Er<lb/>
nahm es aber leicht, und mocht&#x2019; es leichtnehmen, denn in der That, das<lb/>
Glück &#x017F;chien gewillt, für &#x017F;einen Liebling noch einmal all und jedes<lb/>
zu thun. Nichts Störendes intervenirte, der Wagen fuhr wieder<lb/>
vor, Wirth und Einquartierung nahmen auf dem Vorder&#x017F;itz ihren<lb/>
alten Platz und nach dem Caf<hi rendition="#aq">é</hi> zurückgrüßend, fuhren beide die<lb/>
Straße hinunter auf das Metzer Thor zu, um noch vor Dunkel-<lb/>
werden Gar&#x017F;ch zu erreichen. Alles ging gut; er&#x017F;t im letzten Mo-<lb/>
ment gebar &#x017F;ich das Unheil. Hart am Thor, da, wo nach rechts<lb/>
hin die Straße in eine &#x017F;chmale, halb von der Stadtmauer ge-<lb/>
bildete Ga&#x017F;&#x017F;e abbiegt, &#x017F;tand ein Wirthshaus, aus dem der Lärm<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0139] wenigſtens haben ſpäter eingezogene Erkundigungen ergeben, ſcheint unſern Anderſſen gleich von Anfang an in ſeiner Verkleidung er- kannt, an dieſer Entdeckung aber nicht den mindeſten Anſtoß ge- nommen zu haben. Im Gegentheil. Mit Vorliebe wandte man ſich ihm zu, eine Mittheilung, die alle diejenigen am wenigſten überraſchen wird, die perſönlich in der einen oder andern Eigen- ſchaft auf dem Kriegsſchauplatz anweſend waren. Denn gerade dieſe werden aus eigener Anſchauung wiſſen, daß Heitres und friedlich Freundliches beſtändig in den furchtbaren Ernſt des Krieges hineinwuchs und nur allzu oft in geradezu verführeriſcher Weiſe den einen oder Andern Theil vergeſſen laſſen konnte: dort ſteht Dein Feind. Die Vorpoſten beiſpielsweiſe lebten ſich kame- radſchaftlich mit einander ein, tranken ſich zu, erwieſen ſich kleine Dienſte, bis dann plötzlich wieder — oft launenhaft und nach dem Voraufgegangenen durchaus unmotivirt — eine Gewehrſalve da- zwiſchen fuhr und die Situation auf’s Neue klar legte. So ähnlich ſcheinen die Dinge an jenem 15. Oktober auch in Thionville verlaufen zu ſein. Der Nachtheil, der der Stadt aus einem mit ſcharfen Appetit frühſtückenden und mit der Dame du comtoir lebhaft plaudernden Pruſſien erwachſen konnte, war gering, der Vortheil aber lag auf der Hand, denn man hörte doch dies und das und ſah das ewige Einerlei der Tage durch einen Zwiſchenfall unterbrochen, der in ſeinem keck- abenteuerlichen Aufſtutz nur um ſo unterhaltender wirkte. Die Nachrichten hierüber mögen nicht in allen Stücken zuverläſſig ſein, aber ſo viel wenigſtens wird mit Beſtimmtheit erzählt, daß die Café-Luxembourg-Gäſte unter ſcherzhaftem Hinweis auf ſeine Blouſe, unſrem Fähnrich zugerufen hätten: „Paſſen Sie auf“. Er nahm es aber leicht, und mocht’ es leichtnehmen, denn in der That, das Glück ſchien gewillt, für ſeinen Liebling noch einmal all und jedes zu thun. Nichts Störendes intervenirte, der Wagen fuhr wieder vor, Wirth und Einquartierung nahmen auf dem Vorderſitz ihren alten Platz und nach dem Café zurückgrüßend, fuhren beide die Straße hinunter auf das Metzer Thor zu, um noch vor Dunkel- werden Garſch zu erreichen. Alles ging gut; erſt im letzten Mo- ment gebar ſich das Unheil. Hart am Thor, da, wo nach rechts hin die Straße in eine ſchmale, halb von der Stadtmauer ge- bildete Gaſſe abbiegt, ſtand ein Wirthshaus, aus dem der Lärm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/139
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/139>, abgerufen am 24.11.2024.