Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

sich nur einzelne Liedesworte verstehen ließen. Um die sechste
Stunde war er todt. Er war sanft eingeschlafen.

Das Waisenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum
Confirmanden-Unterricht versammelten Kinder erfüllte das Pfarr-
haus. In allen Häusern der Stadt war Wehklagen. Am 22.
December hielt ihm sein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel,
die Leichenpredigt und sprach "von der gegründeten Hoffnung eines
Lehrers, der einen lautern Sinn beweiset, wenn er auch über
Macht beschweret ist
."

"Ueber Macht" war Woltersdorf beschweret gewesen; nun war
er frei. Für seine Wittwe und seine sechs Kinder sorgte der
Herr, indem er Seelen erweckte, die sich ihrer Dürftigkeit
annahmen. Es wurde seine Zuversicht erfüllet, die er oft aus-
sprach, wenn er sein letztes Stück Brod mit den Armen
theilte
.

So starb Woltersdorf, erst 36 Jahr alt. Er hatte ein äußer-
lich armes, innerlich desto reicheres Leben geführt. Wie in vielem,
so war er auch in der Anspruchslosigkeit und Stille seines Lebens-
ganges, in dem Fehlen alles dessen, was man als romantisch-
frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er protestirt
zwar gegen diese Gemeinschaft und sagt "allen Dingen, die in
Leben und Lehre dem Worte Gottes zuwider sind, bin ich von
Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutischen Gemeine,
wie er jetzt ist, nimmermehr werde billigen können." Aber trotz
dieses Protestes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet
ist, ist doch unverkennbar, daß seine Dichtung unter Zinzendorf-
schem Einfluß heranwuchs. Er gebraucht wie dieser die starksinn-
lichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem süßen
Blut des Erlösers und von der Herrlichkeit seiner Blutrubinen.
Er vertheidigt auch diese Ausdrucksweise: "Die Herzen sollen durch
die Sinne bewegt werden, und nur das eine ist zu fordern, daß
kein schwulstiges, unanständiges oder gar lächerliches Wesen dabei
zu Tage komme." Im Uebrigen scheint er sich selber nur eine
Durchschnitts-Begabung zugeschrieben zu haben. "Ich habe, so
schreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, sondern eine
fließende und bewegliche Deutlichkeit erwählet, damit mich
Jedermann, auch zur Noth ein Kind, verstehen möchte. Das macht

ſich nur einzelne Liedesworte verſtehen ließen. Um die ſechste
Stunde war er todt. Er war ſanft eingeſchlafen.

Das Waiſenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum
Confirmanden-Unterricht verſammelten Kinder erfüllte das Pfarr-
haus. In allen Häuſern der Stadt war Wehklagen. Am 22.
December hielt ihm ſein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel,
die Leichenpredigt und ſprach „von der gegründeten Hoffnung eines
Lehrers, der einen lautern Sinn beweiſet, wenn er auch über
Macht beſchweret iſt
.“

„Ueber Macht“ war Woltersdorf beſchweret geweſen; nun war
er frei. Für ſeine Wittwe und ſeine ſechs Kinder ſorgte der
Herr, indem er Seelen erweckte, die ſich ihrer Dürftigkeit
annahmen. Es wurde ſeine Zuverſicht erfüllet, die er oft aus-
ſprach, wenn er ſein letztes Stück Brod mit den Armen
theilte
.

So ſtarb Woltersdorf, erſt 36 Jahr alt. Er hatte ein äußer-
lich armes, innerlich deſto reicheres Leben geführt. Wie in vielem,
ſo war er auch in der Anſpruchsloſigkeit und Stille ſeines Lebens-
ganges, in dem Fehlen alles deſſen, was man als romantiſch-
frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er proteſtirt
zwar gegen dieſe Gemeinſchaft und ſagt „allen Dingen, die in
Leben und Lehre dem Worte Gottes zuwider ſind, bin ich von
Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutiſchen Gemeine,
wie er jetzt iſt, nimmermehr werde billigen können.“ Aber trotz
dieſes Proteſtes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet
iſt, iſt doch unverkennbar, daß ſeine Dichtung unter Zinzendorf-
ſchem Einfluß heranwuchs. Er gebraucht wie dieſer die ſtarkſinn-
lichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem ſüßen
Blut des Erlöſers und von der Herrlichkeit ſeiner Blutrubinen.
Er vertheidigt auch dieſe Ausdrucksweiſe: „Die Herzen ſollen durch
die Sinne bewegt werden, und nur das eine iſt zu fordern, daß
kein ſchwulſtiges, unanſtändiges oder gar lächerliches Weſen dabei
zu Tage komme.“ Im Uebrigen ſcheint er ſich ſelber nur eine
Durchſchnitts-Begabung zugeſchrieben zu haben. „Ich habe, ſo
ſchreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, ſondern eine
fließende und bewegliche Deutlichkeit erwählet, damit mich
Jedermann, auch zur Noth ein Kind, verſtehen möchte. Das macht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0175" n="159"/>
&#x017F;ich nur einzelne Liedesworte ver&#x017F;tehen ließen. Um die &#x017F;echste<lb/>
Stunde war er todt. Er war &#x017F;anft einge&#x017F;chlafen.</p><lb/>
            <p>Das Wai&#x017F;enhaus verlor viel und der Jammer der eben zum<lb/>
Confirmanden-Unterricht ver&#x017F;ammelten Kinder erfüllte das Pfarr-<lb/>
haus. In allen Häu&#x017F;ern der Stadt war Wehklagen. Am 22.<lb/>
December hielt ihm &#x017F;ein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel,<lb/>
die Leichenpredigt und &#x017F;prach &#x201E;von der gegründeten Hoffnung eines<lb/>
Lehrers, der einen lautern Sinn bewei&#x017F;et, <hi rendition="#g">wenn er auch über<lb/>
Macht be&#x017F;chweret i&#x017F;t</hi>.&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ueber Macht&#x201C; war Woltersdorf be&#x017F;chweret gewe&#x017F;en; nun war<lb/>
er frei. Für &#x017F;eine Wittwe und &#x017F;eine &#x017F;echs Kinder &#x017F;orgte der<lb/>
Herr, indem er Seelen erweckte, die &#x017F;ich ihrer Dürftigkeit<lb/>
annahmen. Es wurde &#x017F;eine Zuver&#x017F;icht erfüllet, die er oft aus-<lb/>
&#x017F;prach, <hi rendition="#g">wenn er &#x017F;ein letztes Stück Brod mit den Armen<lb/>
theilte</hi>.</p><lb/>
            <p>So &#x017F;tarb Woltersdorf, er&#x017F;t 36 Jahr alt. Er hatte ein äußer-<lb/>
lich armes, innerlich de&#x017F;to reicheres Leben geführt. Wie in vielem,<lb/>
&#x017F;o war er auch in der An&#x017F;pruchslo&#x017F;igkeit und Stille &#x017F;eines Lebens-<lb/>
ganges, in dem Fehlen alles de&#x017F;&#x017F;en, was man als romanti&#x017F;ch-<lb/>
frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er prote&#x017F;tirt<lb/>
zwar gegen die&#x017F;e Gemein&#x017F;chaft und &#x017F;agt &#x201E;allen Dingen, die in<lb/>
Leben und Lehre dem Worte Gottes zuwider &#x017F;ind, bin ich von<lb/>
Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhuti&#x017F;chen Gemeine,<lb/>
wie er jetzt i&#x017F;t, nimmermehr werde billigen können.&#x201C; Aber trotz<lb/>
die&#x017F;es Prote&#x017F;tes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t doch unverkennbar, daß &#x017F;eine Dichtung unter Zinzendorf-<lb/>
&#x017F;chem Einfluß heranwuchs. Er gebraucht wie die&#x017F;er die &#x017F;tark&#x017F;inn-<lb/>
lichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem &#x017F;üßen<lb/>
Blut des Erlö&#x017F;ers und von der Herrlichkeit &#x017F;einer Blutrubinen.<lb/>
Er vertheidigt auch die&#x017F;e Ausdruckswei&#x017F;e: &#x201E;Die Herzen &#x017F;ollen durch<lb/>
die Sinne bewegt werden, und nur das eine i&#x017F;t zu fordern, daß<lb/>
kein &#x017F;chwul&#x017F;tiges, unan&#x017F;tändiges oder gar lächerliches We&#x017F;en dabei<lb/>
zu Tage komme.&#x201C; Im Uebrigen &#x017F;cheint er &#x017F;ich &#x017F;elber nur eine<lb/>
Durch&#x017F;chnitts-Begabung zuge&#x017F;chrieben zu haben. &#x201E;Ich habe, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, &#x017F;ondern eine<lb/><hi rendition="#g">fließende und bewegliche Deutlichkeit</hi> erwählet, damit mich<lb/>
Jedermann, auch zur Noth ein Kind, ver&#x017F;tehen möchte. Das macht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0175] ſich nur einzelne Liedesworte verſtehen ließen. Um die ſechste Stunde war er todt. Er war ſanft eingeſchlafen. Das Waiſenhaus verlor viel und der Jammer der eben zum Confirmanden-Unterricht verſammelten Kinder erfüllte das Pfarr- haus. In allen Häuſern der Stadt war Wehklagen. Am 22. December hielt ihm ſein Herzensfreund, David Gottlieb Seidel, die Leichenpredigt und ſprach „von der gegründeten Hoffnung eines Lehrers, der einen lautern Sinn beweiſet, wenn er auch über Macht beſchweret iſt.“ „Ueber Macht“ war Woltersdorf beſchweret geweſen; nun war er frei. Für ſeine Wittwe und ſeine ſechs Kinder ſorgte der Herr, indem er Seelen erweckte, die ſich ihrer Dürftigkeit annahmen. Es wurde ſeine Zuverſicht erfüllet, die er oft aus- ſprach, wenn er ſein letztes Stück Brod mit den Armen theilte. So ſtarb Woltersdorf, erſt 36 Jahr alt. Er hatte ein äußer- lich armes, innerlich deſto reicheres Leben geführt. Wie in vielem, ſo war er auch in der Anſpruchsloſigkeit und Stille ſeines Lebens- ganges, in dem Fehlen alles deſſen, was man als romantiſch- frappant bezeichnen kann, den Herrenhutern verwandt. Er proteſtirt zwar gegen dieſe Gemeinſchaft und ſagt „allen Dingen, die in Leben und Lehre dem Worte Gottes zuwider ſind, bin ich von Herzen feind, weshalb ich den Plan der herrnhutiſchen Gemeine, wie er jetzt iſt, nimmermehr werde billigen können.“ Aber trotz dieſes Proteſtes, der gewiß aufrichtig gemeint und wohlbegründet iſt, iſt doch unverkennbar, daß ſeine Dichtung unter Zinzendorf- ſchem Einfluß heranwuchs. Er gebraucht wie dieſer die ſtarkſinn- lichen Reden von Turteltauben und Nachtigallen, von dem ſüßen Blut des Erlöſers und von der Herrlichkeit ſeiner Blutrubinen. Er vertheidigt auch dieſe Ausdrucksweiſe: „Die Herzen ſollen durch die Sinne bewegt werden, und nur das eine iſt zu fordern, daß kein ſchwulſtiges, unanſtändiges oder gar lächerliches Weſen dabei zu Tage komme.“ Im Uebrigen ſcheint er ſich ſelber nur eine Durchſchnitts-Begabung zugeſchrieben zu haben. „Ich habe, ſo ſchreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, ſondern eine fließende und bewegliche Deutlichkeit erwählet, damit mich Jedermann, auch zur Noth ein Kind, verſtehen möchte. Das macht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/175
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/175>, abgerufen am 24.11.2024.