In dem kurzen Zeitraume von sechs Jahren erschien er mit fünf Bänden "Gedichte" vor dem Publicum, Gedichte, die sich unter einander zum Theil so ähnlich sehen, daß es schwer hält, sie in der Vorstellung von einander zu trennen. Sie erschienen in fol- gender Reihenfolge: "Kalender der Musen und Grazien," 1796; "Gedichte," erster Band, bei Haude und Spener, 1797; ,Gedichte," zweiter Band, bei Oehmigke jun., 1798; "Roman- tisch-ländliche Gedichte," bei Oehmigke jun., 1798; "Alma- nach der Musen und Grazien" (Fortsetzung des "Kalenders der Musen und Grazien"), bei Oehmigke jun., 1802. Dies ist Alles, was ich aus der Epoche von 1796 bis 1802 von seinen Veröffentlichungen in Händen gehabt habe; doch möcht ich fast bezweifeln, daß die gegebene Aufzählung die Gesammtheit seiner damaligen Production umfaßt. Die Kluft zwischen 1798 und 1802 ist zu weit. Nach dem Jahre 1802 scheint er sein Harfenspiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen wir noch schließlich einem schmalen Büchelchen, das den Titel "Neueste Gedichte" führt und in zwei Sonettenkränzen, eine Form, in der er sich auch früher schon versuchte, den Tod seiner ersten Gattin Henriette und das frühe Hinscheiden seines Lieblingssohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieser Lieder schon weiter oben.
Sehen wir von dem Jahrgange des Erscheinens ab und be- trachten wir seine Dichtung als ein Ganzes, das wir nicht äußer- lich nach Namen und Datum, sondern nach seinem inneren Ge- halt zu theilen und zu trennen haben, so ergeben sich drei Haupt- gruppen: Sonette, Balladen und Naturbeschreibungen, letztre vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.
Ueber die erste und zweite Gruppe (Sonette und Balladen) gehen wir so schnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem Einen noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und während ihm im Sonett, all seiner Reimgewandtheit unerachtet, alle Grazie der Form und des Gedankens fehlte, suchte er -- die schwächeren und schwächsten Sachen Bürger's zum Vorbild nehmend -- das Wesen der Ballade theils im Mordhaft-schauer- lichen, theils in einem Gespenster-Apparate, der schon deshalb Niemanden in Schrecken setzen konnte, weil er selber keinen
In dem kurzen Zeitraume von ſechs Jahren erſchien er mit fünf Bänden „Gedichte“ vor dem Publicum, Gedichte, die ſich unter einander zum Theil ſo ähnlich ſehen, daß es ſchwer hält, ſie in der Vorſtellung von einander zu trennen. Sie erſchienen in fol- gender Reihenfolge: „Kalender der Muſen und Grazien,“ 1796; „Gedichte,“ erſter Band, bei Haude und Spener, 1797; ,Gedichte,“ zweiter Band, bei Oehmigke jun., 1798; „Roman- tiſch-ländliche Gedichte,“ bei Oehmigke jun., 1798; „Alma- nach der Muſen und Grazien“ (Fortſetzung des „Kalenders der Muſen und Grazien“), bei Oehmigke jun., 1802. Dies iſt Alles, was ich aus der Epoche von 1796 bis 1802 von ſeinen Veröffentlichungen in Händen gehabt habe; doch möcht ich faſt bezweifeln, daß die gegebene Aufzählung die Geſammtheit ſeiner damaligen Production umfaßt. Die Kluft zwiſchen 1798 und 1802 iſt zu weit. Nach dem Jahre 1802 ſcheint er ſein Harfenſpiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen wir noch ſchließlich einem ſchmalen Büchelchen, das den Titel „Neueſte Gedichte“ führt und in zwei Sonettenkränzen, eine Form, in der er ſich auch früher ſchon verſuchte, den Tod ſeiner erſten Gattin Henriette und das frühe Hinſcheiden ſeines Lieblingsſohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieſer Lieder ſchon weiter oben.
Sehen wir von dem Jahrgange des Erſcheinens ab und be- trachten wir ſeine Dichtung als ein Ganzes, das wir nicht äußer- lich nach Namen und Datum, ſondern nach ſeinem inneren Ge- halt zu theilen und zu trennen haben, ſo ergeben ſich drei Haupt- gruppen: Sonette, Balladen und Naturbeſchreibungen, letztre vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.
Ueber die erſte und zweite Gruppe (Sonette und Balladen) gehen wir ſo ſchnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem Einen noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und während ihm im Sonett, all ſeiner Reimgewandtheit unerachtet, alle Grazie der Form und des Gedankens fehlte, ſuchte er — die ſchwächeren und ſchwächſten Sachen Bürger’s zum Vorbild nehmend — das Weſen der Ballade theils im Mordhaft-ſchauer- lichen, theils in einem Geſpenſter-Apparate, der ſchon deshalb Niemanden in Schrecken ſetzen konnte, weil er ſelber keinen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0242"n="226"/>
In dem kurzen Zeitraume von ſechs Jahren erſchien er mit fünf<lb/>
Bänden „Gedichte“ vor dem Publicum, Gedichte, die ſich unter<lb/>
einander zum Theil ſo ähnlich ſehen, daß es ſchwer hält, ſie in<lb/>
der Vorſtellung von einander zu trennen. Sie erſchienen in fol-<lb/>
gender Reihenfolge: „<hirendition="#g">Kalender der Muſen und Grazien</hi>,“<lb/>
1796; „<hirendition="#g">Gedichte</hi>,“ erſter Band, bei Haude und Spener, 1797;<lb/>
,<hirendition="#g">Gedichte</hi>,“ zweiter Band, bei Oehmigke <hirendition="#aq">jun.</hi>, 1798; „<hirendition="#g">Roman-<lb/>
tiſch-ländliche Gedichte</hi>,“ bei Oehmigke <hirendition="#aq">jun.</hi>, 1798; „<hirendition="#g">Alma-<lb/>
nach der Muſen und Grazien</hi>“ (Fortſetzung des „Kalenders<lb/>
der Muſen und Grazien“), bei Oehmigke <hirendition="#aq">jun.</hi>, 1802. Dies iſt<lb/>
Alles, was ich aus der Epoche von 1796 bis 1802 von ſeinen<lb/>
Veröffentlichungen in Händen gehabt habe; doch möcht ich faſt<lb/>
bezweifeln, daß die gegebene Aufzählung die Geſammtheit ſeiner<lb/>
damaligen Production umfaßt. Die Kluft zwiſchen 1798 und 1802<lb/>
iſt zu weit. Nach dem Jahre 1802 ſcheint er ſein Harfenſpiel an<lb/>
die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen<lb/>
wir noch ſchließlich einem ſchmalen Büchelchen, das den Titel<lb/>„<hirendition="#g">Neueſte Gedichte</hi>“ führt und in zwei Sonettenkränzen,<lb/>
eine Form, in der er ſich auch früher ſchon verſuchte, den Tod<lb/>ſeiner erſten Gattin Henriette und das frühe Hinſcheiden ſeines<lb/>
Lieblingsſohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieſer Lieder ſchon<lb/>
weiter oben.</p><lb/><p>Sehen wir von dem Jahrgange des Erſcheinens ab und be-<lb/>
trachten wir ſeine Dichtung als ein Ganzes, das wir nicht äußer-<lb/>
lich nach Namen und Datum, ſondern nach ſeinem inneren Ge-<lb/>
halt zu theilen und zu trennen haben, ſo ergeben ſich drei Haupt-<lb/>
gruppen: Sonette, Balladen und Naturbeſchreibungen, letztre vom<lb/>
kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.</p><lb/><p>Ueber die erſte und zweite Gruppe (Sonette und Balladen)<lb/>
gehen wir ſo ſchnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von<lb/>
dem Einen noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und<lb/>
während ihm im Sonett, all ſeiner Reimgewandtheit unerachtet,<lb/>
alle Grazie der Form und des Gedankens fehlte, ſuchte er —<lb/>
die ſchwächeren und ſchwächſten Sachen Bürger’s zum Vorbild<lb/>
nehmend — das Weſen der Ballade theils im Mordhaft-ſchauer-<lb/>
lichen, theils in einem Geſpenſter-Apparate, der ſchon deshalb<lb/>
Niemanden in Schrecken ſetzen konnte, weil er ſelber keinen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[226/0242]
In dem kurzen Zeitraume von ſechs Jahren erſchien er mit fünf
Bänden „Gedichte“ vor dem Publicum, Gedichte, die ſich unter
einander zum Theil ſo ähnlich ſehen, daß es ſchwer hält, ſie in
der Vorſtellung von einander zu trennen. Sie erſchienen in fol-
gender Reihenfolge: „Kalender der Muſen und Grazien,“
1796; „Gedichte,“ erſter Band, bei Haude und Spener, 1797;
,Gedichte,“ zweiter Band, bei Oehmigke jun., 1798; „Roman-
tiſch-ländliche Gedichte,“ bei Oehmigke jun., 1798; „Alma-
nach der Muſen und Grazien“ (Fortſetzung des „Kalenders
der Muſen und Grazien“), bei Oehmigke jun., 1802. Dies iſt
Alles, was ich aus der Epoche von 1796 bis 1802 von ſeinen
Veröffentlichungen in Händen gehabt habe; doch möcht ich faſt
bezweifeln, daß die gegebene Aufzählung die Geſammtheit ſeiner
damaligen Production umfaßt. Die Kluft zwiſchen 1798 und 1802
iſt zu weit. Nach dem Jahre 1802 ſcheint er ſein Harfenſpiel an
die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen
wir noch ſchließlich einem ſchmalen Büchelchen, das den Titel
„Neueſte Gedichte“ führt und in zwei Sonettenkränzen,
eine Form, in der er ſich auch früher ſchon verſuchte, den Tod
ſeiner erſten Gattin Henriette und das frühe Hinſcheiden ſeines
Lieblingsſohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieſer Lieder ſchon
weiter oben.
Sehen wir von dem Jahrgange des Erſcheinens ab und be-
trachten wir ſeine Dichtung als ein Ganzes, das wir nicht äußer-
lich nach Namen und Datum, ſondern nach ſeinem inneren Ge-
halt zu theilen und zu trennen haben, ſo ergeben ſich drei Haupt-
gruppen: Sonette, Balladen und Naturbeſchreibungen, letztre vom
kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.
Ueber die erſte und zweite Gruppe (Sonette und Balladen)
gehen wir ſo ſchnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von
dem Einen noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und
während ihm im Sonett, all ſeiner Reimgewandtheit unerachtet,
alle Grazie der Form und des Gedankens fehlte, ſuchte er —
die ſchwächeren und ſchwächſten Sachen Bürger’s zum Vorbild
nehmend — das Weſen der Ballade theils im Mordhaft-ſchauer-
lichen, theils in einem Geſpenſter-Apparate, der ſchon deshalb
Niemanden in Schrecken ſetzen konnte, weil er ſelber keinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/242>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.