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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Dorfes. Einige von den Alten haben mir den Baum noch
beschrieben und empfinden es als eine Schuld, daß er nicht
mehr existirt. Es war eine alte knorrige Kiefer, eben noch aus der
Zeit her, wo man die Bäume nicht schwächlich-schlank heranzog,
sondern es lieber hatte, sie sich knorrig-original entwickeln zu lassen.
Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von mehr als
drei Ellen Umfang; dabei lag er schräg und sein flaches, ineinan-
der geflochtenes Gezweige schuf einen korbartigen grünen Schirm.
Im Innern war er hohl, nur die Kienstellen hatten sich gehalten
und als man ihn endlich der Länge nach durchsägte, bildete jede
Hälfte eine Art Trog oder Mulde.

Dorf Kienbaum hat sein Wahrzeigen verloren, aber es ist doch
immer noch ein interessantes Dorf. Es bewahrt jenes anheimelnde
Stück Romantik, das in Abgeschiedenheit und Oede, vor allem
aber in einem gewissen Hospiz-Charakter begründet liegt. All
diese Haidedörfer sind wie Bergungsplätze, wie Stationen in der
Wildniß und jeder, den sein Weg irgend einmal an einem naß-
kalten Spätherbst-Nachmittag über Wald und Haide geführt hat,
wird diesen Zauber an sich selbst empfunden haben.

Es ist im November, der Nebel sprüht und die Haide, so
dünkt Dir's, nimmt kein Ende. Kusseln und Kiefern und dann
wieder Kusseln. Ein jedes Streifen an Baum oder Busch schüttet
ein Schauerbad über Dich aus und das nasse, vergilbte Haidekraut,
durch das Du hindurch mußt, spottet der festesten Sohlen und
macht Dich frieren bis auf's Mark. Nichts begegnet Dir außer
einem schiefstehenden Wegweiser, der seine müden Arme schlaff zu
Boden hängen läßt oder eine Krähe, die den Kopf in das nasse
Gefieder einzieht und sich trübselig matt besinnt, ob sie auffliegen
soll oder nicht. So geht es stundenlang. Endlich lichtet sich's
und Du trittst auf eine offne Stelle hinaus, die freilich wenig
mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle
Kiefernwand auf's Neue ansteigen siehst. Aber auf dem freien
Stückchen Feld, unter Ebreschenbäumen an denen noch die letzten
rothen Büschel hängen, steht doch ein Dutzend Lehm- und
Fachwerkhäuser, um die herum sich ein Sandweg mit tief ausgefah-
renem Geleise zieht. Und das erste Haus ist eine Schmiede.
Dein fröstelnd Herz sieht wie mit hundert Augen in die sprühende

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Dorfes. Einige von den Alten haben mir den Baum noch
beſchrieben und empfinden es als eine Schuld, daß er nicht
mehr exiſtirt. Es war eine alte knorrige Kiefer, eben noch aus der
Zeit her, wo man die Bäume nicht ſchwächlich-ſchlank heranzog,
ſondern es lieber hatte, ſie ſich knorrig-original entwickeln zu laſſen.
Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von mehr als
drei Ellen Umfang; dabei lag er ſchräg und ſein flaches, ineinan-
der geflochtenes Gezweige ſchuf einen korbartigen grünen Schirm.
Im Innern war er hohl, nur die Kienſtellen hatten ſich gehalten
und als man ihn endlich der Länge nach durchſägte, bildete jede
Hälfte eine Art Trog oder Mulde.

Dorf Kienbaum hat ſein Wahrzeigen verloren, aber es iſt doch
immer noch ein intereſſantes Dorf. Es bewahrt jenes anheimelnde
Stück Romantik, das in Abgeſchiedenheit und Oede, vor allem
aber in einem gewiſſen Hospiz-Charakter begründet liegt. All
dieſe Haidedörfer ſind wie Bergungsplätze, wie Stationen in der
Wildniß und jeder, den ſein Weg irgend einmal an einem naß-
kalten Spätherbſt-Nachmittag über Wald und Haide geführt hat,
wird dieſen Zauber an ſich ſelbſt empfunden haben.

Es iſt im November, der Nebel ſprüht und die Haide, ſo
dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Kuſſeln und Kiefern und dann
wieder Kuſſeln. Ein jedes Streifen an Baum oder Buſch ſchüttet
ein Schauerbad über Dich aus und das naſſe, vergilbte Haidekraut,
durch das Du hindurch mußt, ſpottet der feſteſten Sohlen und
macht Dich frieren bis auf’s Mark. Nichts begegnet Dir außer
einem ſchiefſtehenden Wegweiſer, der ſeine müden Arme ſchlaff zu
Boden hängen läßt oder eine Krähe, die den Kopf in das naſſe
Gefieder einzieht und ſich trübſelig matt beſinnt, ob ſie auffliegen
ſoll oder nicht. So geht es ſtundenlang. Endlich lichtet ſich’s
und Du trittſt auf eine offne Stelle hinaus, die freilich wenig
mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle
Kiefernwand auf’s Neue anſteigen ſiehſt. Aber auf dem freien
Stückchen Feld, unter Ebreſchenbäumen an denen noch die letzten
rothen Büſchel hängen, ſteht doch ein Dutzend Lehm- und
Fachwerkhäuſer, um die herum ſich ein Sandweg mit tief ausgefah-
renem Geleiſe zieht. Und das erſte Haus iſt eine Schmiede.
Dein fröſtelnd Herz ſieht wie mit hundert Augen in die ſprühende

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[243/0259] Dorfes. Einige von den Alten haben mir den Baum noch beſchrieben und empfinden es als eine Schuld, daß er nicht mehr exiſtirt. Es war eine alte knorrige Kiefer, eben noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht ſchwächlich-ſchlank heranzog, ſondern es lieber hatte, ſie ſich knorrig-original entwickeln zu laſſen. Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von mehr als drei Ellen Umfang; dabei lag er ſchräg und ſein flaches, ineinan- der geflochtenes Gezweige ſchuf einen korbartigen grünen Schirm. Im Innern war er hohl, nur die Kienſtellen hatten ſich gehalten und als man ihn endlich der Länge nach durchſägte, bildete jede Hälfte eine Art Trog oder Mulde. Dorf Kienbaum hat ſein Wahrzeigen verloren, aber es iſt doch immer noch ein intereſſantes Dorf. Es bewahrt jenes anheimelnde Stück Romantik, das in Abgeſchiedenheit und Oede, vor allem aber in einem gewiſſen Hospiz-Charakter begründet liegt. All dieſe Haidedörfer ſind wie Bergungsplätze, wie Stationen in der Wildniß und jeder, den ſein Weg irgend einmal an einem naß- kalten Spätherbſt-Nachmittag über Wald und Haide geführt hat, wird dieſen Zauber an ſich ſelbſt empfunden haben. Es iſt im November, der Nebel ſprüht und die Haide, ſo dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Kuſſeln und Kiefern und dann wieder Kuſſeln. Ein jedes Streifen an Baum oder Buſch ſchüttet ein Schauerbad über Dich aus und das naſſe, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt, ſpottet der feſteſten Sohlen und macht Dich frieren bis auf’s Mark. Nichts begegnet Dir außer einem ſchiefſtehenden Wegweiſer, der ſeine müden Arme ſchlaff zu Boden hängen läßt oder eine Krähe, die den Kopf in das naſſe Gefieder einzieht und ſich trübſelig matt beſinnt, ob ſie auffliegen ſoll oder nicht. So geht es ſtundenlang. Endlich lichtet ſich’s und Du trittſt auf eine offne Stelle hinaus, die freilich wenig mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand auf’s Neue anſteigen ſiehſt. Aber auf dem freien Stückchen Feld, unter Ebreſchenbäumen an denen noch die letzten rothen Büſchel hängen, ſteht doch ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäuſer, um die herum ſich ein Sandweg mit tief ausgefah- renem Geleiſe zieht. Und das erſte Haus iſt eine Schmiede. Dein fröſtelnd Herz ſieht wie mit hundert Augen in die ſprühende 16*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/259>, abgerufen am 22.11.2024.