zählen von dem Feste, das hier gefeiert wird. Das Auge der Königin hängt an dem reizenden Bilde, der König aber, der den Zauber mehr fühlt als sieht, strömt über von jener gemüth- und geistgebornen Heiterkeit, die so viele Herzen eroberte, selbst abgeneigtere als die Herzen derer, die hier unterm Kastaniendache versammelt sind.
Das Mahl ist vorüber und unter den Bäumen wird es schwül; aber der offene, luftige Garten liegt ausgebreitet vor ihnen und seine breiten Steige laden zu einem Spaziergang ein. Die Obst- baum-Allee hinauf, an der Akazienlaube vorüber, am Weinspalier zurück, so schreitet der König in raschem Geplauder auf und ab und unterbricht sich nur, wenn aus Näh' oder Ferne die Glocken her- überklingen, die den Abend einläuten.
Die Dämmerstunde kommt und der Thee wird auf der Gartentreppe servirt. In der Luft ist kaum ein Zittern. Zwei das Haus schützende hohe Platanen breiten ihr Gezweig über die Gruppe hin und ein paar Schwarzpappeln die weitab am Aus- gange des Gartens stehn, stehen jetzt wie Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe. Stiller wird's und nur ein Hauch, der sich eben regt, zieht über die Levkojen-Beete hin und trägt ihren Duft bis zu der Gartentreppe hinauf. "Wie schön es bei Ihnen ist" wendet sich der König an die Dame des Hauses und athmet höher und voller, als bad' er sich in der duftigen Frische des Abends.
Aber diese Frische wird allmählich zur Kühle; Jung und Alt beginnen zu frösteln, und der Schutz und Wärme bietende Garten- saal empfängt die hohen Gäste. "Was lesen wir?" fragt der König. "Ehre, dem Ehre gebührt; ich dächte, wir hörten ein Kapitel heut aus der Geschichte der Goertzke's."
Und der Vorleser verbeugt sich und rückt an den Tisch. Be- schämt und gehoben zugleich sitzen die Goertzke's umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteste selbst klingt ihnen heute neu, wo der König dem Berichte lauscht.
Von ihrem Eltervater wird gelesen, von Joachim Ernst v. Goertzke, dem "alten Goertzke" par excellence. Nichts wird vergessen: wie er als Page Marie Eleonoren's in schwedische Dienste kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht;
zählen von dem Feſte, das hier gefeiert wird. Das Auge der Königin hängt an dem reizenden Bilde, der König aber, der den Zauber mehr fühlt als ſieht, ſtrömt über von jener gemüth- und geiſtgebornen Heiterkeit, die ſo viele Herzen eroberte, ſelbſt abgeneigtere als die Herzen derer, die hier unterm Kaſtaniendache verſammelt ſind.
Das Mahl iſt vorüber und unter den Bäumen wird es ſchwül; aber der offene, luftige Garten liegt ausgebreitet vor ihnen und ſeine breiten Steige laden zu einem Spaziergang ein. Die Obſt- baum-Allee hinauf, an der Akazienlaube vorüber, am Weinſpalier zurück, ſo ſchreitet der König in raſchem Geplauder auf und ab und unterbricht ſich nur, wenn aus Näh’ oder Ferne die Glocken her- überklingen, die den Abend einläuten.
Die Dämmerſtunde kommt und der Thee wird auf der Gartentreppe ſervirt. In der Luft iſt kaum ein Zittern. Zwei das Haus ſchützende hohe Platanen breiten ihr Gezweig über die Gruppe hin und ein paar Schwarzpappeln die weitab am Aus- gange des Gartens ſtehn, ſtehen jetzt wie Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe. Stiller wird’s und nur ein Hauch, der ſich eben regt, zieht über die Levkojen-Beete hin und trägt ihren Duft bis zu der Gartentreppe hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen iſt“ wendet ſich der König an die Dame des Hauſes und athmet höher und voller, als bad’ er ſich in der duftigen Friſche des Abends.
Aber dieſe Friſche wird allmählich zur Kühle; Jung und Alt beginnen zu fröſteln, und der Schutz und Wärme bietende Garten- ſaal empfängt die hohen Gäſte. „Was leſen wir?“ fragt der König. „Ehre, dem Ehre gebührt; ich dächte, wir hörten ein Kapitel heut aus der Geſchichte der Goertzke’s.“
Und der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch. Be- ſchämt und gehoben zugleich ſitzen die Goertzke’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteſte ſelbſt klingt ihnen heute neu, wo der König dem Berichte lauſcht.
Von ihrem Eltervater wird geleſen, von Joachim Ernſt v. Goertzke, dem „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s in ſchwediſche Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht;
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zählen von dem Feſte, das hier gefeiert wird. Das Auge der
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den Zauber mehr fühlt als ſieht, ſtrömt über von jener gemüth-
und geiſtgebornen Heiterkeit, die ſo viele Herzen eroberte, ſelbſt
abgeneigtere als die Herzen derer, die hier unterm Kaſtaniendache
verſammelt ſind.
Das Mahl iſt vorüber und unter den Bäumen wird es ſchwül;
aber der offene, luftige Garten liegt ausgebreitet vor ihnen und
ſeine breiten Steige laden zu einem Spaziergang ein. Die Obſt-
baum-Allee hinauf, an der Akazienlaube vorüber, am Weinſpalier
zurück, ſo ſchreitet der König in raſchem Geplauder auf und ab und
unterbricht ſich nur, wenn aus Näh’ oder Ferne die Glocken her-
überklingen, die den Abend einläuten.
Die Dämmerſtunde kommt und der Thee wird auf der
Gartentreppe ſervirt. In der Luft iſt kaum ein Zittern. Zwei
das Haus ſchützende hohe Platanen breiten ihr Gezweig über die
Gruppe hin und ein paar Schwarzpappeln die weitab am Aus-
gange des Gartens ſtehn, ſtehen jetzt wie Schatten vor dem letzten
Streifen der Abendröthe. Stiller wird’s und nur ein Hauch, der
ſich eben regt, zieht über die Levkojen-Beete hin und trägt ihren
Duft bis zu der Gartentreppe hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen
iſt“ wendet ſich der König an die Dame des Hauſes und athmet
höher und voller, als bad’ er ſich in der duftigen Friſche des
Abends.
Aber dieſe Friſche wird allmählich zur Kühle; Jung und Alt
beginnen zu fröſteln, und der Schutz und Wärme bietende Garten-
ſaal empfängt die hohen Gäſte. „Was leſen wir?“ fragt der
König. „Ehre, dem Ehre gebührt; ich dächte, wir hörten ein Kapitel
heut aus der Geſchichte der Goertzke’s.“
Und der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch. Be-
ſchämt und gehoben zugleich ſitzen die Goertzke’s umher und
horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteſte
ſelbſt klingt ihnen heute neu, wo der König dem Berichte lauſcht.
Von ihrem Eltervater wird geleſen, von Joachim Ernſt
v. Goertzke, dem „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird
vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s in ſchwediſche
Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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