passion über ihn kam, schwand ihm die Lust, sich um das Com- teßchen noch weiter zu kümmern, und er begnügte sich von nun an damit, sie nach hierhin und dorthin in allerlei Pensionen zu geben, am liebsten in ländliche Pfarrhäuser, in denen oft die wunder- lichsten Zustände herrschten und Albernheiten und Unpassendheiten um den Vorrang stritten. Aber all dies berührte sie wenig, und glücklichere Tage kamen, als der alte Graf mehr und mehr zurück- trat, und die mütterliche Verwandtschaft der immer reizender werdenden Comtesse sich dieser anzunehmen begann. In Sommer- zeit war sie mit in den Ostseebädern, am häufigsten in Dobberan, und in einer Vierschimmel-Equipage ging es dann über die Felder hin oder auch wohl bis an den Heiligen-Damm, wo zweierlei gleich Wichtiges und gleich Großes zu sehen war: der Hof und das Meer.
Aber dies Alles liegt unbestimmt zurück und klarere Bilder treten uns aus dem Jugendleben der Gräfin erst von dem Tag an entgegen, wo sich die gesammte Familie, Geschwister und Vetter- schaft, in Trier zusammenfand, um im Hause des alten General v. Ryssel die Vermählung zwischen Emilie v. Ryssel und Graf Leo von Schlabrendorf zu feiern. Unter den Schlabrendorfs, die mit erschienen waren, war auch Comtesse Johanna, damals erst 17 Jahr alt, und der alte Spruch sollte sich bei dieser Gelegenheit aufs Neue bewahrheiten "auf jeder Hochzeit eine neue Verlobung". Ihr Tischnachbar war August v. Scharnhorst, Rittmeister in dem damals zu Trier in Garnison stehenden 8. Ulanen-Regiment, und ungefähr um dieselbe Zeit, in der Graf Leo das schwieger- elterliche Haus in Trier aufgab, um das kurz zuvor erstandene Groeben zu beziehen, erfolgte die Verlobung und bald danach auch die Verheirathung des tischnachbarlichen Paares: des Ritt- meisters August von Scharnhorst und der Comtesse Johanna v. Schlabrendorf.
Aber auch die Tage dieses Paares waren in Trier gezählt. Wie Groeben so gerieth auch Siethen, das seine Besitzer innerhalb der letzten dreißig Jahre mehrfach gewechselt hatte, 'mal wieder zu Verkauf und Graf Leopold, als er davon hörte, fragte sofort bei Schwester und Schwager an, "ob sie vielleicht geneigt seien, das plötzlich wieder frei gewordene Siethen käuflich an sich zu bringen?"
paſſion über ihn kam, ſchwand ihm die Luſt, ſich um das Com- teßchen noch weiter zu kümmern, und er begnügte ſich von nun an damit, ſie nach hierhin und dorthin in allerlei Penſionen zu geben, am liebſten in ländliche Pfarrhäuſer, in denen oft die wunder- lichſten Zuſtände herrſchten und Albernheiten und Unpaſſendheiten um den Vorrang ſtritten. Aber all dies berührte ſie wenig, und glücklichere Tage kamen, als der alte Graf mehr und mehr zurück- trat, und die mütterliche Verwandtſchaft der immer reizender werdenden Comteſſe ſich dieſer anzunehmen begann. In Sommer- zeit war ſie mit in den Oſtſeebädern, am häufigſten in Dobberan, und in einer Vierſchimmel-Equipage ging es dann über die Felder hin oder auch wohl bis an den Heiligen-Damm, wo zweierlei gleich Wichtiges und gleich Großes zu ſehen war: der Hof und das Meer.
Aber dies Alles liegt unbeſtimmt zurück und klarere Bilder treten uns aus dem Jugendleben der Gräfin erſt von dem Tag an entgegen, wo ſich die geſammte Familie, Geſchwiſter und Vetter- ſchaft, in Trier zuſammenfand, um im Hauſe des alten General v. Ryſſel die Vermählung zwiſchen Emilie v. Ryſſel und Graf Leo von Schlabrendorf zu feiern. Unter den Schlabrendorfs, die mit erſchienen waren, war auch Comteſſe Johanna, damals erſt 17 Jahr alt, und der alte Spruch ſollte ſich bei dieſer Gelegenheit aufs Neue bewahrheiten „auf jeder Hochzeit eine neue Verlobung“. Ihr Tiſchnachbar war Auguſt v. Scharnhorſt, Rittmeiſter in dem damals zu Trier in Garniſon ſtehenden 8. Ulanen-Regiment, und ungefähr um dieſelbe Zeit, in der Graf Leo das ſchwieger- elterliche Haus in Trier aufgab, um das kurz zuvor erſtandene Groeben zu beziehen, erfolgte die Verlobung und bald danach auch die Verheirathung des tiſchnachbarlichen Paares: des Ritt- meiſters Auguſt von Scharnhorſt und der Comteſſe Johanna v. Schlabrendorf.
Aber auch die Tage dieſes Paares waren in Trier gezählt. Wie Groeben ſo gerieth auch Siethen, das ſeine Beſitzer innerhalb der letzten dreißig Jahre mehrfach gewechſelt hatte, ’mal wieder zu Verkauf und Graf Leopold, als er davon hörte, fragte ſofort bei Schweſter und Schwager an, „ob ſie vielleicht geneigt ſeien, das plötzlich wieder frei gewordene Siethen käuflich an ſich zu bringen?“
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paſſion über ihn kam, ſchwand ihm die Luſt, ſich um das Com-
teßchen noch weiter zu kümmern, und er begnügte ſich von nun an
damit, ſie nach hierhin und dorthin in allerlei Penſionen zu geben,
am liebſten in ländliche Pfarrhäuſer, in denen oft die wunder-
lichſten Zuſtände herrſchten und Albernheiten und Unpaſſendheiten
um den Vorrang ſtritten. Aber all dies berührte ſie wenig, und
glücklichere Tage kamen, als der alte Graf mehr und mehr zurück-
trat, und die mütterliche Verwandtſchaft der immer reizender
werdenden Comteſſe ſich dieſer anzunehmen begann. In Sommer-
zeit war ſie mit in den Oſtſeebädern, am häufigſten in Dobberan,
und in einer Vierſchimmel-Equipage ging es dann über die Felder
hin oder auch wohl bis an den Heiligen-Damm, wo zweierlei
gleich Wichtiges und gleich Großes zu ſehen war: der Hof und
das Meer.
Aber dies Alles liegt unbeſtimmt zurück und klarere Bilder
treten uns aus dem Jugendleben der Gräfin erſt von dem Tag
an entgegen, wo ſich die geſammte Familie, Geſchwiſter und Vetter-
ſchaft, in Trier zuſammenfand, um im Hauſe des alten General
v. Ryſſel die Vermählung zwiſchen Emilie v. Ryſſel und Graf
Leo von Schlabrendorf zu feiern. Unter den Schlabrendorfs, die
mit erſchienen waren, war auch Comteſſe Johanna, damals erſt
17 Jahr alt, und der alte Spruch ſollte ſich bei dieſer Gelegenheit
aufs Neue bewahrheiten „auf jeder Hochzeit eine neue Verlobung“.
Ihr Tiſchnachbar war Auguſt v. Scharnhorſt, Rittmeiſter in
dem damals zu Trier in Garniſon ſtehenden 8. Ulanen-Regiment,
und ungefähr um dieſelbe Zeit, in der Graf Leo das ſchwieger-
elterliche Haus in Trier aufgab, um das kurz zuvor erſtandene
Groeben zu beziehen, erfolgte die Verlobung und bald danach
auch die Verheirathung des tiſchnachbarlichen Paares: des Ritt-
meiſters Auguſt von Scharnhorſt und der Comteſſe Johanna v.
Schlabrendorf.
Aber auch die Tage dieſes Paares waren in Trier gezählt.
Wie Groeben ſo gerieth auch Siethen, das ſeine Beſitzer innerhalb
der letzten dreißig Jahre mehrfach gewechſelt hatte, ’mal wieder zu
Verkauf und Graf Leopold, als er davon hörte, fragte ſofort bei
Schweſter und Schwager an, „ob ſie vielleicht geneigt ſeien, das
plötzlich wieder frei gewordene Siethen käuflich an ſich zu bringen?“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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