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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Johanna von Scharnhorst.

(Nach Aufzeichnungen einer Kaiserswerther Diakonissin.)

Johanna von Scharnhorst war eine Marien-Natur. Ihre
Erscheinung schon gewann die Herzen und war der Ausdruck
selbstsuchtsloser Güte. Mutter und Tochter glichen sich in diesem
Punkte vollkommen, und leben, um dieser selbstsuchtslosen Güte willen,
in der Erinnerung der Groeben-Siethener Gemeinde fort.

Im Oktober 1854 kam Fräulein Johanna nach Kaiserswerth,
um Diakonissin zu werden. Was sie dazu bestimmte, waren zu-
nächst wohl unerfüllt gebliebene Hoffnungen, Enttäuschungen, über
die sie sich nur einmal, in Andeutungen wenigstens, zu mir aus-
sprach; aber weit über eine solche nächste Veranlassung hinaus,
ruhte der eigentliche Grund zu diesem Schritt in ihrer ganz auf
Barmherzigkeit und Liebe gestellten Natur. Sie war, wie wenige,
zum Diakonissendienste bestimmt.

In ihrer ersten Jugend schon, so hört' ich später, nahm sie
sich der Armen und Verlassenen an, und wenn sie durch das Dorf
ging und die Kinder mit stumpfem Gesichtsausdruck in der Haus-
thür sitzen sah, sagte sie: "Die Kinder sehen aus, als ob sie keine
Seele hätten. Wie helf ich ihnen?"

Es war wohl ein Erinnern daran, was sie jetzt, nach einem
schmerzlichen Erlebniß, unsrer Kaiserswerther Anstalt, deren Ein-
richtung und Dienst sie kennen lernen wollte, zuführte. Noch ent-
sinn' ich mich des Tages als sie kam. Ich empfing gleich den
Eindruck von ihr, etwas so Lieblichem noch nie begegnet zu sein,
und wurde nicht müde sie anzusehen. Auch weiß ich noch, daß ich
in allen Briefen an die Meinigen immer nur von ihr erzählte,
trotzdem sie noch kein einzig Wort zu mir gesprochen hatte. Sie
trat als Pensionairin ein, beschränkte sich jedoch nicht, wie diese
sonst zu thun pflegen, auf Krankenpflege, sondern griff überall ein;
sie nahm Theil an den Stunden der Seminaristinnen, war in der
Kleinkinder-Schule thätig und wirkte mit im Asyl. Ihre Haupt-
arbeit freilich gehörte den Kranken, und hier stand sie bald einzig
da. Sie war unermüdlich, daneben freundlich und fröhlich, und
schon ihre bloße Nähe beglückte.

Johanna von Scharnhorſt.

(Nach Aufzeichnungen einer Kaiſerswerther Diakoniſſin.)

Johanna von Scharnhorſt war eine Marien-Natur. Ihre
Erſcheinung ſchon gewann die Herzen und war der Ausdruck
ſelbſtſuchtsloſer Güte. Mutter und Tochter glichen ſich in dieſem
Punkte vollkommen, und leben, um dieſer ſelbſtſuchtsloſen Güte willen,
in der Erinnerung der Groeben-Siethener Gemeinde fort.

Im Oktober 1854 kam Fräulein Johanna nach Kaiſerswerth,
um Diakoniſſin zu werden. Was ſie dazu beſtimmte, waren zu-
nächſt wohl unerfüllt gebliebene Hoffnungen, Enttäuſchungen, über
die ſie ſich nur einmal, in Andeutungen wenigſtens, zu mir aus-
ſprach; aber weit über eine ſolche nächſte Veranlaſſung hinaus,
ruhte der eigentliche Grund zu dieſem Schritt in ihrer ganz auf
Barmherzigkeit und Liebe geſtellten Natur. Sie war, wie wenige,
zum Diakoniſſendienſte beſtimmt.

In ihrer erſten Jugend ſchon, ſo hört’ ich ſpäter, nahm ſie
ſich der Armen und Verlaſſenen an, und wenn ſie durch das Dorf
ging und die Kinder mit ſtumpfem Geſichtsausdruck in der Haus-
thür ſitzen ſah, ſagte ſie: „Die Kinder ſehen aus, als ob ſie keine
Seele hätten. Wie helf ich ihnen?“

Es war wohl ein Erinnern daran, was ſie jetzt, nach einem
ſchmerzlichen Erlebniß, unſrer Kaiſerswerther Anſtalt, deren Ein-
richtung und Dienſt ſie kennen lernen wollte, zuführte. Noch ent-
ſinn’ ich mich des Tages als ſie kam. Ich empfing gleich den
Eindruck von ihr, etwas ſo Lieblichem noch nie begegnet zu ſein,
und wurde nicht müde ſie anzuſehen. Auch weiß ich noch, daß ich
in allen Briefen an die Meinigen immer nur von ihr erzählte,
trotzdem ſie noch kein einzig Wort zu mir geſprochen hatte. Sie
trat als Penſionairin ein, beſchränkte ſich jedoch nicht, wie dieſe
ſonſt zu thun pflegen, auf Krankenpflege, ſondern griff überall ein;
ſie nahm Theil an den Stunden der Seminariſtinnen, war in der
Kleinkinder-Schule thätig und wirkte mit im Aſyl. Ihre Haupt-
arbeit freilich gehörte den Kranken, und hier ſtand ſie bald einzig
da. Sie war unermüdlich, daneben freundlich und fröhlich, und
ſchon ihre bloße Nähe beglückte.

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[386/0402] Johanna von Scharnhorſt. (Nach Aufzeichnungen einer Kaiſerswerther Diakoniſſin.) Johanna von Scharnhorſt war eine Marien-Natur. Ihre Erſcheinung ſchon gewann die Herzen und war der Ausdruck ſelbſtſuchtsloſer Güte. Mutter und Tochter glichen ſich in dieſem Punkte vollkommen, und leben, um dieſer ſelbſtſuchtsloſen Güte willen, in der Erinnerung der Groeben-Siethener Gemeinde fort. Im Oktober 1854 kam Fräulein Johanna nach Kaiſerswerth, um Diakoniſſin zu werden. Was ſie dazu beſtimmte, waren zu- nächſt wohl unerfüllt gebliebene Hoffnungen, Enttäuſchungen, über die ſie ſich nur einmal, in Andeutungen wenigſtens, zu mir aus- ſprach; aber weit über eine ſolche nächſte Veranlaſſung hinaus, ruhte der eigentliche Grund zu dieſem Schritt in ihrer ganz auf Barmherzigkeit und Liebe geſtellten Natur. Sie war, wie wenige, zum Diakoniſſendienſte beſtimmt. In ihrer erſten Jugend ſchon, ſo hört’ ich ſpäter, nahm ſie ſich der Armen und Verlaſſenen an, und wenn ſie durch das Dorf ging und die Kinder mit ſtumpfem Geſichtsausdruck in der Haus- thür ſitzen ſah, ſagte ſie: „Die Kinder ſehen aus, als ob ſie keine Seele hätten. Wie helf ich ihnen?“ Es war wohl ein Erinnern daran, was ſie jetzt, nach einem ſchmerzlichen Erlebniß, unſrer Kaiſerswerther Anſtalt, deren Ein- richtung und Dienſt ſie kennen lernen wollte, zuführte. Noch ent- ſinn’ ich mich des Tages als ſie kam. Ich empfing gleich den Eindruck von ihr, etwas ſo Lieblichem noch nie begegnet zu ſein, und wurde nicht müde ſie anzuſehen. Auch weiß ich noch, daß ich in allen Briefen an die Meinigen immer nur von ihr erzählte, trotzdem ſie noch kein einzig Wort zu mir geſprochen hatte. Sie trat als Penſionairin ein, beſchränkte ſich jedoch nicht, wie dieſe ſonſt zu thun pflegen, auf Krankenpflege, ſondern griff überall ein; ſie nahm Theil an den Stunden der Seminariſtinnen, war in der Kleinkinder-Schule thätig und wirkte mit im Aſyl. Ihre Haupt- arbeit freilich gehörte den Kranken, und hier ſtand ſie bald einzig da. Sie war unermüdlich, daneben freundlich und fröhlich, und ſchon ihre bloße Nähe beglückte.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/402>, abgerufen am 22.11.2024.