"O, nein. Es war das alles lange vor meiner Zeit, und das Wenige, was ich davon weiß, weiß ich von unserm alten Emeritus und von der Mutter Rentschen, die noch die frühere Steinkirche gekannt hat und mal mit unten in der Gruft war, als sie die Särge schoben und zusammenrückten, um Platz für den letzten zu schaffen. Denn die Pieskowschen gingen eher ein als die Saarowschen. Und der mit dem Kuckfenster habe ganz bös ausgesehn und den Kopf geschüttelt, als ob er's nicht leiden wolle. Denn er sei schon bei Lebzeiten immer sehr stolz gewesen und habe sich nicht gerne bei Seite schieben lassen. Es ist natürlich alles Dummheit und ungebildet, aber die Leute machen sich nun mal solche Geschichten."
"Und thuen auch Recht daran. Es liegt doch immer was drin. Und ist denn die Gruft nicht mehr da? Den mit dem Kuckfenster säh' ich gerne."
"Nein, die Gruft ist nicht mehr da, sie haben sie zugeschüttet. Aber hier rechts neben dem Altar, wenn Sie mit Ihrem Stock aufklopfen wollen, da können Sie's noch deutlich hören. Es klingt alles hohl."
Ich ließ auf diese Weisung hin meinen Stock auch wirklich fallen, und als ich mich überzeugt hatte, daß er Recht habe, dankt ich ihm und verließ die Kirche mit dem Hoch- und Vollgefühle, die Löschebrandsche Gruftstelle nicht blos hypothetisch ermuthmaßt, sondern sie mit Hülfe des "hohlen Klanges" über jeden Zweifel hinaus historisch festgestellt zu haben.
Es war nun Zeit, mich nach unsrem Wagen umzusehn, und ich hatt' auch nicht lange danach zu suchen. Er hielt drüben an der andern Seite des Kirchplatzes, vor einem sehr niedrigen Hause, von dessen Dache sich das Moos mit der Hand wegfegen ließ. Es war ganz ersichtlich der Krug, auch ein Schild schimmerte herüber, aber die Pferde waren nicht ausgespannt und fraßen ein- fach aus einer Stehkrippe. Neben der Thür bemerkt' ich Moll, und als er mich kommen sah, kam er mir entgegen und lüpfte melancholisch den Hut.
"Ich dachte, Sie wollten ausspannen, Moll."
"Ich wollt' auch. Man blos es ging nicht. Is das eine
„Und Sie haben das alles ſelber noch geſehn?“
„O, nein. Es war das alles lange vor meiner Zeit, und das Wenige, was ich davon weiß, weiß ich von unſerm alten Emeritus und von der Mutter Rentſchen, die noch die frühere Steinkirche gekannt hat und mal mit unten in der Gruft war, als ſie die Särge ſchoben und zuſammenrückten, um Platz für den letzten zu ſchaffen. Denn die Pieskowſchen gingen eher ein als die Saarowſchen. Und der mit dem Kuckfenſter habe ganz bös ausgeſehn und den Kopf geſchüttelt, als ob er’s nicht leiden wolle. Denn er ſei ſchon bei Lebzeiten immer ſehr ſtolz geweſen und habe ſich nicht gerne bei Seite ſchieben laſſen. Es iſt natürlich alles Dummheit und ungebildet, aber die Leute machen ſich nun mal ſolche Geſchichten.“
„Und thuen auch Recht daran. Es liegt doch immer was drin. Und iſt denn die Gruft nicht mehr da? Den mit dem Kuckfenſter ſäh’ ich gerne.“
„Nein, die Gruft iſt nicht mehr da, ſie haben ſie zugeſchüttet. Aber hier rechts neben dem Altar, wenn Sie mit Ihrem Stock aufklopfen wollen, da können Sie’s noch deutlich hören. Es klingt alles hohl.“
Ich ließ auf dieſe Weiſung hin meinen Stock auch wirklich fallen, und als ich mich überzeugt hatte, daß er Recht habe, dankt ich ihm und verließ die Kirche mit dem Hoch- und Vollgefühle, die Löſchebrandſche Gruftſtelle nicht blos hypothetiſch ermuthmaßt, ſondern ſie mit Hülfe des „hohlen Klanges“ über jeden Zweifel hinaus hiſtoriſch feſtgeſtellt zu haben.
Es war nun Zeit, mich nach unſrem Wagen umzuſehn, und ich hatt’ auch nicht lange danach zu ſuchen. Er hielt drüben an der andern Seite des Kirchplatzes, vor einem ſehr niedrigen Hauſe, von deſſen Dache ſich das Moos mit der Hand wegfegen ließ. Es war ganz erſichtlich der Krug, auch ein Schild ſchimmerte herüber, aber die Pferde waren nicht ausgeſpannt und fraßen ein- fach aus einer Stehkrippe. Neben der Thür bemerkt’ ich Moll, und als er mich kommen ſah, kam er mir entgegen und lüpfte melancholiſch den Hut.
„Ich dachte, Sie wollten ausſpannen, Moll.“
„Ich wollt’ auch. Man blos es ging nicht. Is das eine
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„Und Sie haben das alles ſelber noch geſehn?“
„O, nein. Es war das alles lange vor meiner Zeit, und
das Wenige, was ich davon weiß, weiß ich von unſerm alten
Emeritus und von der Mutter Rentſchen, die noch die frühere
Steinkirche gekannt hat und mal mit unten in der Gruft war,
als ſie die Särge ſchoben und zuſammenrückten, um Platz für den
letzten zu ſchaffen. Denn die Pieskowſchen gingen eher ein als
die Saarowſchen. Und der mit dem Kuckfenſter habe ganz bös
ausgeſehn und den Kopf geſchüttelt, als ob er’s nicht leiden wolle.
Denn er ſei ſchon bei Lebzeiten immer ſehr ſtolz geweſen und
habe ſich nicht gerne bei Seite ſchieben laſſen. Es iſt natürlich
alles Dummheit und ungebildet, aber die Leute machen ſich nun
mal ſolche Geſchichten.“
„Und thuen auch Recht daran. Es liegt doch immer was
drin. Und iſt denn die Gruft nicht mehr da? Den mit dem
Kuckfenſter ſäh’ ich gerne.“
„Nein, die Gruft iſt nicht mehr da, ſie haben ſie zugeſchüttet.
Aber hier rechts neben dem Altar, wenn Sie mit Ihrem Stock
aufklopfen wollen, da können Sie’s noch deutlich hören. Es klingt
alles hohl.“
Ich ließ auf dieſe Weiſung hin meinen Stock auch wirklich
fallen, und als ich mich überzeugt hatte, daß er Recht habe, dankt
ich ihm und verließ die Kirche mit dem Hoch- und Vollgefühle,
die Löſchebrandſche Gruftſtelle nicht blos hypothetiſch ermuthmaßt,
ſondern ſie mit Hülfe des „hohlen Klanges“ über jeden Zweifel
hinaus hiſtoriſch feſtgeſtellt zu haben.
Es war nun Zeit, mich nach unſrem Wagen umzuſehn, und
ich hatt’ auch nicht lange danach zu ſuchen. Er hielt drüben an
der andern Seite des Kirchplatzes, vor einem ſehr niedrigen Hauſe,
von deſſen Dache ſich das Moos mit der Hand wegfegen ließ.
Es war ganz erſichtlich der Krug, auch ein Schild ſchimmerte
herüber, aber die Pferde waren nicht ausgeſpannt und fraßen ein-
fach aus einer Stehkrippe. Neben der Thür bemerkt’ ich Moll,
und als er mich kommen ſah, kam er mir entgegen und lüpfte
melancholiſch den Hut.
„Ich dachte, Sie wollten ausſpannen, Moll.“
„Ich wollt’ auch. Man blos es ging nicht. Is das eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/47>, abgerufen am 03.12.2024.
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