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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
der denn auch, unter Anlehnung an seinen mecklen¬
burgischen Landsmann und Lieblingsdichter und nach
dem Vorbilde von Mining und Lining, seinen eigenen
Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben
hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer,
Pastor Niemeyer's einziges Kind; sie war damen¬
hafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig
und eingebildet, eine lymphatische Blondine, mit etwas
vorspringenden, blöden Augen, die trotzdem beständig
nach 'was zu suchen schienen, weshalb denn auch Klitzing
von den Husaren gesagt hatte: "Sieht sie nicht aus,
als erwarte sie jeden Augenblick den Engel Gabriel?"
Effi fand, daß der etwas kritische Klitzing nur zu
sehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen
Unterschied zwischen den drei Freundinnen zu machen.
Am wenigsten war ihr in diesem Augenblicke danach
zu Sinn, und während sie die Arme auf den Tisch
stemmte, sagte sie: "Diese langweilige Stickerei. Gott
sei Dank, daß Ihr da seid."

"Aber Deine Mama haben wir vertrieben,"
sagte Hulda.

"Nicht doch. Wie sie Euch schon sagte, sie
wäre doch gegangen; sie erwartet nämlich Besuch,
einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von
dem ich Euch nachher erzählen muß, eine Liebes¬
geschichte mit Held und Heldin, und zuletzt mit Ent¬

Effi Brieſt
der denn auch, unter Anlehnung an ſeinen mecklen¬
burgiſchen Landsmann und Lieblingsdichter und nach
dem Vorbilde von Mining und Lining, ſeinen eigenen
Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben
hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer,
Paſtor Niemeyer's einziges Kind; ſie war damen¬
hafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig
und eingebildet, eine lymphatiſche Blondine, mit etwas
vorſpringenden, blöden Augen, die trotzdem beſtändig
nach 'was zu ſuchen ſchienen, weshalb denn auch Klitzing
von den Huſaren geſagt hatte: „Sieht ſie nicht aus,
als erwarte ſie jeden Augenblick den Engel Gabriel?“
Effi fand, daß der etwas kritiſche Klitzing nur zu
ſehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen
Unterſchied zwiſchen den drei Freundinnen zu machen.
Am wenigſten war ihr in dieſem Augenblicke danach
zu Sinn, und während ſie die Arme auf den Tiſch
ſtemmte, ſagte ſie: „Dieſe langweilige Stickerei. Gott
ſei Dank, daß Ihr da ſeid.“

„Aber Deine Mama haben wir vertrieben,“
ſagte Hulda.

„Nicht doch. Wie ſie Euch ſchon ſagte, ſie
wäre doch gegangen; ſie erwartet nämlich Beſuch,
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dem ich Euch nachher erzählen muß, eine Liebes¬
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[6/0015] Effi Brieſt der denn auch, unter Anlehnung an ſeinen mecklen¬ burgiſchen Landsmann und Lieblingsdichter und nach dem Vorbilde von Mining und Lining, ſeinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Paſtor Niemeyer's einziges Kind; ſie war damen¬ hafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig und eingebildet, eine lymphatiſche Blondine, mit etwas vorſpringenden, blöden Augen, die trotzdem beſtändig nach 'was zu ſuchen ſchienen, weshalb denn auch Klitzing von den Huſaren geſagt hatte: „Sieht ſie nicht aus, als erwarte ſie jeden Augenblick den Engel Gabriel?“ Effi fand, daß der etwas kritiſche Klitzing nur zu ſehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterſchied zwiſchen den drei Freundinnen zu machen. Am wenigſten war ihr in dieſem Augenblicke danach zu Sinn, und während ſie die Arme auf den Tiſch ſtemmte, ſagte ſie: „Dieſe langweilige Stickerei. Gott ſei Dank, daß Ihr da ſeid.“ „Aber Deine Mama haben wir vertrieben,“ ſagte Hulda. „Nicht doch. Wie ſie Euch ſchon ſagte, ſie wäre doch gegangen; ſie erwartet nämlich Beſuch, einen alten Freund aus ihren Mädchentagen her, von dem ich Euch nachher erzählen muß, eine Liebes¬ geſchichte mit Held und Heldin, und zuletzt mit Ent¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/15>, abgerufen am 29.04.2024.