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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
schlagen. Und in derselben Woche war es auch,
daß die Störche kamen, und einer schwebte langsam
über ihr Haus hin und ließ sich dann auf einer
Scheune nieder, die neben Utpatel's Mühle stand.
Das war seine alte Raststätte. Auch über dies Er¬
eignis berichtete Effi, die jetzt überhaupt häufiger nach
Hohen-Cremmen schrieb, und es war in demselben
Briefe, daß es am Schlusse hieß: "Etwas, meine liebe
Mama, hätte ich beinah' vergessen: den neuen Land¬
wehrbezirkskommandeur, den wir nun schon beinah'
vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich?
Das ist die Frage, und eine Frage von Wichtigkeit
dazu, so sehr Du darüber lachen wirst und auch
lachen mußt, weil Du den gesellschaftlichen Notstand
nicht kennst, in dem wir uns nach wie vor befinden.
Oder wenigstens ich, die ich mich mit dem Adel hier
nicht gut zurecht finden kann. Vielleicht meine Schuld.
Aber das ist gleich. Thatsache bleibt: Notstand, und
deshalb sah ich, durch all' diese Winterwochen hin,
dem neuen Bezirkskommandeur wie einem Trost- und
Rettungsbringer entgegen. Sein Vorgänger war ein
Greuel, von schlechten Manieren und noch schlechteren
Sitten, und zum Überfluß auch noch immer schlecht
bei Kasse. Wir haben all' die Zeit über unter ihm
gelitten, Innstetten noch mehr als ich, und als wir
Anfang April hörten, Major von Crampas sei da,

Th. Fontane, Effi Briest. 12

Effi Brieſt
ſchlagen. Und in derſelben Woche war es auch,
daß die Störche kamen, und einer ſchwebte langſam
über ihr Haus hin und ließ ſich dann auf einer
Scheune nieder, die neben Utpatel's Mühle ſtand.
Das war ſeine alte Raſtſtätte. Auch über dies Er¬
eignis berichtete Effi, die jetzt überhaupt häufiger nach
Hohen-Cremmen ſchrieb, und es war in demſelben
Briefe, daß es am Schluſſe hieß: „Etwas, meine liebe
Mama, hätte ich beinah' vergeſſen: den neuen Land¬
wehrbezirkskommandeur, den wir nun ſchon beinah'
vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich?
Das iſt die Frage, und eine Frage von Wichtigkeit
dazu, ſo ſehr Du darüber lachen wirſt und auch
lachen mußt, weil Du den geſellſchaftlichen Notſtand
nicht kennſt, in dem wir uns nach wie vor befinden.
Oder wenigſtens ich, die ich mich mit dem Adel hier
nicht gut zurecht finden kann. Vielleicht meine Schuld.
Aber das iſt gleich. Thatſache bleibt: Notſtand, und
deshalb ſah ich, durch all' dieſe Winterwochen hin,
dem neuen Bezirkskommandeur wie einem Troſt- und
Rettungsbringer entgegen. Sein Vorgänger war ein
Greuel, von ſchlechten Manieren und noch ſchlechteren
Sitten, und zum Überfluß auch noch immer ſchlecht
bei Kaſſe. Wir haben all' die Zeit über unter ihm
gelitten, Innſtetten noch mehr als ich, und als wir
Anfang April hörten, Major von Crampas ſei da,

Th. Fontane, Effi Brieſt. 12
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[177/0186] Effi Brieſt ſchlagen. Und in derſelben Woche war es auch, daß die Störche kamen, und einer ſchwebte langſam über ihr Haus hin und ließ ſich dann auf einer Scheune nieder, die neben Utpatel's Mühle ſtand. Das war ſeine alte Raſtſtätte. Auch über dies Er¬ eignis berichtete Effi, die jetzt überhaupt häufiger nach Hohen-Cremmen ſchrieb, und es war in demſelben Briefe, daß es am Schluſſe hieß: „Etwas, meine liebe Mama, hätte ich beinah' vergeſſen: den neuen Land¬ wehrbezirkskommandeur, den wir nun ſchon beinah' vier Wochen hier haben. Ja, haben wir ihn wirklich? Das iſt die Frage, und eine Frage von Wichtigkeit dazu, ſo ſehr Du darüber lachen wirſt und auch lachen mußt, weil Du den geſellſchaftlichen Notſtand nicht kennſt, in dem wir uns nach wie vor befinden. Oder wenigſtens ich, die ich mich mit dem Adel hier nicht gut zurecht finden kann. Vielleicht meine Schuld. Aber das iſt gleich. Thatſache bleibt: Notſtand, und deshalb ſah ich, durch all' dieſe Winterwochen hin, dem neuen Bezirkskommandeur wie einem Troſt- und Rettungsbringer entgegen. Sein Vorgänger war ein Greuel, von ſchlechten Manieren und noch ſchlechteren Sitten, und zum Überfluß auch noch immer ſchlecht bei Kaſſe. Wir haben all' die Zeit über unter ihm gelitten, Innſtetten noch mehr als ich, und als wir Anfang April hörten, Major von Crampas ſei da, Th. Fontane, Effi Brieſt. 12

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/186>, abgerufen am 14.05.2024.