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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Mama, wir erwarten Dich lange schon,
Durch Wochen und Tage und Stunden,
Nun grüßen wir Dich von Flur und Balkon
Und haben Kränze gewunden.
Nun lacht Papa voll Freudigkeit,
Denn die gattin- und mutterlose Zeit
Ist endlich von ihm genommen,
Und Roswitha lacht und Johanna dazu,
Und Annie springt aus ihrem Schuh
Und ruft: willkommen, willkommen.

Es versteht sich von selbst, daß die Strophe
noch an demselben Abend auswendig gelernt, aber
doch nebenher auch auf ihre Schönheit, beziehungsweise
Nicht-Schönheit kritisch geprüft worden war. Das Be¬
tonen von Gattin und Mutter, so hatte sich Johanna
geäußert, erscheine zunächst freilich nur in der Ordnung;
aber es läge doch auch etwas darin, was Anstoß
erregen könne, und sie persönlich würde sich als
"Gattin und Mutter" dadurch verletzt fühlen. Annie,
durch diese Bemerkung einigermaßen geängstigt, ver¬
sprach, das Gedicht am andern Tage der Klassen¬
lehrerin vorlegen zu wollen und kam mit dem Bemerken
zurück: "Das Fräulein sei mit ,Gattin und Mutter'
durchaus einverstanden, aber desto mehr gegen ,Ros¬
witha und Johanna' gewesen," -- worauf Roswitha
erklärt hatte: "Das Fräulein sei eine dumme Gans;
das käme davon, wenn man zuviel gelernt habe."


Effi Brieſt
Mama, wir erwarten Dich lange ſchon,
Durch Wochen und Tage und Stunden,
Nun grüßen wir Dich von Flur und Balkon
Und haben Kränze gewunden.
Nun lacht Papa voll Freudigkeit,
Denn die gattin- und mutterloſe Zeit
Iſt endlich von ihm genommen,
Und Roswitha lacht und Johanna dazu,
Und Annie ſpringt aus ihrem Schuh
Und ruft: willkommen, willkommen.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Strophe
noch an demſelben Abend auswendig gelernt, aber
doch nebenher auch auf ihre Schönheit, beziehungsweiſe
Nicht-Schönheit kritiſch geprüft worden war. Das Be¬
tonen von Gattin und Mutter, ſo hatte ſich Johanna
geäußert, erſcheine zunächſt freilich nur in der Ordnung;
aber es läge doch auch etwas darin, was Anſtoß
erregen könne, und ſie perſönlich würde ſich als
„Gattin und Mutter“ dadurch verletzt fühlen. Annie,
durch dieſe Bemerkung einigermaßen geängſtigt, ver¬
ſprach, das Gedicht am andern Tage der Klaſſen¬
lehrerin vorlegen zu wollen und kam mit dem Bemerken
zurück: „Das Fräulein ſei mit ,Gattin und Mutter‘
durchaus einverſtanden, aber deſto mehr gegen ,Ros¬
witha und Johanna‘ geweſen,“ — worauf Roswitha
erklärt hatte: „Das Fräulein ſei eine dumme Gans;
das käme davon, wenn man zuviel gelernt habe.“


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[398/0407] Effi Brieſt Mama, wir erwarten Dich lange ſchon, Durch Wochen und Tage und Stunden, Nun grüßen wir Dich von Flur und Balkon Und haben Kränze gewunden. Nun lacht Papa voll Freudigkeit, Denn die gattin- und mutterloſe Zeit Iſt endlich von ihm genommen, Und Roswitha lacht und Johanna dazu, Und Annie ſpringt aus ihrem Schuh Und ruft: willkommen, willkommen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Strophe noch an demſelben Abend auswendig gelernt, aber doch nebenher auch auf ihre Schönheit, beziehungsweiſe Nicht-Schönheit kritiſch geprüft worden war. Das Be¬ tonen von Gattin und Mutter, ſo hatte ſich Johanna geäußert, erſcheine zunächſt freilich nur in der Ordnung; aber es läge doch auch etwas darin, was Anſtoß erregen könne, und ſie perſönlich würde ſich als „Gattin und Mutter“ dadurch verletzt fühlen. Annie, durch dieſe Bemerkung einigermaßen geängſtigt, ver¬ ſprach, das Gedicht am andern Tage der Klaſſen¬ lehrerin vorlegen zu wollen und kam mit dem Bemerken zurück: „Das Fräulein ſei mit ,Gattin und Mutter‘ durchaus einverſtanden, aber deſto mehr gegen ,Ros¬ witha und Johanna‘ geweſen,“ — worauf Roswitha erklärt hatte: „Das Fräulein ſei eine dumme Gans; das käme davon, wenn man zuviel gelernt habe.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/407>, abgerufen am 22.11.2024.